«Eine über dem Holer (Netzeinholgerät), zwei auf dem Verarbeitungsdeck. Denen entgeht nichts.» Seit Wochenanfang dokumentieren die elektronischen Augen jede kleinste Handlung an Bord - vom Einholen der Netze bis zur Anlandung im Hafen. Toll findet Lüdke die Überwachung nicht, aber er hat es gewollt. Freiwillig.
Lüdke und seine Fischer-Kollegen in Freest sind wütend über Studien, nach denen in der Ostsee Jahr für Jahr Tausende von Seevögeln in Stellnetzen verenden sollen und setzen deshalb auf Transparenz. «Wir wollen den Gegenbeweis antreten», sagt der 47-Jährige. Für die Fischer sind die Zahlen nicht nachvollziehbar.
Die traditionelle, seit Jahrhunderten betriebene Fischerei mit Stellnetzen galt im Gegensatz zur Schleppnetzfischerei als nachhaltig, weil wegen der großen Maschenweiten weder ungewünschte Fischarten noch Jungtiere gefangen werden. Eine aktuelle Studie des Bundesamtes für Naturschutz wirft nun einen schweren Schatten auf diese althergebrachte Fangmethode. Demnach sollen an der Ostseeküste Mecklenburg-Vorpommerns jährlich zwischen 17.345 bis 19.841 Seevögel in den Stellnetzen der Fischer verenden.
Als Lösung schlägt die Studie den Einsatz alternativer Fanggeräte wie Fischfallen oder - was den durch drastische Quotenkürzungen seit Jahren gebeutelten Fischern besonders weh tut - die zeitweise Schließung von Fischfanggründen vor. «Solche Schlussfolgerungen aufgrund ungenauer Datenlage zu ziehen, ist unseriös», sagt der Geschäftsführer der Freester Fischereigenossenschaft, Michael Schütt. Rückenwind erhalten die Fischer von der Landespolitik. Die CDU-Fraktion hatte am Mittwoch die Studie als «unwissenschaftlich» bezeichnet.
Selbst der Umweltverband
WWF hält die Studie für ungenau. «Sie basiert auf Schätzungen. Diese Daten sind unzureichend, um die tatsächliche Situation beurteilen zu können», sagt Cathrin Münster vom WWF. Der Umweltverband hat das Freester «Big-Brother-Projekt» gemeinsam mit den Fischern und Forschern des Instituts für Ostsseefischerei initiiert. Finanziert wird es vom Handelskonzern Edeka. «Wir setzen auf Kooperation und nicht auf Konfrontation», sagt die WWF-Mitarbeiterin.
Wegen der Fangmengenkürzungen der vergangenen Jahre gilt das Verhältnis zwischen Fischerei und Forschung, die der EU jährliche Empfehlungen für die Festlegung von Fangmengen gibt, als belastet.Allein in der Fischereigenossenschaft Freest sank die Quote für den «Brotfisch» Hering innerhalb eines Jahr von 1.600 auf 1.070 Tonnen. Inzwischen bangen viele um ihre Existenz.
Zwei Jahre lang sollen die mit GPS-System ausgestatteten Kameraanlagen auf drei Kuttern alle Fänge und Beifänge dokumentieren. WWF und das Institut für Ostseefischerei erhoffen sich genaue Informationen über die Zusammensetzung und Menge des Beifangs und die betroffenen Vogelarten. Neben den Seevögeln richtet der WWF auch seinen Fokus auf die Schweinswale, die in den Stellnetzen verenden. Der Bestand der Ostsee-Schweinswale gilt als bedroht, er wird auf 600 Tiere geschätzt.
Andreas Lüdke ist am Donnerstag mit vollen Heringsnetzen, aber ohne Beifang in den Hafen zurückgekehrt. Am Mittwoch sah das anders aus: 18 Eisenten hatten sich in den 1.200 Meter langen Netzen verfangen und waren verendet. «Das war ein außergewöhnlicher Fall», versichert er. In der gesamten Heringssaison 2010 seien es nur vier Vögel gewesen.
Fischereichef Michael Schütt fordert von der EU, den Fokus stärker auf die industrielle Fischerei und nicht auf die kleine Stellnetzfischerei zu richten. «Die große Fischerei hat eine ganz andere Lobby als wir in Brüssel», schimpft Schütt. Die Freester Fischereigenossenschaft mit ihren 28 Kuttern sucht inzwischen ihre Nische im Öko-Fisch. Um das begehrte MSC-Zertifikat für nachhaltig gefangenen Fisch zu erhalten, muss auch der Nachweis über Beifänge erbracht werden. (dpa)