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25.09.2011 | 09:38 | Zuckerrübenernte 2011 

Interview zur Zuckerrübenernte und Situation auf den Märkten

München - Derzeit ist die Zuckerrübenernte in Bayern in vollem Gange.

Zuckerrübenernte
Über die Erwartungen zur Ernte, die Situation auf dem Zuckermarkt und die Zukunft der europäischen Zuckermarktordnung gibt Dr. Josef Bosch, stellv. Vorsitzender des Landesfachausschusses für pflanzliche Produktion im Bayerischen Bauernverband, Auskunft.


Wie läuft die Zuckerrübenernte?

Dr. Bosch: Die Kampagne in den südbayerischen Zuckerfabriken ist reibungslos angelaufen. Die Erntemaschinen auf den Feldern laufen auf Hochtouren. Die diesjährige Ernte ist in vielen Gebieten rekordverdächtig. Das extrem trockene Frühjahr hat zwar enorme Probleme mit der Unkrautregulierung gebracht, aber auf den Ertrag scheint es sich nicht ausgewirkt zu haben. Die beiden Zuckerfabriken in Rain und Plattling z. B. rechnen mit Rübenerträgen um die 90 Tonnen je Hektar und hohen Zuckergehalten, die jetzt schon über 16 Prozent liegen.


In den letzten Wochen klagte die zuckerverwendende Industrie immer wieder über hohe Zuckerpreise. Sogar von „leeren Zuckerregalen" war die Rede. Was können Sie uns hierzu sagen?

Dr. Bosch: Die Lobby der Zuckerverarbeiter hat über Jahre hinweg unsere funktionierende Marktordnung für Zucker massiv bekämpft. Ohne Rücksicht auf eine nachhaltige und umweltschonende Zuckerproduktion hat sie die Reduzierung der Europäischen Produktionsquote und die Öffnung des Marktes für „Billigimporteure" wie Brasilien erzwungen. Das hat dazu geführt, dass unsere Rübenpreise reduziert wurden und ganze Gebiete aus der Produktion gefallen sind. Besonders die Bayern hatten unter dieser Kampagne mit der Schließung der Zuckerfabrik in Regensburg zu leiden. Als Folge dieser kurzsichtigen Politik, sind wir jetzt in Europa von Importen vom Weltmarkt abhängig. Die Rohrzuckerkonzerne in Übersee haben sich halb totgelacht über diese naive Aktion der Zuckerverarbeiter, die geglaubt haben, so an billigen Zucker zu kommen. Die Preise sind am Weltmarkt im Gegenteil massiv gestiegen und was machen die Zuckerverarbeiter? Sie heulen wieder auf und suchen nach Schuldigen, ohne sich selbst an der Nase zu nehmen.


Es gibt also keine Zuckerknappheit in Europa?

Dr. Bosch: In Europa lagern 1,9 Millionen Tonnen an Zucker im Vergleich zu 1,2 Millionen Tonnen letztes Jahr. In Europa gibt es keinen Zuckermangel, aber es gibt keinen Zucker zu den Ramschpreisen, wie ihn sich die Zuckerverarbeiter wünschen würden. Wenn sie gemeinsam mit uns an einem Strang ziehen würden, wäre es kein Problem, Europa dauerhaft mit Zucker aus Europa zu versorgen.


In der europäischen Union gibt es eine Zuckermarktordnung, zu deren wesentlichen Elementen Zuckerproduktionsquoten gehören. Aktuell hat die EU-Kommission Überlegungen in den Raum gestellt, diese Zuckerquoten 2016 abzuschaffen. Wie sehen Sie das?

Dr. Bosch: Es ist erstaunlich, wie unflexibel die Kommission über Jahre hinweg an ihrem Konzept der Zwangsliberalisierung auf allen Gebieten festhält, auch wenn es für manche Bereiche intelligentere Lösungen gäbe. Auch die EU-Zuckermarktordnung wurde erst vor wenigen Jahren auf diese Weise umfassend und tiefgreifend reformiert. Das war vor allem für die Rübenanbauer ein schwerer Verlust und für die Verbraucher ein Schlag ins Wasser, oder haben Sie irgendwo sinkende Preise bei Süßwaren entdeckt?

Ich kann nicht verstehen, dass die EU-Kommission mitten in der nötigen Konsolidierungsphase jetzt Überlegungen für ein Auslaufen der Quote in 2016 präsentiert und das auch noch gegen den erklärten Willen des Europäischen Parlaments.


Wie soll es Ihrer Meinung nach weitergehen?

Dr. Bosch: Im Sinne einer nachhaltigen Zuckerproduktion und Versorgungssicherheit für unsere Verbraucher ist erst mal, so wie vereinbart, Kontinuität in den Rahmenbedingungen bis 2020 erforderlich. Diese Zeit sollten wir außerdem im Sinne einer Fortentwicklung über 2020 hinaus nicht ungenutzt verstreichen lassen. Denn auch für die Zeit danach muss allen Beteiligten klar sein, dass ein völlig liberalisierter Markt das Ende der europäischen Rübenzuckerproduktion bedeutet. Der Druck der Zuckerkonzerne aus Übersee würde in kürzester Zeit gezielt die gesamte Infrastruktur für Zucker in Europa zerstören. Was uns anschließend blüht, davon haben wir in den letzten Monaten erst einen kleinen Vorgeschmack erhalten. Es wäre schön, wenn die Kommission und die Zuckerverarbeiter sich mit uns an einen Tisch setzen würden, um gemeinsam tragfähige Zukunftsperspektiven zu entwickeln. Das EU-Parlament ist in diesem Punkt schon auf dem richtigen Weg. (bbv)
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