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19.01.2016 | 09:20 | Luftverschmutzung 

Stuttgarts verzweifelter Kampf gegen den Feinstaub

Stuttgart - Als erste Stadt in Deutschland hat Stuttgart Feinstaubalarm ausgerufen.

Feinstaubalarm in Stuttgart 2016
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Stuttgart begegnet erhöhten Feinstaubwerten als erste Stadt in Deutschland mit einem Feinstaubalarm. Aus Sicht von Umweltschützern ist das aber eine Luftnummer. (c) proplanta
Mindestens bis Donnerstag sind Einwohner und Pendler dazu aufgerufen, freiwillig ihre Autos stehenzulassen, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen und keine sogenannten Komfortöfen anzuheizen, die vor allem zur Dekoration dienen. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) sprach von einer «Placebo-Maßnahme». Auch Demonstranten kritisierten die freiwillige Regelung.

«Den Versuch zu unternehmen, die Bürger davon zu überzeugen, freiwillig einen Beitrag zu weniger Autoverkehr zu leisten, sollte man nicht schlechtreden, sondern unterstützen», sagte Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) am Montag mit Blick auf die Kritik.

Wenn freiwillige Schritte die Emissionen nicht nachhaltig reduzierten, dann werde es «ordnungspolitische Maßnahmen» wie Fahrverbote geben, sagte Kuhn. Das werde für alle viel härter sein, als jetzt nach Alternativen zum Auto zu suchen. Fahrverbote würden ab 2018 gelten.

Die Verkehrsleitzentrale Stuttgart konnte zum Auftakt am Montag noch nicht abschätzen, ob auf den Straßen der Landeshauptstadt weniger Autofahrer unterwegs waren. Rückschlüsse seien erst nach mehreren Tagen, besser noch nach mehreren Feinstaubalarmen zu ziehen, hieß es. Der Appell, nicht zusätzlich zur eigentlichen Heizung die dekorativen «Komfortöfen» anzuheizen, galt bereits seit Sonntag.

Am Abend demonstrierten rund 150 Menschen für strengere Maßnahmen gegen die hohe Feinstaub-Belastung. Auf Plakaten war zu lesen: «Fahrverbote retten Leben», «Feinstaub in Kinderlungen» sowie «Stuttgart erstickt». Mit einem Appell ließen sich die EU-Grenzwerte nicht durchsetzen, sagte der Mitbegründer der Bürgerinitiative Neckartor, Peter Erben. An der Messstelle Neckartor an einer der Hauptverkehrsachsen im Stuttgarter Talkessel werden regelmäßig Überschreitungen der Feinstaub-Grenzwerte registriert.

Die Stadt stützt sich beim Feinstaubalarm auf Vorhersagen des Deutschen Wetterdienstes, der für die gesamte Woche einen schlechten Luftaustausch erwartet. In der Stadt wird immer wieder der EU-Grenzwert von 50 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter Luft überschritten. Stuttgart muss die Belastung der Luft mit Schadstoffen reduzieren, da ansonsten Millionenstrafen der EU drohen.

Umweltschützer können dem ersten Feinstaubalarm in Deutschland wenig abgewinnen. «Appelle bringen nichts», sagte DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch der Deutschen Presse-Agentur. Land und Stadt Stuttgart schreckten mit Blick auf die Autoindustrie vor obligatorischen Schritten gegen die gesundheitsschädlichen Emissionen zurück, kritisierte Resch. «Das ist ein Kniefall vor Daimler.» Der Auto Club Europa (ACE) forderte Preisanreize, um die Umstiegsbereitschaft der Pendler zu erhöhen.

Der Naturschutzbund meinte: «Stuttgart darf nicht das deutsche Peking werden.» Wenn Freiwilligkeit nicht zum Ziel führe, müssten Verbote ausgesprochen werden, sagte Landeschef Andre Baumann. Eine zweistellige Zahl von Menschen in der Landeshauptstadt sterbe vorzeitig wegen hoher Stickstoffdioxid- und Rußwerte, sagte Resch. Ein besonderes Risiko trügen Kinder, Kranke und alte Menschen.

Der Umwelt- und Verbraucherschutzverband klagt vor dem Verwaltungsgericht gegen das Land, um in der aus seiner Sicht «schmutzigsten Stadt Deutschlands» Fahrverbote für Dieselfahrzeuge durchzusetzen. Ein Urteil wird nach Auskunft von Resch noch in diesem Jahr erwartet.

SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel war am Montag trotz Feinstaubalarms mit seinem Wagen unterwegs. Er sei in die Stuttgarter Innenstadt gefahren, weil er eine schwere Tasche zu tragen habe und eine Reihe von Terminen wahrnehmen müsse, die mit Bussen und Bahnen nur schwierig abzudecken seien. «Feinstaubalarm ist eine feine Sache. Ich kam völlig problemlos durch», sagte er.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat in Sachen Luftreinhaltung ein gutes Gewissen: Bei der Touristikmesse CMT sagte er, er fahre ebenfalls einen Plug-In-Hybrid. Damit könne er in der Stadt elektrisch fahren und produziere dann keinen Feinstaub.
dpa
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