Die Genossenschaften hätten eine ganz besondere Berechtigung und könnten die Position kleinerer, strukturell unterlegener Marktteilnehmer verbessern, sagte Mundt am vorvergangen Donnerstag (12.1.) vor rund 160 Vertretern von Haupt- und Primärgenossenschaften auf einer Informations- und Dialogveranstaltung der
Agravis Raiffeisen AG in Hannover. Allerdings gebe es kein „Genossenschaftsprivileg“, stellte der Behördenchef klar.
Auch die Genossenschaften müssten sich an die Spielregeln des Wettbewerbs halten. Zwar erlaube das Gesetz landwirtschaftlichen Erzeugern und -gemeinschaften in engen Grenzen Vereinbarungen über die Erzeugung und den Absatz landwirtschaftlicher Produkte; weitergehende Absprachen über Preise und Vertriebsgebiete seien jedoch tabu. Daher gebe es das häufig angeführte Regionalprinzip im Genossenschaftsbereich aus rechtlicher Sicht gar nicht. „Genossenschaften sind ganz normale Wettbewerber“, so Mundt. Das gelte für Primärgenossenschaften untereinander genauso wie im Verhältnis zu den Hauptgenossenschaften, wenn sie auf der gleichen Marktstufe tätig würden, und bei den Hauptgenossenschaften untereinander sei dies nicht anders.
Ministererlaubnis „nicht optimal“Mundt griff in seinen Ausführungen auch einige Fälle mit großer Öffentlichkeitswirkung auf. Er räumte ein, dass die vom Kartellamt untersagte, dann aber durch eine Ministererlaubnis genehmigte Fusion von Edeka und Kaiser´s Tengelmann aus wettbewerblicher Sicht „nicht optimal“ sei. Sie führe zu einer weiteren Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel mit entsprechenden Nachteilen für die Zulieferer. Der Kartellamtspräsident ging zudem auf die Überprüfung der Lieferbedingungen von Rohmilch ein. Hier werde untersucht, ob das Zusammenspiel aus 100-prozentiger Milchandienungspflicht, langfristigen Verträgen und Kündigungsfristen sowie Referenzpreissystemen und der Auszahlungsart des Milchgeldes den Wettbewerb unzulässig beschränke. „Das Bundeskartellamt ist hier an einer Lösung interessiert, die den Interessen der Landwirtschaft gerecht wird“, versicherte Mundt.
Zweistufigkeit das richtige ModellIn einer anschließenden Podiumsdiskussion kritisierte der frühere Agravis-Vorstandschef Dr. Clemens Große Frie die langen potentiellen Tatzeiträume, die das Kartellamt untersuche, machte aber zugleich deutlich, dass sich die Genossenschaften selbstverständlich an die Wettbewerbsregeln hielten. Ihnen müsse bei derart langen Zeiträumen aber auch ein Erkenntniszuwachs zugestanden werden. Große Fries Nachfolger Andreas Rickmers hob die Vorteile des genossenschaftlichen Verbundes hervor. Ziel sei es, der Landwirtschaft innovative, effiziente und kostengünstige Lösungen anzubieten. Dafür sei die Zweistufigkeit das richtige Modell.
Der Vorstandsvorsitzende der Baywa AG, Prof. Klaus Josef Lutz, erinnerte an die Anfänge des Genossenschaftswesens. Aus einem Solidarakt, sich regional zu organisieren, um eine Hungersnot zu überstehen und ein eigenes Geschäft aufzubauen, seien regionale geschäftliche Strukturen entstanden, die in ihrer Abgrenzung heute keine Bedeutung mehr hätten. Eine „Verunsicherung in der genossenschaftlichen Welt“ beklagte der Vorstandsvorsitzender der Raiffeisen Waren-Zentrale Rhein- Main (RWZ), Christoph Kempkes. „Niemand weiß mehr genau, was erlaubt ist und was nicht“, monierte Kempkes. Deshalb sei eine Klarstellung des Wettbewerbsrechts im Hinblick auf praxistaugliche Leitlinien für das tägliche Handeln wünschenswert.