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16.07.2013 | 13:09 | Tierschutz oder Religionsfreiheit? 

Schächtungsverbot in Polen spaltet das Land

Warschau - Für die einen war es ein Sieg des Tierschutzes, für die anderen der «schlimmste Schlag gegen die jüdische Gemeinschaft in Polen» seit Jahrzehnten. Das Schächtungsverbot in Polen spaltet das Land und sorgt für heftige Reaktionen in den USA und in Israel.

Schächtungsverbot Polen
(c) proplanta
Seit mehr als 20 Jahren widmet sich Michael Schudrich dem Wiederaufbau jüdischer Gemeinden in Polen, seit 2004 ist der gebürtige New Yorker Oberrabbiner in dem streng katholischen Land. Es war und ist nicht immer leicht für die jüdische Minderheit, die vor dem Zweiten Weltkrieg ein Zehntel der polnischen Bevölkerung stellte.

Doch jetzt hadert der Rabbi schwer mit seiner Wahlheimat. Die Entscheidung des polnischen Parlaments vom vergangenen Freitag, Schächtungen nicht zuzulassen, ist für Schudrich «der schlimmste Schlag gegen die jüdische Gemeinde in Polen in den vergangenen 30 Jahren».

Sollte es in den kommenden Monaten nicht einen Kompromiss geben, der Juden und Muslimen in Polen die Einhaltung ihrer religiösen Speisevorschriften ermögliche, werde er sein Amt niederlegen, drohte Schudrich.

Als «völlig inakzeptabel» kritisierte auch Jigal Palmor, ein Sprecher des israelischen Außenministeriums, am Montag den Parlamentsbeschluss. Die Entscheidung füge der Wiederbelebung des jüdischen Lebens in Polen schweren Schaden zu. Zuvor hatten bereits der Jüdische Weltkongress und die Antidiffamierungsliga den Parlamentsbeschluss als Verletzung der Religionsfreiheit verurteilt.

Reaktionen muslimischer Verbände stehen bisher aus, doch schon vor der Abstimmung im Parlament hatte sich der Verband der Muslime in Polen in einem Schreiben an Staatspräsident Bronislaw Komorowski auf die Europäische Menschenrechtscharta berufen, die eine freie Religionsausübung garantiere.

Im Januar trat eine EU-Regelung in Kraft, die das Schlachten von Tieren nach jüdischem und muslimischen Religionsvorschriften erlaubt. Allerdings kann jeder Mitgliedstaat entscheiden, das EU-Recht zu übernehmen oder eine eigene Regelung einzuführen.

Ausdrücklich verboten ist das Schächten in Schweden, der Schweiz, in Norwegen und Island. In Deutschland ist das Schlachten ohne Betäubung zwar grundsätzlich verboten, es gibt aber Ausnahmeregeln für Fleisch, das koscher oder halal sein muss.

Wer als Jude oder Muslim koscher beziehungsweise halal leben will, darf nur Fleisch von geschächteten Tieren verzehren. Das heißt, dem Tier wird die Halsschlagader mit einem einzigen Schnitt durchgetrennt, das Tier blutet aus.

Das polnische Verfassungsgericht hatte diese Art der Schlachtung auf Antrag von Tierschützern als verfassungswidrig bezeichnet, da die Tiere bei Bewusstsein sind. Die polnische Regierung wollte mit einem Gesetzesvorhaben Schächtungen unter bestimmten Voraussetzungen zulassen, konnte sich aber selbst in den eigenen Reihen nicht durchsetzen.

So argumentierte die liberalkonservative Parlamentspräsidentin mit dem hippokratischen Eid, den sie als Ärztin geleistet habe. Auch Tieren müsse unnötiges Leiden erspart bleiben, begründete sie ihr Nein zur Schächtung.

Auch in der Argumentation über das Gesetz ging es stets um die «humanitäre» Tötung der Tiere. Wer einmal einen industriell betriebenen Schlachtbetrieb gesehen hat, könnte allerdings die Frage stellen, ob das denn überhaupt möglich ist.

Antisemitismus habe bei der Entscheidung im Parlament keine Rolle gespielt, versichern Politiker aller Fraktionen. Gläubige Juden oder Muslime könnten doch einfach importiertes Fleisch kaufen, dass den Speisevorschriften entspreche.

Rinderzüchter und Fleischbetriebe fürchten unterdessen um Tausende Arbeitsplätze und erwarten Millionenverluste. Denn Fleisch von geschächteten Tieren hatte bisher einen Anteil von 30 Prozent an den polnischen Rindfleischexporten. Im Land von Kielbasa und Kabanossi ist der Rindfleischverzehr minimal - nur 2,2 Kilogramm Rindfleisch pro Einwohner wurden 2012 laut Statistikangaben in Polen gegessen.

Janusz Piechocinski, polnischer Wirtschaftsminister und Chef der Bauernpartei PSL, befürchtet daher angesichts der wirtschaftlichen Auswirkungen des Schächtverbots Entschädigungsklagen. (dpa)
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