Vorsprung durch Wissen
Das Informationszentrum für die Landwirtschaft
22.10.2013 | 15:12 | Netzkosten-Rabatte 

Netzentgelte: Der umstrittene Mitternachts-Paragraf

Berlin - Wenn man so will, muss der Golfclub Johannesthaler Hof als Sündenbock für eine unfaire Kostenverteilung bei der Energiewende herhalten.

Stromkosten
(c) proplanta
Der Club am Rande des Schwarzwalds kommt wegen eines starken Stromverbrauchs in lastschwachen Nebenzeiten - etwa wenn Bewässerungsanlagen nachts laufen - bis 2015 in den Genuss geringerer Netzentgelte. Das Beispiel dient gerade den Grünen für scharfe Angriffe. Und neue Zahlen zeigen: Die von Union und FDP ausgeweiteten Rabatte nutzen immer mehr Firmen und Einrichtungen.

Wirtschaftsstaatssekretär Stefan Kapferer hat auf eine Anfrage der Grünen nun mitgeteilt, dass im laufenden Jahr nochmal rund 1.500 neue Anträge bei der dafür zuständigen Bundesnetzagentur gestellt werden könnten. Da Befreiungen unbefristet oder für mehrere Jahre gewährt werden, kämen sie oben drauf. Einige Beispiele aus der Liste der schon genehmigten Anträge, zu der im übrigen auch mehrere Medienhäuser und TV-Sender gehören: Der Friedrichstadtpalast in Berlin, Kühlhäuser, Schlachthöfe oder Fast-Food-Imbisse.

Allerdings sind die Vorteile etwa beim Golfclub Johannesthaler Hof überschaubar. «Wir zahlen je nach Verbrauch 1.500 bis 3.000 Euro im Jahr weniger», sagt Geschäftsführer Werner Schaffner. Aber: 2.329 Anträge wurden seit 2011 schon positiv beschieden - die Kosten hierfür kletterten auf 440 Millionen Euro 2012 und könnten im laufenden Jahr nach Schätzungen über 800 Millionen Euro betragen.

Was bei der Förderung erneuerbarer Energien die Ökostrom-Umlage ist, ist in diesem Bereich die sogenannte Paragraf-19-Umlage, mit der Mittelstand und Bürger die Netzkosten-Ausnahmen mitbezahlen. Die Umlage ist ebenfalls Teil des Strompreises. Jeder Bürger muss derzeit bei einem durchschnittlichen Verbrauch von 3.500 kWh rund 11,50 Euro im Jahr dafür zahlen. Großfamilien 19,70 Euro im Jahr.

Doch: 2014 wird die Paragraf-19-Umlage stark sinken, gaben am Montag die zuständigen Übertragungsnetzbetreiber bekannt. Dadurch müssen durchschnittliche Haushalte nur noch rund 3,20 Euro im Jahr dafür bezahlen. Der Grund: Neben reduzierten Netzentgelten wie beim besagten Golfplatz gab es seit 2011 eine Komplettbefreiung für über 200 Unternehmen mit einem besonders hohen Stromverbrauch. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hatte die Komplettbefreiung aber gekippt, zudem sah die EU-Kommission wettbewerbsrechtliche Probleme.

Im Juli wurde der Paragraf 19 der Stromnetzentgeltverordnung daher vom Bundeskabinett zumindest bei der Komplettbefreiung revidiert. Diese galt bisher als der Hauptkostentreiber. Die Unternehmen müssen nun rückwirkend mindestens zehn Prozent der allgemeinen Kosten für den Transport von Strom bezahlen - vorausgesetzt, sie verbrauchen pro Jahr 10 Gigawattstunden Strom und nehmen über 8.000 Stunden Strom ab. Werden nur 7.000 Stunden Strom abgenommen, sind 20 Prozent der Netzentgelte zu zahlen.

Durch die Aufhebung der Komplettbefreiung war die Umlage 2012 und in diesem Jahr zu hoch, dies ist nun für das deutliche Sinken der Umlage 2014 mitverantwortlich. Aber: Wegen der vielen neuen Anträge ist ein erneutes Steigen der Umlage nicht unwahrscheinlich.

Der Paragraf 19 ist seit der Fukushima-Wende ein Streitpunkt. Im politischen Berlin firmiert er als «Mitternachtsparagraf», weil Änderungen in der turbulenten Schlussphase der Gesetzesberatungen zur Energiewende kurz vor der Abstimmung zunächst weitgehend unbemerkt untergebracht wurden. So wurde neben Rabatten bei hoher Stromabnahme nachts auch für die energieintensivsten Unternehmen mit einer hohen Abnahme die 100-prozentige Befreiung beschlossen.

Union und FDP begründeten dies mit einer netzstabilisierenden Wirkung durch die gleichmäßige, berechenbare Stromabnahme - und einer Sicherung von Arbeitsplätzen - doch braucht es auch Nachlässe für Autohäuser, Imbisse und Schlachthöfe? Der Grünen-Politiker Oliver Krischer fordert von einer möglichen großen Koalition daher, rasch weitere Anpassungen vorzunehmen, vor allem beim Passus der sogenannten atypischen Netznutzung, der etwa dem genannten Golfclub zum Vorteil gereicht. «Es kann nicht sein, dass die privaten Haushalte die Strompreise für Golfplätze, Autohäuser und Hähnchenmäster mitbezahlen», betont Energiefachmann Krischer. (dpa)
Kommentieren
weitere Artikel

Status:
Name / Pseudonym:
Kommentar:
Bitte Sicherheitsabfrage lösen:


  Weitere Artikel zum Thema

 Habeck sieht sinkende Strompreise trotz Atomausstieg

 Besserer Schutz vor hohen Strompreisen

 Der EnBW geht es gut - Preise für Kunden steigen

 Habeck will Verbraucher bei Netzentgelten entlasten

 Eon will sinkende Einkaufspreise auch künftig an Kunden weitergeben

  Kommentierte Artikel

 Tag des Wolfes - Bauern machen Druck für vereinfachten Abschuss

 Erleichterungen bei GAP-Anträgen und Hanfanbau

 In der Corona-Pandemie wurden zu oft Antibiotika verschrieben

 Jäger sehen dringenden Handlungsbedarf bei Umgang mit Wölfen

 Söder setzt sich gegen Verbrenner-Aus ab 2035 ein

 2023 war Jahr der Wetterextreme in Europa

 Wind- und Freiflächen-Solaranlagen: Niedersachsen führt Abgabe ein

 Keine Reduzierung beim Fleischkonsum durch Aufklärung

 Größter Solarpark von Rheinland-Pfalz eröffnet

 Gipfelerklärung der EU setzt auf Lockerungen für Landwirte