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12.08.2010 | 20:20 | Radikal-islamische Gruppen profitieren von der Naturkatastrophe in Pakistan 

«Wenn niemand hilft, dann sind wir hier»

Islamabad/Neu Delhi - Zargul Khan ist den Islamisten zutiefst dankbar.

Hochwasser
(c) proplanta
Als sein Dorf im Nordwesten Pakistans in den Fluten unterging, flüchteten der 38-jährige, seine vier Kindern, seine Ehefrau und seine Mutter auf das Dach ihres Hauses. Dort harrten sie zwei Tage lang aus. «Wir waren so hungrig, dass meine Frau unser zwei Monate altes Baby kaum noch füttern konnte», sagt Khan. Als die Not am größten war, kamen schließlich Helfer - Angehörige einer islamistischen Gruppe. Die Helfer, die Lebensmittel verteilten, gehörten der Falah-e Insaniyat (Stiftung für das Wohlergehen der Menschheit) an.

Unter diesem Namen gründete sich die Jamaat-ud-Dawa (JuD/Gesellschaft der Reinen) neu, nachdem die Gruppe von den Vereinten Nationen auf die Liste der Terrororganisationen gesetzt und von der Regierung verboten worden war. Der Grund: Der JuD werden Verbindungen zu den Drahtziehern der Terrorserie im westindischen Mumbai Ende 2008 vorgeworfen. Khan hält das für üble Nachrede - auf seine Retter lässt er nichts kommen.

«Ich glaube, dass unsere Feinde, Indien und der Westen, ihnen etwas anhängen wollen», sagt er. «Diese Menschen retten Leben und nehmen es nicht. Jeder in meinem Dorf ist dankbar dafür, was sie für uns getan haben.» Zwar weist JuD-Sprecher Yahya Mujahid politische Motive für die Hilfe zurück. Glaubwürdig aber erscheint das kaum.

Seit Jahren eskaliert der Konflikt zwischen den mächtigen Islamisten und der Regierung der südasiatischen Atommacht. Dass die pakistanische Regierung sich im Kampf gegen den Terrorismus offiziell an die Seite der USA gestellt hat, missfällt nicht nur den religiösen Hardlinern, sondern auch weiten Teilen der Bevölkerung.

Die Naturkatastrophe bringt auch die USA in eine prekäre Lage. Bei vielen Pakistanern sind die Amerikaner ohnehin verhasst. Wenn es Islamisten nun gelingt, mit ihrer Hilfe noch größere Sympathien in der Bevölkerung zu gewinnen, bedroht dies das pakistanisch- amerikanische Bündnis im Kampf gegen Terroristen in der Region. Die US-Regierung weiß zudem, dass sie ohne Pakistan keinen Erfolg beim Krieg im benachbarten Afghanistan haben kann. Auch deshalb wollen die USA ihre Hilfe für die Flutopfer nun kräftig ausweiten: Sie kündigten an, deutlich mehr der extrem wichtigen Hubschrauber für die Rettungsarbeiten in Pakistan einzusetzen.

Bereits beim Erdbeben in Pakistan 2005 profilierten sich radikale Gruppen mit schneller unbürokratischer Hilfe für die Notleidenden. Auch das Ausmaß der jüngsten Katastrophe hätte Regierungen und Helfer selbst in weniger armen Ländern überfordert. Dass es aber in Pakistan besonders in den ersten Tagen zu einem Vakuum kam, das die Islamisten füllen konnten, liegt auch an Versäumnissen. Die Hilfe der Regierung lief langsam und bürokratisch an, und die von der Staatengemeinschaft bereitgestellten Mittel reichten nicht aus. Hass der Betroffenen zog sich Präsident Asif Ali Zardari zu, der ungerührt in Europa weilte, während sein Land in den Fluten versank. Selbst Behördenvertreter räumen unter der Hand ein, dass sie auf Hilfe von Islamisten angewiesen waren.

Bei der Evakuierung der Stadt Muzaffargarh hätten JuD-Angehörige den Verkehr geregelt und so ein Chaos verhindert, sagt ein Beamter, der anonym bleiben will. «Jetzt setzen sie ihre Freiwilligen ein, um der Polizei dabei zu helfen, die von den Bewohnern verlassenen Häuser zu bewachen.» Nicht nur die JuD beeilte sich, die Lücken zu füllen. «Wenn niemand in der Regierung und bei den sogenannten internationalen Organisationen Verantwortung für die Rettungsarbeiten übernimmt, dann sind wir hier, um unseren Brüdern und Schwestern zu helfen», sagt Salamat, ein Freiwilliger der Jamiat Ulma-e-Islam. Der Gruppe werden enge Verbindungen zu den Taliban nachgesagt.

Im Nordwesten Pakistans engagiert sich außerdem die radikale Jamaat Islami bei der Fluthilfe. Um die zahlreichen afghanischen Flüchtlinge in der Region kümmert sich wiederum die Hisb-e Islami (HIG) des afghanischen Ex-Premierminister Gulbuddin Hekmatyar. Auf der anderen Seite der Grenze kämpfen seine Männer gegen die ausländischen Truppen. Die pakistanischen Taliban nutzten die Not zumindest für ihre Propaganda: Sie forderten zum Verzicht der Fluthilfe der «Christen und Juden» auf - und boten dafür ihrerseits 20 Millionen Dollar (etwa 15,5 Millionen Euro) aus ihrer gut gefüllten Kriegskasse.

«Die islamistischen Gruppen sind gut organisiert, und ihre Mitarbeiter sind sehr gut ausgebildet», sagt der Analyst und frühere General Talat Masood. «Sie werden versuchen, den größtmöglichen Nutzen aus der Situation zu ziehen und möglichst viel öffentliches Wohlwollen zu gewinnen.» Masood ist überzeugt davon, dass die Katastrophe die Extremisten stärken wird: «Letztendlich werden sie mehr Rekruten haben, die sich ihren Reihen anschließen.» (dpa)
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