Vorsprung durch Wissen
schließen x
Suchbegriff
Rubrik
 Suchen
Das Informationszentrum für die Landwirtschaft
09.10.2010 | 20:17 | Giftschlammkatastrophe 

Ungarn - Katastrophe wäre vermeidbar gewesen

Zürich - Giftige Bauxitschlämme, die bei der Produktion von Aluminium anfallen, werden in Ungarn wie an vielen Orten der Welt unter freiem Himmel gelagert.

Schlamm
Anhaltende Regenfälle brachten das Auffangbecken vermutlich an seine Grenzen. Der Dammbruch führte nun zur größten Umweltkatastrophe in der Geschichte Ungarns.

In der ungarischen Stadt Ajka nördlich des Plattensees ist am vergangenen Montag ein Auffangbecken für Bauxitschlamm, ein Abfallprodukt der Aluminiumproduktion, geborsten. Rund eine Million Kubikmeter ätzender Schlamm, kontaminiert mit giftigen Schwermetallen, verbreitete sich wie eine Flutwelle über ein Gebiet von 40 Quadratkilometern. Vermutlich zehn Menschen kamen dabei ums Leben, 120 wurden verletzt. Die Spätfolgen sind noch nicht absehbar. Der ETH-Professor Gerhard Furrer vom Institut für Biogeochemie und Schadstoffdynamik gibt eine erste Einschätzung.


Welche Folgen hat der Schlamm für die betroffenen Gebiete?

In erster Linie ist die Schlammlawine so giftig, weil sie Natronlauge enthält, die bei der Herstellung von Aluminium eingesetzt wird. Sie kann nur durch eine hunderttausend- bis millionenfache Verdünnung mit unbelastetem Wasser neutralisiert werden. Wenn wir das auf die geschätzten eine Million Kubikmeter ausgelaufenen Schlamm hochrechnen, wird sofort klar, dass die Neutralisierung ein Ding der Unmöglichkeit ist. Ein Großteil des Schlamms wird im Oberlauf des Katastrophengebietes - auch bei großen Regenmengen - nur leicht verdünnt. Dadurch stellt der ätzende Schlamm für alle Lebewesen, die damit ungeschützt in Kontakt kommen, eine akute Lebensbedrohung dar.


Was macht den Schlamm zudem gefährlich?

Kurzfristig ist die Natronlauge die gefährlichste Komponente. Langfristig können - nach allmählicher Neutralisierung der Lauge - die im Schlamm enthaltenen Schwermetalle wie Chrom, Arsen und Vanadium an Bedeutung gewinnen. Diese liegen vorerst als negativ geladene lösliche Verbindungen vor. Werden sie in den betroffenen Gewässern und überfluteten Arealen abgelagert, können sie mit ihrer toxischen Wirkung eine große Anzahl von Organismen zum Absterben bringen.

Im Laufe der Zeit können sich diese Metalle schließlich mit mikroskopisch kleinen Mineralpartikeln verbinden. Trocknet der Schlamm aus, kann sich immer noch ätzend wirkender Feinstaub bilden. Vom Wind aufgewirbelt, könnte er in die Lunge der Menschen gelangen und diese krank machen.


Bleibt der Staub für immer gefährlich?

Die Natronlauge im Rotschlamm kann sich langsam mit dem Kohlendioxid der Luft verbinden und so zu einer Karbonatisierung des Materials führen. Dadurch wird der größte Teil der Lauge neutralisiert. Dieser Prozess braucht allerdings viele Monate oder sogar Jahre. Deshalb hätte ein Austrocknungsprozess durch den kommenden Sommer 2011 verheerende Folgen.


Gibt es überhaupt eine Möglichkeit, die Katastrophe in den Griff zu bekommen?

Die Ereignisse der letzten Tage zeigen doch schon, dass der Ausdruck «in den Griff bekommen» vermessen ist.


Was werden die wichtigsten Maßnahmen sein?

Damit wir das Gefahrenpotenzial der Metalle abschätzen können, müssen wir erst einmal die tatsächliche Zusammensetzung des Schlamms kennen. Da die Zusammensetzung räumlich stark variieren kann, müssen Proben aus verschiedenen Bereichen des Beckens analysiert werden. Gleichzeitig sollte, wo immer möglich, der Schlamm vollständig eingesammelt und behandelt werden. Das ist einerseits sehr mühsam und aufwendig und andererseits nur in idealem Gelände möglich. Hindernisse wie Bauten, Steinbrocken oder Bäume sowie kleinräumige Unebenheiten können die Arbeit erschweren bis verunmöglichen. Es ist jedoch hilfreich, dass sich die Farbe des Rotschlamms von der nicht verschmutzten Erde abhebt.


Wie muss der Rotschlamm behandelt und entsorgt werden?

Eigentlich ist Rotschlamm aus dem Bauxitbergbau ein wertvolles Material. Im unbehandelten Zustand kann er eingesetzt werden, um industriellen Säureabfall zu neutralisieren. Wird er korrekt behandelt und die Natronlauge entfernt, kann das Material beispielsweise zur Produktion von Baumaterial verwendet werden.


Was wäre notwendig, um solche Umweltkatastrophen zu vermeiden?

Dringend erforderlich ist eine lückenlose globale Erfassung solcher Auffang- und Absetzbecken, die mit ihrem giftigen Inhalt chemische Zeitbomben darstellen, die durch Dammbrüche plötzlich hochgehen können. Allein in Europa ist dies nach Aznalcóllar bei Sevilla, Spanien (1998), und Baia Mare, Rumänien (2000), in den vergangenen zwölf Jahren bereits die dritte derartige Katastrophe. Alle wären vermeidbar gewesen. Es kann nicht nur die Aufgabe der Forschung sein, die Welt vor solchen Katastrophen zu schützen. Hier bedarf es staatlicher Auflagen und Überwachung. Bei der Firma in Ungarn handelt es sich scheinbar um ein privates Unternehmen, das nicht bekannt oder international verwurzelt war.

Quelle: ETH Life - Das Online-Magazin der ETH Zürich, Simone Ulmer, 08.10.2010
Kommentieren
weitere Artikel

Status:
Name / Pseudonym:
Kommentar:
Bitte Sicherheitsabfrage lösen:


  Kommentierte Artikel

 Jäger sehen dringenden Handlungsbedarf bei Umgang mit Wölfen

 Söder setzt sich gegen Verbrenner-Aus ab 2035 ein

 2023 war Jahr der Wetterextreme in Europa

 Wind- und Freiflächen-Solaranlagen: Niedersachsen führt Abgabe ein

 Keine Reduzierung beim Fleischkonsum durch Aufklärung

 Größter Solarpark von Rheinland-Pfalz eröffnet

 Gipfelerklärung der EU setzt auf Lockerungen für Landwirte

 Grundwasser in Bayern wird weniger

 Lindnerbräu - Hoch die Krüge!

 Mutmaßlicher Wolfsangriff - mehrere Schafe in Aurich getötet