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02.05.2020 | 06:46 | Klimaschutz 

Klimanotstand seit einem Jahr - Was hat sich geändert?

Konstanz / Karlsruhe - Vorfahrt für Fahrräder, mehr Solardächer, höhere Parkgebühren und klimaneutrale Gebäude - das sind nur einige Vorhaben, die Kommunen für den Klimaschutz angeschoben haben.

Solardach
Vor einem Jahr rief Konstanz als erste Stadt den sogenannten Klimanotstand aus. Andere Kommunen folgten. Zumindest ein Umdenken gibt es nun fast überall. Das reicht nicht, sagen Kritiker - zumal es Sorgen wegen der Corona-Krise gibt. (c) proplanta
Am 2. Mai vor einem Jahr rief Konstanz als erste deutsche Stadt den Klimanotstand aus. Inzwischen sind bundesweit Dutzende Städte diesem Beispiel gefolgt, darunter Heidelberg, Karlsruhe, Lörrach, Bühl, Köln, München und Kiel.

Auch wenn vieles noch nicht umgesetzt ist: Einiges wurde angeschoben - auch in Städten wie Stuttgart, die bewusst auf den umstrittenen Begriff Klimanotstand verzichtet haben. Kritikern geht das alles nicht weit und schnell genug. Mancherorts gibt es auch Befürchtungen, dass durch finanzielle Ausfälle wegen der Corona-Krise ehrgeizige Klimaziele nicht erreicht werden.

Warum Klimanotstand?

Mit der Ausrufung des «Notstandes» soll deutlich werden, dass dem Klimaschutz höchste Priorität zukommt, erläutert Vorreiter Konstanz. Zudem wird festgestellt, dass die bisherigen Maßnahmen nicht ausreichen, um die Erderwärmung gemäß dem Pariser Klimaabkommen auf maximal 1,5 Grad Celsius im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu begrenzen.

Wie sieht die Bilanz nach einem Jahr aus?

Aus Sicht des Städtetags ist es noch zu früh, um belastbare Schlüsse zu ziehen. «Die Prozesse und Entscheidungen sind erst angestoßen worden - Resultate kann man jetzt noch nicht erwarten», meint die Verbandsgeschäftsführerin für Baden-Württemberg, Gudrun Heute-Bluhm.

«Erkennbar sind jedoch ein klares politisches Zeichen sowie eine breite Diskussion in der (Stadt-)Gesellschaft.» Dem können auch die Umweltaktivisten von Fridays for Future zustimmen.

Was wurde konkret gemacht?

In Konstanz koordiniert nun eine Taskforce klimarelevante Maßnahmen von der Gebäude-Energieversorgung über Mobilität bis hin zur Entsorgung. Jede Sitzungsvorlage für den Gemeinderat wird - wie auch in Karlsruhe - auf ihre Klimarelevanz geprüft.

Von mehr als 70 Maßnahmen sind zum Beispiel umgesetzt: neue Stellen für den Klimaschutz, ein Klimabürgerrat, eine Solarpflicht für Neubauten, ein Energiemanagement und neue Beleuchtung in städtischen Gebäuden.

Allein die Sanierung des Kinderkulturzentrums Raiteberg mit Solardach brachte der Stadt zufolge «eine 13-fache Verbesserung der Energiebilanz». Konstanz macht für Maßnahmen zum Klimaschutz mehr als neun Millionen Euro locker.

Auch in Heidelberg und Karlsruhe wurden Klimaschutzkonzepte beschlossen beziehungsweise fortgeschrieben. Sie sehen unter anderem den Ausbau von Fahrradwegen und -straßen sowie energetische Sanierungen städtischer Gebäude vor.

In Heidelberg wird das Müll-Heizkraftwerk an das Fernwärmenetz angeschlossen. Es soll bis Jahresende den CO2-emissionsfreien Anteil der Heidelberger Fernwärme auf 50 Prozent steigern. Karlsruhe will bis 2030 die CO2-Emissionen um rund 60 Prozent gegenüber 2010 senken und bis 2040 eine klimaneutrale Stadtverwaltung sein. Parkgebühren wurden erhöht und die Brötchentaste abgeschafft - letztere ermöglichte 30 Minuten kostenloses Parken.

Was machen die anderen?

In Baden-Württemberg haben dem Städtetag zufolge fünf Städte den Klimanotstand ausgerufen. Am Begriff scheiden sich aber die Geister. So haben Stuttgart, Baden-Baden oder Schwäbisch Gmünd explizit darauf verzichtet.

Gehandelt wurde gleichwohl: Auch ohne Ausrufung des Notstands haben viele Städte Klimaschutzkonzepte erarbeitet und neue Gremien und Stellen geschaffen. Stuttgart hat das  Aktionsprogramm «Klimaschutz - Weltklima in Not» auf den Weg gebracht, mit dem Treibhausgas-Emissionen gesenkt werden sollen.

«Ziel ist, spätestens 2050 klimaneutral zu sein und eine vollständig nachhaltige Energieversorgung zu erreichen», sagt ein Sprecher der Landeshauptstadt. Das 200 Millionen Euro schwere Programm enthält mehr Personal, eine Stabsstelle Klimaschutz, klimaneutrale Bauten, Neubauten mit Solaranlagen und Dachbegrünung.

Was sagen Kritiker?

Das, was bisher passiert ist, sei gut, aber es reiche bei weitem nicht aus, findet eine Sprecherin von Fridays for Future. «Um die überlebenswichtige 1,5-Grad-Grenze einhalten zu können, muss Konstanz bis spätestens 2030 klimapositiv sein, also weniger Emissionen ausstoßen als durch natürliche Prozesse wieder aufgenommen werden können.»

Gefordert sei auch mehr Tempo. «Stadt, Oberbürgermeister und Gemeinderat müssen sich fragen lassen, ob die Ausrufung des Klimanotstandes mehr als nur Symbolpolitik gewesen war und nicht in Wirklichkeit andere Städte die angestrebte Vorreiterrolle übernommen haben.»

Droht dem Klimaschutz wegen der Corona-Krise ein Rückschlag?

«Es sind Tendenzen erkennbar, die angesichts der Corona-Krise auf Abwarten oder Verschieben abheben», meint Karlsruhes Umweltbürgermeisterin Bettina Lisbach (Grüne) wegen der sich abzeichnenden Finanznöte der Kommunen.

Nötig sei eine klimafreundliche Ausrichtung der Programme zur Wiederbelebung der Wirtschaft. Auch Fridays-for-Future-Aktivisten warnen davor, dass die Klimakatastrophe durch die Corona-Krise in den Hintergrund gerät. Sie sehen aber auch Chancen. Durch die Investitionen der Bundesregierung sei nun eine enorme Lenkung möglich.

«Wenn die Regierung die Hilfsgelder beispielsweise an eine Emissionsreduktion der Unternehmen koppelt, werden wir imstande sein, beide existenziellen Krisen zu lösen», so die Umweltaktivistin.
dpa/lsw
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