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12.04.2024 | 09:07 | Klima-Gesetz 

Kommen wirklich Fahrverbote am Wochenende?

Berlin - Nach einer Warnung vor möglichen Wochenend-Fahrverboten werfen Grünen-Politiker und Verbände Bundesverkehrsminister Volker Wissing Ablenkungsmanöver und Panikmache vor.

Fahrverbote am Wochenende
1973 gab es wegen der Ölkrise «autofreie Sonntage» in Deutschland. Im Ringen um eine Reform des Klimaschutzgesetzes warnt der Minister nun vor ähnlichen Einschränkungen - und erntet scharfe Kritik. (c) proplanta

Der nordrhein-westfälische Verkehrsminister und Vorsitzende der Verkehrsministerkonferenz, Oliver Krischer (Grüne), sagte der Deutschen Presse-Agentur, bei allem Verständnis für politische Zuspitzung wäre es angebracht, dass Wissing zur Sachpolitik zurückkehre. «Das Problem ist nämlich nicht das Klimaschutzgesetz des Bundes, sondern eine Verkehrspolitik, die eben nicht an den Zielen von Klimaschutz und Nachhaltigkeit ausgerichtet ist.» Wissing erhöhte derweil weiter den Druck auf die Ampel-Partner, die geplante Reform des Klimaschutzgesetzes rasch umzusetzen.

Krischer sagte, es lägen zahlreiche verkehrspolitische Maßnahmen auf dem Tisch, die auf Verbesserung von Mobilität genauso einzahlten wie auf das Erreichen von Klimaschutzzielen. «Statt Menschen zu drohen, würden wir gerne mit Herrn Wissing bei der Verkehrsministerkonferenz nächste Woche darüber reden, wie wir die Finanzierung von Erhalt und Ausbau der Infrastruktur hinbekommen.» Die Verkehrsministerkonferenz tagt am kommenden Mittwoch und Donnerstag in Münster. Ein wichtiges Thema ist die Zukunft des Deutschlandtickets im Nah- und Regionalverkehr.

Der Grünen-Verkehrspolitiker Stefan Gelbhaar warf Wissing Desinformation vor. «Selbst die gerichtliche Verpflichtung, endlich ein ordentliches Klimaschutzprogramm vorzulegen, beinhaltet null die Verpflichtung zu Fahrverboten», sagte er dem «Stern» (Samstag).

Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sprach von Panikmache. Es sei überfällig, dass mehr Klimaschutz im Verkehrssektor umgesetzt werde, sagte sie der Funke Mediengruppe. «Eine Verkehrswende für Klimaschutz zeichnet sich durch eine Vielzahl von Komponenten aus, wie beispielsweise die Aufhebung des Dieselsteuerprivilegs und Dienstwagenprivilegs, die Förderung von ÖPNV und Schienenverkehr oder aber ein Bonus-Malus-System zur Förderung emissionsarmer Fahrzeuge und der Elektromobilität.»

Auch die Deutsche Umwelthilfe warf Wissing vor, ein Schreckgespenst an die Wand zu malen, um Maßnahmen zu verhindern. «Damit hat er sich aber ins Knie geschossen, weil er uns mit diesem absurden Beispiel hilft, die politische Diskussion über wirklich mögliche Alternativen, hinter denen eine Mehrheit der Bundesbürger seit Jahren steht, führen zu können», sagte DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

Der Handelsverband Deutschland (HDE) mahnte, dass eine Debatte über Fahrverbote am Wochenende für den Einzelhandel Gift sei. «Die Konsumstimmung ist schon schlecht genug. Das Letzte, was der Einzelhandel jetzt braucht, ist noch mehr Verunsicherung für die Kundinnen und Kunden», sagte der Hauptgeschäftsführer Stefan Genth der Funke Mediengruppe.

Wissing hatte in einem Brief an die Vorsitzenden der Regierungsfraktionen von SPD, Grünen und FDP vor drastischen Einschnitten für Autofahrer bis hin zu Fahrverboten an Wochenenden gewarnt, falls die Koalition sich nicht bald auf eine Reform des Klimaschutzgesetzes einigt. Andernfalls müsste Wissing bis Mitte Juli ein Sofortprogramm vorlegen, damit der Verkehrssektor Klimaziele einhalten kann. Als Mittel dafür kämen aus seiner Sicht nur Fahrverbote in Betracht.

In den ARD-«Tagesthemen» wiederholte Wissing seine Forderung nach einer raschen Reform des Klimaschutzgesetzes. «Diese Sektorziele sind natürlich nicht erreichbar im Verkehr, wenn man nicht ganz rabiate Maßnahmen ergreift», sagte er. Ein von vielen befürwortetes Tempolimit auf Autobahnen würde dabei aus seiner Sicht nicht helfen, weil dadurch zu wenig Treibhausgase eingespart würden. «Dann hätten Sie die Situation, dass Sie quasi den Rest nicht mit zwei Tagen Fahrverbot, sondern mit eineinhalb Tagen erreichen müssen - das ist keine Lösung».

«Kaum vermittelbare Maßnahmen»

Um nach dem geltenden Gesetz sogenannte Klima-Sektorziele im Verkehr erreichen zu können, wäre nach Wissings Argumentation eine deutliche Verringerung der Pkw- und Lkw-Fahrleistung notwendig. Diese wäre «nur durch restriktive und der Bevölkerung kaum vermittelbare Maßnahmen wie flächendeckende und unbefristete Fahrverbote an Samstagen und Sonntagen möglich», schrieb er in einem Brief an die Ampel-Fraktionschefs im Bundestag.

«Es wäre den Menschen kaum zu vermitteln, dass sie ihr Auto nur noch an fünf Wochentagen nutzen dürfen, obwohl wir die Klimaschutzziele in der Gesamtbetrachtung erreichen», warnt Wissing. Das auf Donnerstag datierte Schreiben liegt der dpa vor, zuerst hatte die «Bild» darüber berichtet.

Grünen-Fraktionsvize Verlinden hielt dagegen, das aktuell geltende Recht verlange von Wissing lediglich, «ein Klimaschutzprogramm vorzulegen, in dem sinnvolle Vorschläge enthalten sind, die zu mehr Klimaschutz im Verkehrssektor führen». Es gebe viele unterschiedliche Möglichkeiten, «wie etwa ein Tempolimit». Ein generelles Tempolimit auf Autobahnen lehnen Wissing und die FDP strikt ab.

Strittige Reform

Wissing macht mit dem Schreiben Druck während laufender Verhandlungen der Ampel-Fraktionen über eine Reform des Klimaschutzgesetzes. Das Kabinett hatte diese im vergangenen Juni beschlossen, die erste Lesung im Bundestag war im September.

Strittig ist dem Vernehmen nach, welche Verantwortlichkeiten Ressorts künftig noch haben, falls Zielvorgaben bei der CO2-Einsparung verfehlt werden - wie im Verkehrssektor. Am Klimaschutzgesetz hängt auch ein geplantes Solarpaket.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sagte am Donnerstagabend bei einer Veranstaltung des Webinar-Formats Europe Calling, das Solarpaket sei ausverhandelt. Es sei politisch gekoppelt mit dem Klimaschutzgesetz, «wo es noch politischen Bedarf» gebe. Er hoffe sehr, dass das Solarpaket nun wirklich schnell verabschiedet werde.

Worum es geht

Im Klimaschutzgesetz sind die deutschen Klimaziele verbindlich geregelt. Es sieht vor, dass die Emissionen von klimaschädlichen Treibhausgasen bis 2030 um 65 Prozent gegenüber 1990 reduziert werden. Für einzelne Sektoren wie Industrie, Energiewirtschaft, Verkehr und Gebäude wurden zulässige Jahresemissionsmengen festgelegt.

Kernpunkt ist bisher folgender Mechanismus: Wenn Sektoren Vorgaben verfehlen, müssen die zuständigen Ressorts der Bundesregierung in Form von Sofortprogrammen nachsteuern - um die Einhaltung der Emissionsmengen sicherzustellen.

Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung soll die Einhaltung der Klimaziele künftig nicht mehr rückwirkend nach den verschiedenen Sektoren kontrolliert werden - sondern in die Zukunft gerichtet, mehrjährig und sektorübergreifend. Die Bundesregierung als Ganzes soll künftig entscheiden, in welchem Sektor und mit welchen Maßnahmen die zulässige CO2-Gesamtmenge bis 2030 erreicht werden soll - allerdings erst, wenn es zwei Jahre in Folge zu einer Zielverfehlung kommt.

Vorgaben zur Emissionsminderung in den einzelnen konkreten Sektoren sollen damit abgeschafft werden. Vor allem die FDP dringt auf eine Reform des Gesetzes, die Teil des Koalitionsvertrags ist.

Verkehrssektor verfehlt Klimaziele

Im Jahr 2023 wurden nach Angaben des Umweltbundesamts in Deutschland 10,1 Prozent weniger klimaschädliche Treibhausgase emittiert als 2022. So gab es im Sektor Energie deutliche Rückgänge, das Umweltbundesamt begründete dies mit einem geringeren Einsatz fossiler Brennstoffe zur Erzeugung von Strom und Wärme.

Insbesondere der Verkehrssektor müsse beim Klimaschutz aber nachsteuern, so die Behörde. Er verfehle seine Klimaziele erneut deutlich. Die Daten werden von einem Expertenrat für Klimafragen bewertet. Dieser Bericht wird am kommenden Montag vorgelegt.

Das geltende Klimaschutzgesetz sieht vor: Weisen die Emissionsdaten eine Überschreitung der zulässigen Jahresemissionsmenge für einen Sektor aus, so legt das zuständige Bundesministerium innerhalb von drei Monaten nach der Bewertung durch den Expertenrat ein Sofortprogramm für den jeweiligen Sektor vor.

Darauf ging Wissing in seinem Schreiben ein: Sofern das novellierte Klimaschutzgesetz nicht vor dem 15. Juli in Kraft trete, sei das Ministerium nach dem geltenden Gesetz verpflichtet, ein Sofortprogramm vorzulegen - dann kommt die Warnung vor flächendeckenden und unbefristeten Fahrverbote am Wochenende.

Darunter würden nicht nur Bürger leiden, auch Lieferketten könnten nachhaltig gestört werden, da eine kurzfristige Verlagerung des Transports von der Straße auf die Schiene unrealistisch sei, schrieb Wissing.

Seine Warnung weckt Erinnerungen an die sogenannten autofreien Sonntage während der Ölkrise: Nachdem arabische Staaten ihre Ölproduktion 1973 vor dem Hintergrund des Jom-Kippur-Kriegs verknappt hatten, wurden an vier Sonntagen Fahrverbote in der Bundesrepublik verhängt.
dpa
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