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22.12.2009 | 21:16 | Standpunkt 

Driften Klimapolitik und Klimawissenschaft auseinander?

Leipzig - Ein Standpunkt zur Kopenhagener Klimakonferenz COP-15 von Prof. Reimund Schwarze, der die Verhandlungen im Plenarsaal als Konferenzteilnehmer verfolgt hat.

Prof. Reimund Schwarze
Ökonom Prof. Reimund Schwarze (c) André Künzelmann/UFZ
Der Klimagipfel in Kopenhagen ist nach einhelliger Meinung gescheitert. Der Minimalkonsens, auf den man sich nach zähen Verhandlungen im Kreis der Großen geeinigt hat, wurde im abschließenden Plenum der UN zerrissen. Im Ergebnis wird das Kopenhagen-Übereinkommen der Großen "zur Kenntnis genommen"; alle rechtlichen Verbindungen zur Klimarahmenkonvention und zum Kyoto-Protokoll wurden gekappt. Damit wird das Dokument zu einer isolierten politischen Absichtserklärung, einem Fremdkörper in der UN-Klimaarchitektur. Der weltgrößte Emittent an Treibhausgasen China hat an dieser rechtlichen und politischen Isolierung des Kopenhagenübereinkommens einen großen Anteil. Jetzt werden Forderungen laut, den Prozess der UN-Klimapolitik auf eine neue organisatorische Grundlage zu stellen. Keine Einigstimmigkeitsregel, kein "UN-Zirkus" mit Nichtregierungsorganisationen und Presserummel. Fortschritte, so lautet die Botschaft, werden nur im kleinen Kreis der größten Emittenten und Vertretern der UN (G20) erreicht.

Die Treffen in Heiligendamm, L'Aquila und jetzt das Scheitern in Kopenhagen scheinen dies zu bestätigen. China und die Entwicklungsländer der G77 haben aber in der Abschlusssitzung der COP15 demonstriert, dass sie sich das Heft des Handelns in der Klimapolitik nicht einfach aus der Hand nehmen lassen. . "Die neue Weltwirtschaftsordnung hat den Klimagipfel übernommen", titelte die dänische Tageszeitung Berlinske Tidende während der Konferenz. Will sagen, die Staatengemeinschaft geht ihren Weg; sie lässt sich heute nichts mehr von den Großen der Welt von oben herab vorschreiben - sei es mit oder ohne gute Absichten. Es geht also weiter im schwerfälligen Konsensverfahren aller 193 Vertragsstaaten der UN-Klimakonvention, in dem die Beschlüsse von unten, und nicht von oben vorbereitet werden. Irgendwann wird man auf diesem Weg zu einem Abkommen gelangen. Leider vollzieht sich der Klimawandel schneller. Damit stellt sich die Frage: Ist die internationale Politik zu schwerfällig für die Herausforderungen des Klimawandels? Driften Klimapolitik und Klimawissenschaft auseinander?

Bislang galt der Satz von Nicholas Stern: "Klimapolitik ist wissenschaftsgetriebene Politik". 1990 erschien der erste Sachstandsbericht des IPCC; danach (1992) fielen die bahnbrechenden Beschlüsse von Rio de Janeiro (UNFCCC). 1995 erschien der zweite Sachstandsbericht des IPCC mit deutlich schärferen Warnungen an die Politiker; 1997 wurde das Kyoto-Protokoll verabschiedet. Vor kurzem (2007) erschien der vierte Sachstandsbericht mit jetzt alarmierenden Hinweis auf die Gefahren des Klimawandels und Änderungen, die bereits unterwegs sind. Und wenige Jahre später fällt der Beschluss der Großen für das Zweigradziel (Kopenhagen) und drastische Einsparziele bis 2050 (L'Aquila).

So weit so gut. Doch das Scheitern in Kopenhagen macht deutlich, was in der Gleichung von Stern nicht aufgeht. Der Klimawandel erfolgt in einem Tempo, mit der die gesellschaftlichen Institutionen nicht mithalten können. Der Weltklimarat hat die Marke vorgegeben: Ab dem Jahr 2020 muss die globale Emission abnehmen, wenn man das Zweigradziel auch nur annährend erreichen möchte. Doch davon ist man nach Kopenhagen weiter entfernt denn je; die Wende wurde gleich in der ersten Verhandlungswoche aus den Verhandlungsentwürfen gestrichen. Das Zweigradziel für die langfristige globale Temperaturerhöhung wurde zwar im Kreis der Großen verabschiedet (und findet breite Zustimmung auch bei den Entwicklungsländern), aber die Schritte zur Erreichung des Ziels wurden im Kopenhagen-Übereinkommen offen gelassen. Ohnehin ist das Zweigradziel nur eine Metapher. Wir können das Erdsystem nicht auf zwei Grad genau aussteuern. Die eigentliche Botschaft des Zweigradziels lautet: Wir müssen uns extrem anstrengen, um endlich zur Trendwende bei der globalen Emissionsentwicklung zu kommen. Das haben die Länder dieser Welt allesamt in Kopenhagen nicht getan, vor allem nicht die großen Emittenten China und USA. Mit der Rückkehr der Chinesen zum Business as Usual in der Klimapolitik, d.h. zu den eingefahrenen UN-Klimapolitikpfaden am Samstag, wird deutlich, dass die Uhren der Klimapolitik und Klimawissenschaft anders ticken. Der Klimawandel erfolgt in einem Tempo, mit dem die internationale Klimapolitik nicht mithalten kann. Das Thema Anpassung an den Klimawandel wird dadurch immer dringlicher. (idw)
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