Ein stechend kalter Nordwestwind pfeift um die Masten und Aufbauten, erzeugt so ein monotones, bedrohlich klingendes Heulen. An den Metallgestellen, die diversen meteorologischen Messgeräten Halt bieten, formt der Sturm unwirklich aussehende Gebilde aus Nebelfrost, die sich wie waagerechte Eiszapfen gegen die Windrichtung recken. Wetterbeobachter Adler rückt seine Mütze noch einmal zurecht, ehe er einige Schritte durch den Schnee stapft und die Türe eines kleinen Wetterhäuschens öffnet. Minus vier Grad zeigt das Quecksilberthermometer an.
Dass Adler aus der gut beheizten Station überhaupt regelmäßig an diesen unwirtlichen Platz hinaufsteigt, hängt mit dem
Klimawandel zusammen. Um diesen genauer verfolgen und analysieren zu können, hat sich der Deutsche Wetterdienst (DWD) entschlossen, bundesweit zwölf «Klimareferenzstationen» zu benennen, darunter die auf dem mit 1142 Metern höchsten Berg Norddeutschlands. Dort werden die Wetterdaten nicht nur wie in den meisten der 2100 Messstellen automatisch mit modernster digitaler Messtechnik erfasst, sondern parallel von Menschen - ganz wie zu Großvaters oder Urgroßvaters Zeiten.
«Die Messverfahren haben sich in der Vergangenheit immer wieder verändert, auch in Zukunft wird das so sein», sagt DWD-Präsident Wolfgang Kusch. Für Wettervorhersagen und -analysen sei das kein Problem, für Klimaauswertungen schon: Um hier Entwicklungen wie die vielzitierte Klimaerwärmung zu erkennen und dokumentieren zu können, sind 20, 30, ja 100 Jahre dauernde Messreihen erforderlich. «Ein Wechsel der Messtechnik kann zu Verzerrungen, zu Fehlinterpretation führen: Eine kontinuierlich gleichbleibende Qualität stellt der Mensch sicher.»
Und so ermitteln Adler und seine sechs Kollegen auf dem Brocken die Temperatur mittels Sensoren computergesteuert, lesen sie aber auch ganz altmodisch am Quecksilber-Thermometer ab, wie es eben schon vor 200 Jahren üblich war. Erkenntnisse zu Dampfdruck, Taupunkt oder Luftfeuchte liefern ebenfalls elektronisch Geräte - oder das «Aßmannsche Hüttenpsychrometer», benannt nach dem in Magdeburg geborenen Meteorologen Richard Adolph Aßmann (1845-1918). Die simpel anmutende Konstruktion besteht aus mehreren senk- und waagerecht platzierten Thermometern, einer Belüftungsvorrichtung - und einem Strumpf: «Hiermit können wir die tiefste Feuchttemperatur ermitteln», erläutert Adler dem staunenden Laien.
Ein anderes Beispiel für das Nebeneinander von Alt und Neu sind die Apparate, mit denen die Wetterbeobachter die Sonnenscheindauer messen. Der «Sonnenscheinautograph» bündelte schon vor 100 Jahren das Sonnenlicht in einer Kugel mit Brennglas, die ähnlich eines Globusses in einem Gestell befestigt ist. Schräg gegenüber steht eine Anlage namens «Soni», in der das ganze auf elektronischem Wege mittels Sensoren passiert.
Warum wählte der
DWD den Brocken als Rerefenzstation aus, neben anderen Wetterwarten etwa auf der Nordseeinsel Helgoland, dem Fichtelberg in Sachsen, in Potsdam oder Konstanz? «Wegen der langen Tradition der Wetterbeobachtung und seiner einmaligen Lage», erläutert der für das bundesweite Messnetz zuständige DWD-Fachmann Olaf Schulze. Tatsächlich ist der Berg, auf dem es seit 1895 eine Wetterwarte und laufende Messreihen gibt, ein Unikum: So wie er ragt kein anderer aus der norddeutschen Tiefebene heraus, er ist der windigste Ort Europas, der schneereichste weit und breit - derzeit liegen noch 1,80 Meter der weißen Pracht - und mit gut 300 Tagen pro Jahr auch einer der nebelreichsten. Viel Stoff für die DWD-Klimaforscher, die die Daten vom Berg wie von allen anderen Messstellen zentral in Offenbach zusammenführen. (dpa)