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29.12.2014 | 15:30 | Kohleausstieg 

Deutschlands Steinkohle stirbt langsam

Marl - Deutschlands Steinkohle stirbt langsam - und fast ohne öffentliche Aufmerksamkeit. Rund 3.000 gut bezahlte Industriearbeitsplätze im Kohlekonzern RAG sind 2014 weggefallen, rund 2.000 weitere sollen 2015 gestrichen werden.

Steinkohlenbergbau
Wenn Autohersteller oder Stahlkonzerne Werke schließen, gibt es fette Schlagzeilen und Demonstrationen. Bei Deutschlands letzten Zechen verläuft der Ausstieg dagegen praktisch lautlos. Dabei fehlen die gut bezahlten Jobs und vor allem die Ausbildungsstellen schmerzlich. (c) Marco Becker - fotolia.com
Ende 2015 schließt auch die vorletzte Ruhrgebietszeche Auguste Victoria in Marl im Norden des Reviers - aller Voraussicht nach ebenfalls praktisch lautlos. Proteste und Demonstrationen Fehlanzeige.

Dann bleiben nur noch zwei Bergwerke in Bottrop und Ibbenbüren am Rand des Münsterlandes übrig. Die schwarzen Fahnen, mit denen die Kumpel einst erbittert um ihre Jobs kämpften, sind längst eingerollt. «Wir verabschieden uns mit Stolz auf unsere erbrachten Leistungen, aber ebenso mit großer Wehmut», sagt RAG-Chef Bernd Tönjes.

2007 hatte der Bundestag einen Fahrplan für den Ausstieg aus der defizitären Steinkohle bis Ende 2018 festgeschrieben. Die zunächst noch vorgesehene letzte Überprüfung des Beschlusses wurde 2011 gestrichen. Das mühsame Fördern in mehr als 1000 Metern Tiefe in den deutschen Bergwerken lohnt sich einfach nicht mehr, wenn etwa in Australien 30 Meter dicke Flöze mit dem Schaufelradbagger im Tagebau gewonnen werden können.

2014 wurden nur noch 14 Prozent der in Deutschland verbrauchten Steinkohle im Land abgebaut - der Rest kommt als Import teils vom anderen Ende der Welt und ist dennoch deutlich preiswerter. Im Jahr 2000 hatten die Kumpel noch mehr als die Hälfte des deutschen Verbrauchs selbst gefördert.

2005 waren noch mehr als 38.000 Menschen im deutschen Steinkohlenbergbau an der Ruhr und an der Saar beschäftigt, aktuell liegt die Zahl bei gut 10.000, Ende 2015 sollen es nur noch gut 8.000 sein.

Was das für Folgen hat, lässt sich an Marl zeigen. Die Stadt im nördlichen Ruhrgebiet mit einem großen Chemiepark und der Traditionszeche steht in der ansonsten wirtschaftlich gebeutelten Emscher-Lippe-Region eigentlich noch ganz gut da. Doch der Arbeitsplatzverlust im Bergbau ist schon jetzt deutlich spürbar. Die Zechenbelegschaft wurde bereits von deutlich über 3.000 auf aktuell noch 2.000 heruntergesteuert. Die Schließung Ende nächsten Jahres bringt dann den richtigen Schlag für die regionale Wirtschaft: «Natürlich merkt das der Einzelhandel, die Gastronomie, die Dienstleister - die Leute haben einfach weniger Geld», sagt Karl-Friedrich Schulte-Uebbing, der Hauptgeschäftsführer der zuständigen IHK Nord-Westfalen.

Die Zeche zählte viele Jahre auch zu den wichtigsten Ausbildungsbetrieben der Region. Elektronik, Mechatronik und Industriemechanik konnten junge Beschäftigte lernen - und sogar mit einem Elektrotechnik-Studium an der nicht weit entfernten Bergbau-FH in Bochum kombinieren. Das waren genau die Fachkräfte, nach denen die Industrie heute lauthals ruft. Mit dem Kohleausstieg vor Augen stellt die RAG inzwischen keine neuen Auszubildenden mehr ein. 2014 kam die letzte Generation.

RAG und öffentliche Hand versuchen mit den üblichen Rezepten, für den demnächst verlassenen Standort Marl neue Wege zu finden. Eine Studie soll seine Chancen als neuer Logistik-Standort ausloten. So sollten auch in Zukunft auf dem Areal wieder möglichst viele Menschen arbeiten, sagte Marls Bürgermeister Werner Arndt Mitte November 2014 bei einem Ortstermin. Doch allen Beteiligten ist klar, dass das eher eine Aufgabe von Jahrzehnten als von Jahren ist.

In der großen Energiepolitik spielt die Kohle unterdessen - trotz aller Debatten um das CO2 - weiter eine große Rolle. 2014 deckte die Steinkohle 12,6 Prozent des deutschen Energieverbrauchs - mehr als die Erneuerbaren (11,1) und viel mehr als die Kernenergie (8,1). Die Steinkohle werde auch nach dem Ausstieg aus der deutschen Förderung Ende 2018 «in den nächsten Jahrzehnten» die Energiewende begleiten, sagt der Chef des Gesamtverbandes Steinkohle, Franz-Josef Wodopia.

Die RAG will sich daran beteiligen und bleibt nach dem Ende der Förderung als Firma mit noch etwa 300 bis 500 Beschäftigten dauerhaft bestehen. Sie kümmert sich dann nicht nur um die Verwertung ihrer riesigen Grundstücke und die sogenannten Ewigkeitslasten wie das Abpumpen von Grubenwasser, sondern wandelt sich vom Kohleproduzenten zum internationalen Kohlehändler. (dpa)
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