Zum Schutz der
Artenvielfalt geschehe dies, heißt es in der Mitteilung des Ministeriums. Die Holzindustrie kontert: „Wer
Biodiversität in Quadratkilometern messe, hat das Ökosystem Wald nicht verstanden."
Rund 28.000 Hektar Landeswald sind im zweitgrößten Flächenland Deutschlands bereits aus der Nutzung genommen. Weitere 6.000 sollen bis 2020 folgen. Dann hätte die rot-grüne Landesregierung ihr Zehn-Prozent-Ziel erreicht und binnen sieben Jahren eine Waldfläche annähernd so groß wie Hannover und Braunschweig stillgelegt.
Unzählige Tier- und Pflanzenarten würden davon profitieren, verkündete Landwirtschaftsminister Christian Meyer (Grüne) bei der Vorstellung des sogenannten NWE-10-Konzeptes am 20. Oktober 2015. Aus der Fachwelt regt sich nun Widerstand: Nutzungsverzicht zum Zwecke der Biodiversität entbehre jeglicher wissenschaftlichen Grundlage, meint die Holzindustrie und sieht die Pläne vielmehr von Klientelpolitik bestimmt.
Flächenschutz: Dogma ohne Fundament
„Diese großflächigen Stilllegungen sind ökologisch nicht begründet. Im Gegenteil", kritisiert Lars Schmidt, Generalsekretär des Deutsche Säge- und Holzindustrie Bundesverbandes e.V. (DeSH). „Einige Arten werden zwar profitierten, doch viele andere werden gleichsam verschwinden", erklärt der studierte Forstwirt.
Jüngere Untersuchungen bestätigen diese These: 50 bis 60 Prozent der Baumarten in nicht mehr nachhaltig bewirtschafteten Waldgebieten gehen auf Perspektive verloren ‒ und mit ihnen zahlreiche Arten, insbesondere Insekten ‒, zeigt beispielsweise eine Studie des Max-Planck-Instituts für Biogeochemie in Jena. Politik und Naturschutzverbände würden dessen ungeachtet aber am fehlgeleiteten Ehrgeiz festhalten, immer größere Flächenanteile aus der Nutzung zu nehmen, bemängelt Schmidt. Dabei gebe es bis heute weder geeignete Indikatoren noch ein geeignetes Monitoringsystem, um die Wirksamkeit dieses rein flächenbezogenen Naturschutzes zu bewerten.
„Flächenschutz ist ein Dogma ohne Fundament. Es ist völlig unklar, ob sich der gewünschte Artenreichtum über Nullnutzung erreichen lässt. Und wenn, dann wird es Jahrzehnte oder Jahrhunderte dauern, bis die Gebiete vergleichbar strukturreich sind wie bewirtschaftete Flächen", so Schmidt. Aus forstfachlicher Perspektive sinnvoll seien indes punktuelle Schutzmaßnahmen wie Totholzinseln. Damit ließen sich ad hoc eine höhere Artenvielfalt sicherstellen und bestimmte Arten gezielt schützen.
Wildnis lässt sich nicht reproduzieren
Das Konzept „Artenschutz“, wie es derzeit von Naturschutzverbänden verstanden und proklamiert werde, sei grundsätzlich in seiner Zielsetzung zu hinterfragen, meint Schmidt. Standort- und Klimabedingungen seien ständig im Wandel: „Ein dauerhafter Urzustand oder eine Wildnis lassen sich im deutschen Wald leider nicht mehr reproduzieren." Um Schutz- und Nutzungsansprüchen gleichermaßen gerecht zu werden, seien vielmehr stabile, naturnahe Mischwälder am geeignetsten. Dies setze aber die bewährte forstliche Pflege voraus, erklärt Schmidt. Ein segregiertes Naturschutzkonzept wie in Niedersachsen sei hingegen reiner „Naturschutz der Zahlen“.
Weitreichende Folgen für den ländlichen Raum
Neben dem zweifelhaften Nutzen für Natur und Umwelt bergen Flächenstilllegungen zudem eine große Gefahr für die Volkswirtschaft, mahnt die Sägeindustrie. Denn unter der verfehlten Interessenpolitik müssten gerade die leiden, die das Ministerium eigentlich zu vertreten gedenke: Unternehmen und Menschen im ländlichen Raum.
Die Nutzungseinschränkungen auf breiter Fläche stellen die lokale Holzwirtschaft bereits heute vor existenzielle Probleme bei der Rohstoffbesorgung. Viele kleine und mittelständische Unternehmen mussten bereits schließen. Allein die Zahl der Sägewerke in Deutschland sank in den vergangenen fünf Jahren um knapp 20 Prozent. Vor dem Hintergrund der politisch forcierten Energiewende wird bis 2020 zugleich aber ein deutlicher Anstieg des Holzverbrauchs in Deutschland prognostiziert: Schätzungen zufolge ein Mehrbedarf von bis zu 40 Millionen Kubikmeter pro Jahr.
„Wie soll das gehen, wenn mit der aktuellen Politik eine Branche systematisch demontiert wird, ohne die eine nachhaltige, umwelt- und klimafreundliche Entwicklung überhaupt nicht möglich ist?“, wendet Schmidt ein. Eine schleichende Deindustrialisierung auf Kosten des nachwachsenden Rohstoffes Holz könne nicht im Sinne einer grünen Umwelt- und Wirtschaftspolitik sein: Durch den Verzicht der Holznutzung würden die CO2-Emissionen langfristig um mehrere hunderttausend Tonnen jährlich steigen. Das NWE-10-Konzept des Landwirtschaftsministeriums zeuge aber leider an vielen Stellen von derlei fachlicher Kurzsicht.
Integrativer Naturschutz wird nicht gewürdigt
Schmidt appelliert an die Landesregierung, sich im Bereich der Waldwirtschaft und des Naturschutzes wieder stärker an der guten fachlichen Praxis zu orientieren. So sei die Idee, die Bevölkerung in Entscheidungsprozesse zur Ausweisung von Schutzgebieten einbinden zu wollen aus Gründen der Bürgerbeteiligung zwar verständlich, verkenne aber die Expertise der Forstwirtschaft: „Der Wald ist ein komplexes System und es gibt Gründe, dass Fachleute dieses Gebiet intensiv studieren und darin ausgebildet werden.“
Die naturnahen Wälder Deutschlands und ihr integrativer Naturschutz seien Ergebnis einer generationenübergreifenden, verantwortungsvollen Waldwirtschaft und würden weltweit bewundert. Dass im eigenen Land aber vermittelt werde, der Wald müsse vor dem Förster geschützt werden, wirke befremdlich.