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05.08.2010 | 19:02 | Atompolitik  

Schwarz statt Grün - Kohleausstieg bleibt Utopie

Atterwasch - Der Kohleabbau frisst sich immer näher an den Bauernhof von Ulrich Schulz heran.

Schwarz statt Grün - Kohleausstieg bleibt Utopie

«Seit 1.500 und nen bisschen sind wir hier», sagt der Landwirt und Ortsvorsteher des Dorfes Atterwasch bei Cottbus. Er klingt resigniert. Wenn nicht noch ein Wunder geschieht, wird sein Hof abgebaggert, wie es in der Fachsprache heißt. Dutzende Meter unter dem Hof liegt eine zehn Meter dicke Braunkohleschicht. Schulz selbst setzt auf Solarenergie für seinen Hof. Er kann sicher nichts dafür, dass in Deutschland noch rund 42 Prozent des Stroms aus Kohle erzeugt werden - das ist ein fast doppelt so hoher Anteil wie Atom an der Stromerzeugung hat.

Wenn Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) in Kürze sein Konzept vorlegt, wie sich der Energiemix bis 2050 entwickeln soll, wird auch Kohle erstmal noch weiter dabei sein. Umweltschützer kritisieren, dass trotz des klimaschädlichen Kohlendioxid-Ausstoßes Konzerne wie Eon, RWE und Vattenfall massiv in diese Technik investieren und damit die Energiewende und vor allem die deutschen Klimaziele blockieren.

In Deutschland befinden sich laut Greenpeace 23 Kohlekraftwerke im Bau und in Planung. «Diese Kohlekraftwerke würden jährlich mehrere Millionen Tonnen CO2 zusätzlich ausstoßen», sagt Greenpeace-Kohleexpertin Anike Peters. Wenn diese gebaut würden, werde ein falscher Weg in der Klima- und Energiepolitik zementiert. 15 andere geplante Kohlekraftwerke wurden bislang laut Greenpeace verhindert.

Auch Atterwaschs' Ortsvorsteher Schulze würde gerne dem Ausbau der Kohlekraft in der Lausitz einen Riegel vorschieben. Rund 500 Rinder hat er und 40.000 Hühner. Dazu 500 Hektar bewirtschaftete Fläche. Im Büro hängen hinter seinem Schreibtisch an der Pinnwand Bestellungen für vier Spanferkel. Schulz versucht die Angst vor dem Tag X zu verdrängen. Ab etwa 2025 sollen die drei Orte Atterwasch, Kerkwitz und Grabko mit insgesamt 900 Einwohnern den Kohlebaggern weichen.

Es wäre die größte Umsiedlung in der Lausitz seit dem Fall der DDR. Er kenne keine rechtlichen Mittel gegen die Zwangsumsiedlung, sagt Schulze. Der Griff nach der Kohle folge schließlich einem vom Land Brandenburg so definierten übergeordneten Interesse. Den näher kommenden Förderbagger bezeichnet er als «Raubtier». Auf der anderen Straßenseite hängt am Eingang der erstmals 1294 erwähnten Dorfkirche aus rotem Backstein ein Banner: «Unser Beitrag zum Klimaschutz: Atterwasch bleibt.» Im Vorraum lehnt ein Transparent an der Wand: «Wollt Ihr Eure Ostereier in Zukunft in der Kohlegrube suchen?»

An der Straße zum knapp fünf Kilometer entfernt gelegenen Kerkwitz ist zu lesen: «Nutzt Sonne, Wasser, Wind und lasst die Menschen und Tiere, wo sie sind.» Das Unternehmen Vattenfall betont, dass man bei Umsiedlungen sehr großzügig und im Dialog mit den Bürgern entschädige. Der Konzern hat die Region in Kataster eingeteilt, es gibt geologische Kohlevorräte für 200 Jahre. «Der Kohleausstieg ist für uns kein Thema», sagt Lutz Picard vom knapp 70 Kilometer entfernt liegenden Kohlekraftwerk Schwarze Pumpe. Wann der Ausstieg möglich ist, vermag Picard nicht zu sagen, schließt Überraschungen aber nicht aus. «Wer hätte vor zehn Jahren gedacht, dass sich die Erneuerbaren Energien so entwickeln.»

Die Energiekonzerne investieren auch in klimafreundliche Projekte wie Windparks. Warum wird aber trotz der vom Bund angestrebten deutlichen Senkung der CO2-Emissionen weiter so viel Kohle verbrannt? Der Grund ist vor allem der Preis. Kohle ist neben Atom der billigste Energieträger: Eine Kilowattstunde Strom kostet in der Erzeugung unter fünf Cent. Vattenfall beschäftigt rund 5.000 Menschen in Brandenburg, zudem bringen die Kohlekraftwerke hohe Steuereinnahmen für Land und Kommunen. Der Konzern tritt in der Region vielfach als Großsponsor auf, zum Beispiel von Kulturveranstaltungen.

Die Energiekonzerne führen die Schwankungen bei Sonne und Wind als Argument an, warum grundlastfähige Kohle- und Atomkraftwerke bis auf weiteres unverzichtbar bleiben. Über neun Kühltürme werden in der Lausitz im noch zu DDR-Zeiten erbauten Kohlekraftwerk Jänschwalde pro Jahr laut Greenpeace 25 Millionen Tonnen des Klimakillers CO2 in die Atmosphäre geblasen - mehr als die Hälfte der Emissionen Schwedens. Hinzu kommen in dieser Region die Emissionen der Kraftwerke Schwarze Pumpe und Boxberg - der Strom fließt unter anderem nach Berlin.

In Brandenburg wird zugleich die ganze Widersprüchlichkeit beim Thema Energie der Zukunft deutlich. Das Land setzt auch massiv auf die Erneuerbaren, hier steht auf einer Fläche von mehr als 200 Fußballfeldern einer der weltweit größten Solarparks. Die produzierte Energie reicht für eine Kleinstadt - mit Kohle kann der Solarpark aber nicht konkurrieren.

Bis 2020 könnte Brandenburg zwar den eigenen Energiebedarf mit Erneuerbaren stillen, schätzt Thomas Burchardt, der im bereits umgesiedelten Neu-Horno lebt und gegen die Auswirkungen des Braunkohletagebaus in der Region kämpft. Berlins Energiehunger wird aber weiter vor allem mit Kohle gestillt werden. Vattenfall versucht der Kritik zu begegnen und will mit einer 70-Megawatt-Pilotanlage am Kraftwerk Schwarze Pumpe die CO2-Abscheidung zur Serienreife bringen. Vattenfall-Mann Picard setzt große Hoffnungen in den Testlauf. «Hier geht es um viel, es geht um die Zukunft der Braunkohleverstromung», sagt er.

Bis 2015 soll auf dem Gelände des 3.000-Megawatt-Kraftwerkes Jänschwalde ein Demonstrationsprojekt entstehen, um dieses CCS (Carbon Dioxide Capture and Storage) genannte Verfahren im großen Stil zu testen. Das Projekt wird mit 180 Millionen Euro von der EU-Kommission gefördert. Für das Unternehmen hat das Ganze auch finanzielle Gründe: Steigt im Zuge des Emissionshandels der Preis pro ausgestoßener Tonne CO2 auf über 30 Euro, könnte sich das CCS-Verfahren rechnen. Dann wäre es wohl billiger, abgetrenntes Kohlendioxid zu verflüssigen und im Boden zu verpressen. Ob das Verfahren funktioniert, ist ungewiss. Und gegen CO2-Speicher gibt es Proteste.

Hoffnung macht, dass nun ein CCS-Gesetzentwurf der Regierung vorliegt. Vattenfall-Experte Picard sieht trotz des Booms bei Sonne- und Windenergie in «sauberer Kohle» daher die Zukunft und und betont: «Wir wollen klimafreundlicher werden.» (dpa)


Hintergrund

CO2-Abtrennung - ein deutscher Exportschlager?

Es ist die Hoffnung im Bemühen, den schädlichen Kohlendioxidausstoß (CO2) bei der Kohleverbrennung zu mindern. Es gibt aber Sorgen, ob die unterirdische Lagerung von abgetrenntem CO2 sicher ist.

Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) warnt, das sogenannte CCS-(Carbon Capture and Storage)-Verfahren zu zerreden. «Diese Technologie darf nicht das gleiche Schicksal erleiden wie der Transrapid oder Biotechnologie in Deutschland.» Selbst Umweltschutzorganisationen wie der WWF sagen, man solle der Technologie erst einmal eine Chance geben - schließlich wohnt auch ganz Berlin auf einem Erdgas-Speicher, ohne das dies die Menschen groß stören würde, sagt WWF-Energieexpertin Regine Günther.

Die Bundesregierung hat nun einen Gesetzentwurf zur Erprobung vorgelegt - sie hofft, dass CCS zum Exportschlager in Sachen Klimaschutz wird. Allein in China wird 80 Prozent des Stroms durch Kohle erzeugt, und das Klima dort ist heute schon mehr als belastet. Bis 2017 läuft die Erprobungsphase und ist an hohe Sicherheitsstandards geknüpft.


Wie funktioniert CCS?

Moderne Kohlekraftwerke sollen künftig bei der Verbrennung anfallendes CO2 von anderen Abgasen trennen. Dazu wird die Kohle nicht wie bislang üblich in normaler Luft verfeuert, die zum Großteil aus Stickstoff besteht, sondern in einem Gemisch aus reinem Sauerstoff und Rauchgas. So soll die Abtrennung des CO2 nach dem Verbrennungsprozess erleichtert werden. In verschiedenen Reinigungs- und Aufbereitungsstufen wird das abgetrennte CO2 unter hohem Druck verflüssigt und damit transportfähig gemacht.

Ob tausend Meter unter dem Meeresgrund wie in Norwegen oder in leeren Gas- und Erdöllagerstätten wie in Kanada - Betreiber von Kohlekraftwerken wollen den Klimakiller per CCS-Verfahren dann für immer versenken. Denn Kohlendioxid zählt zu den Treibhausgasen, die für die globale Erwärmung mitverantwortlich sind. Es soll per CCS in den Boden gepresst und dort gespeichert werden. Die Hoffnung der Bundesregierung und der Energiewirtschaft ist, dass das CO2 von undurchlässigen Gesteinsschichten eingeschlossen wird und kein Unheil in der Atmosphäre mehr anrichten kann - aber es gibt Proteste gegen die möglichen CO2-Speicher in der Erde - vor allem in Brandenburg.

Vattenfall nahm 2008 im brandenburgischen Werk Schwarze Pumpe die weltweit erste Pilotanlage für ein Braunkohlekraftwerk mit CO2- Abscheidung in Betrieb. Nun soll in Jänschwalde zwischen 2012 und 2015 ein Demonstrationskraftwerk gebaut werden, das mit 180 Millionen Euro von der EU-Kommission gefördert wird.

Spätestens 2020 soll die CCS-Technik serienreif sein. Ein Problem ist, dass die mühsam verbesserten Wirkungsgrade bei der Kohleverstromung durch CCS wieder aufgesogen werden - rund zehn Prozent mehr Kohle ist notwendig. Auch RWE startete ein CCS-Projekt. Das Unternehmen wollte in Hürth ein Werk errichten und das abgeschiedene CO2 über eine Pipeline nach Schleswig-Holstein befördern und dort lagern. Nach Protesten wird das Projekt vorerst nicht weiter verfolgt.

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