Die Staatengemeinschaft werde es nicht schaffen, sich bis 2020 auf starke Minderungen ihrer
Treibhausgase zu verständigen. Yvo de Boer weiß, wovon er redet. Er ist ein erfahrener Klima-Diplomat, leitet seit fast vier Jahren die schwierigen UN-Verhandlungen und war bei den Schlusstreffen der Staats- und Regierungschefs hinter verschlossenen Türen dabei, als der Kopenhagener Gipfel noch irgendwie gerettet werden sollte. Auf der Bonner UN-Konferenz zeichnet sich eine weitere folgenreiche Tendenz ab.
Mögliches Aus für das Kyoto-Protokoll von 1997Es ist das bisher einzige international verbindliche Abkommen zum
Klimaschutz - allerdings sind die USA und China, die mit Abstand größten Klimasünder, nicht dabei. Die erste Verpflichtungsperiode läuft Ende 2012 aus. Seit mehreren Jahren wird bereits über eine Verlängerung verhandelt - parallel zu den Verhandlungen über eine allgemeine Lösung zum globalen Klimaschutz. Herausgekommen ist nichts Greifbares, vor allem fehlt eine Verständigung auf neue gemeinsame Verpflichtungen zur Minderung der Treibhausgase.
Vergeblich blieb auch der Versuch der EU, die USA mit ins Boot zu holen. Deshalb stimmt jetzt auch die EU, früher der Vorreiter, insgeheim den Abgesang auf das Kyoto-Protokoll an. «Die Industrieländer wollen jetzt das Kyoto-Protokoll versenken», kritisierten Vertreter der internationalen Umwelt-Dachorganisation Friends of the Earth in Bonn. Dabei wollten die Industrieländer entlang der Linie der USA ein «neues Paradigma» einführen
Es soll nur noch freiwillige Angebote zum Klimaschutz geben, keine verpflichtenden internationale Vorgaben
Im Kern: nationaler Goodwill statt internationaler Auflagen. Ob das bei handfesten wirtschaftlichen Interessen und internationalem Wettbewerb funktioniert, ist fraglich. Aufgebracht sind die Umweltorganisationen auch darüber, dass die Verhandlungen zum Kyoto-Protokoll mit immer neuen Vorschlägen der Industrieländer, einschließlich der EU, in neue Sackgassen geführt werden. Zu den Vorschlägen zählt auch eine großzügige Anrechnung der Landnutzung und der Forstwirtschaft als Kohlenstoffspeicher: Ein solches Schlupfloch würde es zusammen mit anderen Ausweichinstrumenten erlauben, die eigenen Treibhausgase aus dem Verbrennen fossiler Energieträger wie Kohle und Öl bei der Industrie, im Verkehr/Transport und in Gebäuden sogar noch zu steigern, wie Umweltverbände vorrechneten.
Bei Treibhausgasen weiter ununzureichende AngeboteDie schleppenden und substanzlosen Bonner Verhandlungen - zwei Wochen mit rund 4500 Unterhändlern aus aller Welt - und die bei Treibhausgasen weiter völlig unzureichenden Angebote werfen die Frage auf, ob der politische Wille in den Hauptstädten noch vorhanden ist, nach dem Kopenhagen-Desaster einen neuen und glaubwürdigen Anlauf für einen Weltklimavertrag zu starten. Bei allen Sonntagsreden, die auch das informelle Ministertreffen auf dem Petersberg bei Bonn Anfang Mai schmückten, lautet die ernüchternde Zwischenbilanz: Ein neuer Weltklimavertrag ist auch beim nächsten Weltklimagipfel in Cancún (Mexiko) nicht zu erwarten und es fehlen auch Signale für einen Durchbruch.
«Die gute Nachricht aus Bonn ist, dass die UN-Verhandlungen nach dem Schock von Kopenhagen überhaupt weitergehen», sagte ein Delegierter. Yvo de Boer, der Ende Juni aus dem Amt scheidet, begräbt dazu auch noch gleich die Hoffnungen auf eine Vereinbarung über ausreichende nationale Minderungen der Treibhausgase bis 2020.
Was die Industrieländer bisher an eigenen freiwilligen Angeboten auf den Tisch gelegt haben, reiche bei weitem nicht aus, betonte de Boer. Im Schnitt laufe es auf eine Reduzierung um etwa 13 bis 14 Prozent bis 2020 gegenüber 1990 hinaus - das würde eine Erwärmung um etwa vier Grad bedeuten. Um das als noch erträglich geltende Zwei-Grad-Ziel zu erreichen, sind aber nach den Vorgaben des Weltklimarats rund 25 bis 40 Prozent Minderung nötig.
Die Industrieländer werden nach Ansicht von de Boer im nächsten Jahrzehnt nicht zu so tiefen Einschnitten bereit sein, dass das zwei Grad Ziel zumindest mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit erreicht wird. Längerfristig - bis 2050 - sei er aber optimistisch, dass dieses Ziel noch erreicht werden könne, betonte de Boer in Bonn. «Ich denke, das ist eine längere Reise.» Wie bei der Schuldenkrise droht auch beim Klimaschutz eine Belastung der nächsten Generationen. (dpa)