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03.01.2017 | 01:45
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Konzept für Wolfsrückkehr fehlt

Wölfe in Deutschland
Die Zahl der Schafe, die bei Wolfsangriffen getötet werden, steigt. Jäger fordern den Abschuss des Raubtieres, Naturschützer mahnen zur Besonnenheit, die Politik ringt um die Regelung von Konflikten. Das richtige Vorgehen bleibt umstritten. (c) natureguy - fotolia.com

Jäger und Naturschützer streiten über Abschuss von Wölfen



Viermal hat es Schäfer Torsten Kruse schon erwischt. Viermal hat ein Wolf im vergangenen Jahr seine Tiere angegriffen. Mitte Dezember wurden zwei Schafe auf der Weide in der Börde nahe Haldensleben gerissen.

«Der Wolf springt einfach über den Zaun», sagt Kruse. Dabei hat der Schäfer schon aufgerüstet, einen höheren Elektrozaun angebracht, Wachhunde angeschafft. Sachsen-Anhalts Wolfsbeauftragter Andreas Berbig hat sich die Situation vor Ort angeschaut. «Wir müssen überlegen, was wir da noch tun können, um wieder Ruhe zu bekommen», sagt er.

Nur was? Mehr als 70 Schafe sind dem Wolf allein im vergangenen Jahr in Sachsen-Anhalt zum Opfer gefallen. Berbig spricht von einer steigenden Tendenz. In den umliegenden Bundesländern sieht es nicht anders aus. Das Bundesumweltministerium listet für das Jahr 2015 in Sachsen 139 durch den Wolf gerissenen Schafe auf und in Brandenburg 74. In Niedersachsen wurden bis Ende November 52 Vorfälle erfasst, bei denen ein Wolf als Verursacher sicher oder sehr wahrscheinlich gilt. Rund 120 Nutztiere wurden getötet oder mussten eingeschläfert werden, heißt es vom Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN).

Fakt ist: Der Wolf - lange Zeit in Deutschland ausgerottet - kehrt zurück, die Zahlen steigen. Bundesweit gab es im abgelaufenen Monitoring-Jahr 2015/16 46 Wolfsrudel, davon 16 in Brandenburg, 15 in Sachsen und 7 in Sachsen-Anhalt. Hinzu kommen in den drei Ländern 13 Wolfspaare und 3 Einzeltiere. Ein Wolf lebt in Thüringen, wo sich die Tiere bislang nicht im großen Stil wieder ansiedelten.

Vor allem aus den Reihen der Jäger kommen Forderungen, die Ausbreitung des Wolfes stärker zu regulieren. «Aktuell beobachten wir, dass der Wolf das Muffelwild zurückgedrängt», sagt der Geschäftsführer von Sachsen-Anhalts Jagdverband, Wilko Florstedt. Im Sinne des Artenschutzes dürfe aber nicht eine Tierart gegen eine andere aufgewogen werden. Naturschützer halten dagegen, dass es sich beim Wildschaf Mufflon - jägersprachlich Muffelwild - nicht um eine ursprünglich in Deutschland heimische Tierart handelt.

Florstedt sagt, es fehle schlicht ein bundesweites Konzept, eine Zielgröße, wie sich der Wolfsbestand entwickeln soll. «Zunehmend regt sich Missmut, die Akzeptanz für den Wolf schwindet.» Besonders bei Bauern, die durch Wolfsangriffe Tiere verloren haben.

Berbig beruhigt: Zwar führe die steigende Zahl der Wölfe auch zu mehr Angriffen der Raubtiere, das halte sich jedoch im Rahmen. Auch Naturschützer mahnen zu Besonnenheit. «Die Rückkehr des Wolfes ist eine Erfolgsgeschichte», sagt Christiane Schröder vom Naturschutzbund (Nabu) Brandenburg. Der Wolf erobere sich Lebensräume zurück, weil er nicht mehr gejagt werden darf. Ist ein Revier durch ein Rudel esetzt, finde dort auch keine weitere Ansiedlung statt.

Trotzdem wird von Jägerseite immer wieder ein Abschuss ins Spiel gebracht. Bislang ist das in Deutschland wegen des strengen Schutzes des Wolfes verboten. Florstedt empfiehlt, sich an anderen Ländern zu orientieren. «Länder wie Frankreich, Schweden oder Finnland greifen aktiv in die Population ein, um den rasanten Anstieg des Wolfsbestandes etwas abzubremsen.» Das könne auch Konflikte mit Tierhaltern minimieren.

Schröder vom Nabu hält dagegen. Bestände durch Abschuss zu regulieren mache keinen Sinn. «Wenn da aus einem Rudel ein Tier rausgeschossen wird, muss sich das ganz Rudel neu finden.» Das bedeute: Ein älteres Tier habe gelernt, das Rudel vom Elektrozaun um eine Schafherde fernzuhalten. Werde dieses Tier geschossen, probiere das Rudel vielleicht wieder mehr aus. Berbig sagt dazu: «Ein Wolf, der abgeschossen wird, kann seine Erfahrung nicht mehr weitergeben.»

Macht ein bestimmter Wolf allerdings regelmäßig Probleme, kann er trotz strenger Schutzvorgaben bereits heute abgeschossen werden. So wurde der im Internet liebevoll «Kurti» genannte Wolf MT6 aus dem Rudel bei Munster in Niedersachsen als bundesweit erster Wolf seit Rückkehr der Tiere legal getötet. Der Rüde wurde Ende April erschossen, nachdem er sogar den angeleinten Hund von Spaziergängern gebissen haben soll. Schäfer Kruse fordert das auch für die Wölfe um seine Weide: «Das sind Problemwölfe, die gehören abgeschossen.»

Ene bessere Steuerung wünschen sich die Naturschützer, wenn es um Schutzmaßnamen der Schäfer vor Wolfsangriffen geht. Betroffene können hier Fördergeld erhalten, wenn sie ihre Weide etwa mit Elektroschutzzäunen ausstatten - so wie es auch Kruse gemacht hat. In Sachsen-Anhalt flossen dafür 2016 rund 93.00 Euro. Auch für nachweislich durch den Wolf getötete Tiere gibt es Geld. «Die Vergabe ist aber viel zu bürokratisch», kritisiert Schröder. Zudem seien Hobbyhalter häufig von der Förderung ausgeschlossen. Geld sollte es Schröder zufolge auch nicht nur für die Anschaffung der Zäune, sondern auch für deren Unterhalt geben.

Torsten Kruse hat zum Schutz seiner Schafe noch weitere Hunde angeschafft. «Schafe und Hunde müssen sich aber erst aneinander gewöhnen.» Immerhin: Seit er den jungen Rüden auf seinen beiden Weiden je einen erfahrenen Hund zur Seite gestellt hat, herrscht Ruhe vor dem Wolf. «Mal sehen, wie lange das gut geht.»
dpa
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Kommentare 
cource schrieb am 03.01.2017 09:59 Uhrzustimmen(77) widersprechen(118)
also, wenn die EU-Entscheider den Biber wieder zum Abschuss freigeben, warum sollten sie nicht auch beim wolf kleinbei geben, der EU-Naturschutz hat Narrenfreiheit: er darf dem Regionalen Naturschutz vorschreiben welche Tierarten bevorzugt und welche vernachlässigbar sind und wenn die vorhersehbaren probleme zu groß werden, geben sie die einst unersetzlichen tierarten zum abschuss frei--das ist böswilliger verrat an den naturschützern vor ort
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