In weiten Teilen der südwestlichen Provinz Zeeland hat das Wasser freies Spiel. Dörfer, Städte, Straßen, Äcker und Weiden versinken in den Fluten. In dieser Nacht sterben 1835 Menschen. Die Sturmflut von 1953 sollte die bisher schlimmste
Naturkatastrophe des Landes sein.
65 Jahre später ist Zeeland gut geschützt - durch eines der ehrgeizigsten Wasserbauwerke: Die Deltawerke mit dem gigantischen neun Kilometer langen Sturmflutwehr an der Oosterschelde, einem Seitenarm der Nordsee. Wenn das Wasser auf drei Meter steigt, dann werden die massiven 42 Meter breiten Stahlschotten geschlossen. Mit einem Druck auf den Knopf.
Das Sturmflutwehr wird heute wie ein achtes Weltwunder von Touristen aus aller Welt bestaunt. Es ist für viele der Beweis in Stahl und Beton, dass die Niederländer die Naturgewalten im Griff haben.
Insgesamt fünf Sturmflutwehre gibt es inzwischen, und erst vor wenigen Wochen waren sie alle gleichzeitig geschlossen worden. Das hatte es noch nie gegeben. Für die Behörden war es ein wichtiger Test. Und er gelang, wie sie einen Tag später zufrieden meldeten: Das Verteidigungsbollwerk hatte problemlos standgehalten.
Doch es könnte eine trügerische Sicherheit sein. Solche massiven Wasserbauwerke reichten als Schutz nicht mehr aus, sagt Deichgräfin Tanja Klip-Martin. «Der
Klimawandel hat uns zum Umdenken gezwungen.» Stürme werden heftiger, der
Meeresspiegel steigt und die Regenschauer nehmen zu. Das Land, so die Deichgräfin, müsse sich auf extreme Wasserstände vorbereiten.
Die Niederlande haben keine Wahl: Gut 40 Prozent des Landes liegen unterhalb des Meeresspiegels. Wenn Deiche und Dämme an der Nordsee im Westen nicht halten, dann versinkt das gesamte Ballungsgebiet von Rotterdam bis Amsterdam in den Fluten. Zwei Drittel des Landes sind bedroht. Auf der anderen Seite vom Osten und Süden aus droht das
Hochwasser der großen Flüsse Rhein, Waal und Maas.
Bisher haben die Niederländer dank eines ausgeklügelten Systems von Pumpen, Deichen, Mühlen und Kanälen weitgehend trockene Füße behalten. Für die meisten Bürger ist das so selbstverständlich, wie die Mayo zu ihren geliebten Pommes.
Doch die Folgen des Klimawandels sind bereits zu spüren. Das Wasser der Nordsee steigt schneller als erwartet und bedroht die Küsten. Aus Deutschland bringen die Flüsse das Hochwasser, das durch heftigen Regen und Schmelzwasser entsteht. Das ist eine Gefahr für das Delta bei Rotterdam. Und im Süden gab es 2016 so viele heftige Regenfälle wie Klimaforscher eigentlich erst für etwa 2040 vorhergesagt hatten.
Deichen, Mühlen und Pumpen reichen nicht mehr aus, sagt der nationale Wasser-Botschafter Henk Ovink. «Wir müssen uns anpassen an den Klimawandel.» Das gilt auch für Wirtschaft und Städte- und Landschaftsplanung. «Wir brauchen maßgeschneiderte Lösungen.»
Jetzt ist ein Riesen-Programm zur Verstärkung der Deiche angelaufen. 1.100 Kilometer Deich und rund 500 Schleusen sollen bis 2028 erneuert werden und dann den höchsten Sicherheitsstandards entsprechen. Die Kosten belaufen sich auf rund 7,4 Milliarden Euro.
Sogar der berühmte Abschlussdeich im Norden ist nach 80 Jahren nicht mehr sicher. Der «Afsluitdijk» ist wie die Deltawerke eine Ikone des niederländischen Kampfes gegen das Wasser. Der 32 Kilometer lange Deich schloss das frühere Süd-Meer von der Nordsee ab und schützt dadurch den Norden bis nach Amsterdam vor Sturmfluten. Doch dem von Klimaforschern vorhergesagten Anstieg des Meeresspiegels kann der Deich nicht standhalten.
Die Niederlande setzen auch auf natürlichen Schutz. So werden viele Strände immer wieder neu aufgeschüttet oder neue Dünen angelegt.
Hochwasserschutz heißt nicht nur Abschotten, sagt Wasser-Botschafter Ovink. «Wir leben mit dem Wasser. Das ist eine Kultur.»
Ein Problem ist, dass die Wassermassen nicht mehr so schnell weg zu pumpen sind oder im Boden versickern. Daher muss das Wasser dauerhaft mehr Raum bekommen. Flüsse werden verbreitert oder bekommen künstliche Seitenarme. Polder, die einst dem Wasser abgerungen worden waren, werden wieder geflutet. In den Städten gibt es Auffangbecken.
Der Klimawandel ist für die Niederlande eine Frage des Überlebens. Es ist eine Daueraufgabe und nicht im Alleingang zu schaffen, sagt Ovink. «Wenn die Welt das Klimaproblem nicht in den Griff bekommt, dann kriegen wir hier mehr als nur nasse Füße.»