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10.01.2018 | 10:31 | Energiepolitik 

Klimaschutz als Klimakiller?

Berlin - Andrea Nahles kämpft. Mit ihrer Stimme. Die SPD-Fraktionschefin ist extrem heiser, als sie am Dienstagmorgen an der bayerischen Landesvertretung in Berlin ankommt.

Klimaschutz in Deutschland
Sie wollten diskret und ohne öffentliches Gezanke sondieren. Aber die guten Vorsätze von Union und SPD hielten nur einen Tag. Die ersten Pläne - ausgerechnet zum Klima - sind nach außen gedrungen. Was bedeutet das für die Stimmung? Und was für die Umwelt? (c) proplanta
Nahles hält trotzdem vor den Kameras an, sie will etwas loswerden. «Es war gestern sehr ärgerlich, dass es Durchstechereien gegeben hat von Zwischenergebnissen», krächzt sie. «Ich kann nur alle in der Union auffordern, den Jamaika-Modus jetzt endgültig abzustellen.»

Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) versucht zu besänftigen. Alles, was derzeit auf dem Tisch liege, seien doch nur Zwischenergebnisse, bis zum Schluss alles ausverhandelt sei. Am Abend bringt CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer es auf die Formel: «Nix ist fix.» Eine «gute Grundlage des Vertrauens und der Kollegialität» sei da. «Daran soll es nicht scheitern.» Aber ein atmosphärischer Dämpfer bleibt doch - zur Halbzeit der Sondierungen.

Union und SPD hatten sich für ihre Gespräche Großes vorgenommen. Alles sollte anders sein als bei Jamaika: keine Durchstechereien, kein exzessives Twittern, keine Veröffentlichung von Zwischenständen, keine öffentlichen Provokationen, keine Interviews der Sondierer.

Am ersten Tag hielt die Disziplin noch einigermaßen. Kaum ein Wort ließen sich die Sondierer da entlocken, einzelne sagten demonstrativ Interviews ab. Am zweiten Tag, am Montag, war es dann vorbei mit den guten Vorsätzen. Zuerst schimpfte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) vor laufender Kamera, die «Grundtonalität» bei den Sondierungen sei falsch, es werde zu viel übers Geldverteilen geredet. Streitereien über die Finanzen drangen nach außen.

Und vor allem gelangte das erste Arbeitspapier an die Öffentlichkeit - die Ergebnisse der Klima-Arbeitsgruppe. Der Begleit-Tenor: Union und SPD verabschieden sich von den Klimazielen 2020.

Der CDU-Verhandlungsführer beim Klima, NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, stellte sich noch am Montagabend in Düsseldorf beim Neujahrsempfang der Industrie- und Handelskammer hin und verkündete eine Einigung: Mit der SPD habe man innerhalb von zwei Sitzungen das Thema Energiepolitik abgeschlossen, sagte er da.

Laschet kommt aus einem Kohle-Land. Die Botschaft, dass sich der Komplettumbau zu erneuerbaren Energien etwas länger hinziehen soll, ist dort nicht unwillkommen. Auch die NRW-SPD tickt da nicht viel anders. Aber die Bundes-SPD will nicht als Klima-Bremser dastehen.

Die NRW-SPD, der größte Landesverband der Partei, ist wichtig für die Frage, ob das Projekt von Union und SPD in Berlin überhaupt zustande kommt. SPD-Chef Martin Schulz hat - falls sich beide Seiten denn einig werden - einen Parteitag in Bonn von einer weiteren GroKo zu überzeugen. Ein beträchtlicher Teil der Genossen dort wird aus NRW kommen. Die GroKo-Skepsis unter ihnen ist groß.

Von den GroKo-Gegnern, auch aus NRW, wettern die ersten schon, wenn die Sache mit dem Abschied von den Klimazielen stimme, sei das allein schon ein Grund, nicht Schwarz-Rot zu machen. Und andere NRW-Genossen - auch wenn sie den Inhalt des Papiers vielleicht gar nicht so schlecht finden mögen - klagen zumindest über schlechten Stil. Der Chef der SPD-Fraktion im NRW-Landtag, Norbert Römer, schimpft, Laschet halte sich nicht an Absprachen und sei «'ne Plaudertasche».

Sein Verhalten bestätige das tiefe Misstrauen der NRW-SPD gegen die Union und Kanzlerin Angela Merkel (CDU). «Das Wort der CDU ist einfach nicht viel wert», pampt Römer. Für die Gemütslage bei den Sondierungen kommt die Indiskretion also ziemlich ungelegen.

Und in der Sache? Der - auf lange Sicht unvermeidbare - Kohleausstieg bereitet längst nicht nur NRW Kopfzerbrechen. Auch Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) soll leicht panisch reagiert haben, als Merkel den Grünen während der Jamaika-Gespräche in Sachen Klima Zusagen machte. Das Problem: Da, wo viel Kohle ist, gibt es meist sonst nicht viel. Deswegen zählt für die Länderchefs jeder Arbeitsplatz.

Und Merkel? Sitzt zwischen den Stühlen - und bekommt ein Problem in Sachen Glaubwürdigkeit. Ihr Bekenntnis zum 2020-Ziel im Wahlkampf («Das verspreche ich Ihnen») fliegt ihr nun um die Ohren. Nicht nur grüne Aktivisten, sondern auch Wirtschaftsexperten weisen darauf hin, dass Klimaschutz immer teurer wird, je länger man ihn hinauszögert und an alten Strukturen festhält. Und dann ist da auch noch die internationale Bühne, die Symbolik, die in der globalen Klima-Diplomatie nun mal eine gewaltige Rolle spielt.

Mal nüchtern betrachtet: Dass Deutschland die Klimaziele für 2020 reißt, war schon länger absehbar. Zu schaffen wäre es natürlich. Greenpeace, der WWF und die Grünen etwa haben dafür Konzepte vorgelegt. Aber politisch durchsetzbar ist das inzwischen kaum noch. Dafür haben die letzten Regierungen - alle angeführt von Merkel - schlicht zu wenig getan, um den CO2-Ausstoß zu drücken.

In dem Klimapapier der Sondierer steckt allerdings mehr als die eine Botschaft. Im Grunde ist für alle was dabei: So soll ein Klimaschutzgesetz beschlossen werden, das die SPD 2013 noch nicht gegen die Union durchsetzen konnte. Ende 2018 soll es ein Datum für den Kohleausstieg geben. Zudem sollen die erneuerbaren Energien stärker ausgebaut werden als bisher vorgesehen.

Eine Sache also, die die Bundes-SPD beim Parteitag eigentlich gut verkaufen könnte, um über absehbare Unerfreulichkeiten an anderer Stelle des Gesamtpakets hinwegzutrösten. Dass das Papier mit anderem Tenor nun vorab schon rausging, ist für sie ärgerlich.

Der eine oder andere Klimapolitiker, auch von der SPD, hätte gerne gegengesteuert und die Fortschritte nach vorn gestellt. Aber das war nicht erlaubt. Da funktionierte es dann doch, das Schweige-Gebot.
dpa
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