«Lieferengpässe von größerem Ausmaß und leere Kühlregale sind in der jetzigen Situation in absehbarer Zeit nicht zu befürchten», betonte aber der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Einzelhandelsverbands, Stefan Genth, in Berlin. Zwar räumten die protestierenden Bauern einige der blockierten Molkereien wieder. Viele Betriebe waren aber weiter von der Milchlieferung abgeschnitten, etwa Europas größte Molkerei Sachsenmilch bei Dresden.
Einige Molkereien mussten wegen der Blockaden die Produktion einstellen, darunter die rheinland-pfälzischen Großmolkereien Hochwald und Milch-Union Hocheifel (MUH). Allein der MUH entsteht nach Unternehmensangaben ein Schaden von 2,5 Millionen Euro pro Tag. Die Milchindustrie droht den Bauern deshalb mit Klagen.
«Es steht nicht mehr in jedem Markt und in jeder Region das volle Sortiment an Milchprodukten zur Verfügung. Wie sich die Situation weiter entwickelt, können wir nicht vorhersagen», sagte Alexander Lüders, Sprecher des größten deutschen Lebensmittel-Einzelhändlers Edeka. Der Süden Deutschlands sei stärker betroffen als der Norden.
Auch in einigen Läden des drittgrößten deutschen Discounters Plus gab es Engpässe, bestätigte eine Sprecherin der Tengelmann-Tochter. Die Handelskette Globus rechnet spätestens von Montag an mit Versorgungslücken.
Am Dienstag zeigte sich auch Edeka offen für Verhandlungen über einen höheren Milchpreis. «Generell sind wir zu Gesprächen bereit, auf der Grundlage marktwirtschaftlicher Gesetze», sagte Edeka- Sprecher Lüders. Der Verband Deutscher
Milchviehhalter (
BDM) wollte den Lieferboykott dennoch fortsetzen und trat Berichten über ein Ende des Lieferstopps entgegen. Derzeit blieben etwa 80 Prozent der Milch auf den Höfen, rund 70 Prozent der Milchbauern beteiligen sich laut BDM. Am Montagabend hatten sich Vertreter der Bauern und des Handels zu einem ersten Gespräch getroffen. «Die Molkereien müssen jetzt auf die einzelnen Handelsunternehmen zugehen», hatte Bauernverbands- Sprecher Michael Lohse im Anschluss gesagt. Weitere Stellungnahmen lehnten die Verbände ab.
Die Milchindustrie droht den Bauern nun mit Klagen. «Die Boykotte sind illegal. Und Illegales muss man mit dem Gesetz bekämpfen», sagte Eberhard Hetzner, Geschäftsführer des Milchindustrie-Verbandes, der «Westdeutschen Allgemeinen Zeitung». Der Verband werde seinen Mitgliedern empfehlen, juristisch gegen Boykotte vorzugehen.
Die Agrar- und Verbraucherpolitiker der CDU/CSU-Bundestagsfraktion forderten die Bauern auf, die Barrikaden zu beenden. In Tankwagen vergammelnde Milch sei «absolut nicht zu akzeptieren», kritisierte der Agrarsprecher der Unionsfraktion, Peter Bleser. Der Deutsche
Bauernverband (
DBV) wandte sich ebenfalls gegen illegale Aktionen. Das Demonstrationsrecht müsse eingehalten werden, sagte DBV-Sprecher Michael Lohse. Die deutschen Bauern boykottieren seit einer Woche die Molkereien, um einen Milchpreis von 43 Cent zu erzwingen.
Für die Schweizer Milchproduzenten hat sich der Lieferboykott bereits ausgezahlt: Sie erhalten von Juli an für ein halbes Jahr sechs Rappen (fast vier Cent) mehr pro Kilo Milch. An dem Boykott hatten sich am Montag etwa 10.000 der 27.000 Milchbauern in der Schweiz beteiligt. (dpa)