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26.09.2009 | 12:29 | Wissenschaftler-Apell 

Marktgestaltung statt Marktgläubigkeit oder Marktvereinnahmung

Kassel - Als Reaktion auf die jüngsten Entwicklungen auf den Märkten und hier insbesondere auf den Agrarmärkten rufen die Unterzeichner der Resolution zu einer zukünftig verantwortungsvolleren Marktgestaltung auf.

Marktgestaltung
(c) proplanta
Die aktuelle Weltwirtschaftskrise wurde durch Spekulationen der Investmentbanken ausgelöst. In ihrer Dimension und Wirkmächtigkeit wurde sie aber erst möglich durch die Marktgläubigkeit der Wissenschaft und der Politik sowie durch die Tendenz, im Namen der Marktfreiheit ungleiche Freiheiten für die Marktteilnehmer zu erzeugen.

In Statements von Agrarökonomen dazu wird behauptet, „Die Milchbranche“ sei „im freien Markt angekommen. Zur Milchbranche gehören die Milchbauern. Diese befanden und befinden sich nach wie vor in einem massiven Abhängigkeitsverhältnis. Sie bekommen einen Milchpreis einseitig und rückwirkend von den Molkereien überlassen. Vom „freien Markt“ kann daher keine Rede sein. Die Modellvorstellung von polypolistischen Anbieterstrukturen, die auf eine große Zahl von Nachfrager treffen, hat nichts mit der Praxis gemein. Im Milchsektor liegen stufenförmig angelegte Strukturen vor. Die dort Beteiligten divergieren in Bezug auf ihre Anzahl und ihre Umsatzstärke enorm: Ca. 100.000 Milchbauern stehen ca. 100 Molkereien und diesen wiederum wenige Handelsketten gegenüber. Die Milchbauern sind in dieser Struktur abhängige Rohstofflieferanten.


Die Unterzeichner fordern daher:
  • eine verantwortungsvolle realitätsnahe Marktgestaltung, durch die die Wiederaufstellung der Landwirte als gleichwertige Marktteilnehmer möglich wird,
  •  die Aufgabe der statischen Vorstellung vom Markt als Preisfindungsmechanismus, die mit der Auffassung einhergeht, sich in die Preisenstehung nicht „einzumischen“ – Märkte sind dynamisch und daher ständig zu regeln,
  • die Bevorzugung starker Marktteilnehmer, realisiert durch das einseitige Setzen auf eine economie of scales (Quantität) ohne das Pendant einer Ökonomie der Kreierung von Neuem (Qualität), wodurch Oligopole immer weiter gefördert werden,
  • das beenden der Bevorzugung immer erfolgreicherer einzelbetrieblicher Effizienz bei gleichzeitigem Abwälzen der Folgekosten auf die gesamte Gesellschaft
  • das weitere Vorantreiben der derzeitigen Form des Welthandels mit Agrarprodukten unter Berufung auf das Modell der komparativen Kostenvorteile, wofür in der Praxis die Voraussetzungen fehlen und wodurch es zum ungleichen Handel zugunsten der Industrieländer kommt mit den unverantwortlichen Folgen der Zerstörung der Subsistenzstruktur in diesen Ländern. 70 Prozent aller Hungernden der Welt sind Kleinbauernfamilien und Landarbeiter!
Verantwortungsvolle Marktgestaltung bedeutet nicht „Mehr Freiheit des Marktes“, sondern „Mehr Freiheit ALLEN Marktteilnehmern.“ Die Unterzeichner appellieren an alle, die immer wiederkehrenden Statements von der „Freiheit der Märkte“ kritisch zu hinterfragen. Dies ist der erste Schritt zur Beendigung der „Regelung der Märkte im Namen der Nichtregelung“.

Die vollständige Resolution finden Sie hier.


Für die Resolution

Prof. Onno Poppinga u. Dr. Katrin Hirte (ehem. FG Landnutzung und Regionale Agrarpolitik am FB Ökologische Agrarwissenschaften der Universität Kassel)
http://www.uni-kassel.de/agrar/lra/


Die Unterzeichner:

Prof. Elmar Altvater, em. Professor für Politikwissenschaft am Otto-Suhr-Institut der FU-Berlin

Dr. Rainer Bartel, Linz

Jacques Berthelot, Former Lecturer in economics at the Ecole Nationale Supérieure Agronomique de Toulouse

Prof. Mathias Binswanger, FH Nordwestschweiz Olten

Prof. Dieter Boegenhold, Free University of Bolzano, Economics and Management, Italy

Germana Bottone, Istituto di Studi e Analisi Economica, Italy

Prof. Dieter Boegenhold, Free University of BolzAno, Economics and Management, Italy

Jean-Marc Boussard, Académie d'Agriculture de France

Manuel Branco, University of Évora, Portugal

Dr. Beate Brüggemann, INFIS - Institut für internationale Sozialforschung

Prof. Rosaria Rita Canale, Associate professor of Economic Policy, University of Naples

Thomas Dürmeier, Universität Kassel

Christoph Gran, Universität Heidelberg, Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik

Prof. Dr. Franz- Theo Gottwald, Schweisfurth- Stiftung München

Prof. Dr. Reinhold Hedtke, Universität Bielefeld, Fakultät für Soziologie

Dr. Gerhard Hovorka, Bundesanstalt für Bergbauernfragen Wien

Prof. Heide Inhetveen, Universität Göttingen

Assistant Professor Pavlos Karanikolas, Dept. of Agricultural Economics & Rural Development, Agricultural University of Athens

Dr. Niek Koning, Uni Wageningen

Jean-Christophe Kroll, Professoeur et Président du département d'Economie et sociologie d'AgroSup Dijon

Prof. Birgit Mahnkopf, Professorin für Europäische Gesellschaftspolitik Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin

Prof. Ilke Marshall, FG Landschaftsplanung an der FH Erfurt

Prof. Walter Oetsch, Johannes Kepler Universität Linz

Theofanis Pakos, Professor of economics, panteion Univ;ersity, Athns, greece

Cosimo Perrotta, full professor of the History of Economic Thought
Università del Salento (Italy)

Prof. Dr. Hans J. Pongratz, Institut für Soziologie, Ludwig-Maximilians-Universität München

Dr. Rainer Riehle, INFIS - Institut für internationale Sozialforschung

Prof. Dr. Markus Schermer, Department of Sociology, Universität Innsbruck

Prof. Wolf Schluchter, BTU Cottbus

Prof. Christoph Scherrer, Universität Kassel, FG Globalisierung und Politik

Dr. Christian Schüler, Universität Kassel

Mag. Herbert Schustereder, Caritas Oberösterreich, Personalentwicklung / Grundlagen, Linz

Prof. em. Udo E. Simonis, Wissenschaftszentrum Berlin (WZB)

Stefano Solari, associate professor of Political Economy, Department of Economics, Università di Padova

Pr. Alfredo Suarez, Faculté d'Economie et de Gestion, Université de Picardie Jules Verne (UPJV), Amiens – France

Dr. Frieder Thomas, Kasseler Institut für Ländliche Entwicklung

Aurélie Trouvé, Maître de conférences en économie, CESAER (AgrosupDijon -INRA)

Prof. em. Dr. Peter Ulrich, Universität St. Gallen, Institut für Wirtschaftsethik

Prof. em. Mario von Cranach, Sozialpychologe, Universität Bern

Tanja von Egan- Krieger, Universität Greifswald

Prof. Irene van Staveren, Feminist Development Economics (Institute of Social Studies), Economics and Christian Ethics (Nijmegen University) Netherlands (PD)
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