Von dort geht es weiter zur Rübenprobenanlage «Rüpro», wo ein Stecherrohr von oben in jede Lkw-Ladung greift und eine Probe von 40 Kilo Rüben zieht. Über ein Fließband gelangt die Ernte in das Labor, wo Laborantin Regina Schmidt den Zuckergehalt der Probe bestimmt.
Für Produktionsleiter Volker Hoffmann ist dieser Moment - wie zu jedem Kampagnenstart - die Stunde der Wahrheit: «Trotz der Proberodungen in den vergangenen Tagen wissen wir bisher nicht, was wir bekommen.» Gebannt schaut Hoffmann auf den Monitor. Die Anspannung weicht einem zufriedenen Lächeln. Der Zuckergehalt der ersten Proben liegt bei durchschnittlich 16, 5 Prozent. «Das ist ein tolles Ergebnis.»
Die Rübenernte könnte den von Regen und Getreidemissernten gebeutelten Bauern noch einen versöhnlichen Ausklang des ansonsten kritischen Jahres bringen. «Zucker ist in diesem Jahr die stabilisierende Frucht für die Bauern», sagt die Geschäftsführerin der beiden Rübenanbauverbände in Mecklenburg-Vorpommern, Antje Wulkow. Dank der frühen Aussaat im März und der hohen Feuchtigkeit im Sommer haben die Rüben bereits Anfang September ein stattliches Gewicht von 800 Gramm - eine Größe, wie man sie ansonsten nur aus den ersten Oktobertagen kennt. Wegen der guten Ernteprognosen startete die zum niederländischen Konzern Suiker Unie gehörende Zuckerfabrik in Anklam zwei Wochen früher in die Zuckerkampagne.
Bis Mitte Januar will das Werk 1,4 Millionen Tonnen Rüben verarbeiten. Auch im Werk der
Nordzucker AG im niedersächsischen Uelzen begann am Donnerstag die Verarbeitung.
Der Anklamer Firmenchef Matthias Sauer prognostiziert einen Ertrag von 10,8 Tonnen Zucker je Hektar. «Das wäre der zweitbeste Wert in der Firmengeschichte nach dem Rekordjahr von 2009.» Die EU-Zuckermarktordnung erlaubt für das Werk eine Produktionsquote von 112.000 Tonnen Nahrungszucker. Um auch sogenannte «Überrüben» verarbeiten zu können, produziert das Werk seit drei Jahren Bioethanol. Rund die Hälfte der erwarteten 1,4 Millionen Tonnen Rüben gehen in diesem Jahr in die Bioethanolproduktion. 64 Millionen Liter will das Werk in diesem Jahr an Raffinerien wie Schwedt oder Leuna liefern, wo der
Bioethanol Kraftstoffen beigemischt wird.
Die Rübe als Energiefrucht macht inzwischen der Rübe als Nahrungsfrucht Konkurrenz. Im zweiten Jahr hintereinander sei der Zucker auf dem Weltmarkt im Verhältnis zur Nachfrage knapp. «Die Landwirte haben die Erwartung, dass die Preise langfristig steigen, weil der Weltmarkt nicht so gut mit Zucker versorgt wird», sagt Thies Holtmeier, Vorsitzender des Anklamer Anbauerverband für Zuckerrüben.
Traditionelle Zuckerländer produzieren zunehmend aus dem Rohstoff Ethanol, weil die Preise auf dem Weltmarkt lukrativ seien. (dpa)