Angela Merkels beispiellose TV-Ansprache vom Mittwoch scheint in ihrer Dringlichkeit indes nicht überall angekommen zu sein. Eindrücke von Reportern der Deutschen Presse-Agentur aus einem zwischen Alarmstimmung, Disziplin und Ignoranz geteilten Land, dem nun Ausgangssperren drohen.
«Corona-Partys» nur die Spitze des Eisbergs
Seit Tagen verursachen sie Kopfschütteln, Ärger, Polizeieinsätze: Menschen, die sich trotz aller Appelle und Verbote draußen oder zuhause zu sogenannten Corona-Partys verabreden und treffen. Das ist längst kein großstädtisches Feier-Phänomen: Am Donnerstagabend löst die Polizei in Staßfurt (Sachsen-Anhalt) eine Ansammlung von Jugendlichen zwischen 14 und 20 Jahre auf, die auf einem Platz sichtlich gut gelaunt «Corona, Corona» singen. Im Kreis Pinneberg bei Hamburg hätten in der Nacht davor fünf bis zehn Jugendliche Passanten sogar mit Umarmungen provoziert, berichtet die Polizei.
«Was geht es uns an?»
Fernsehinterviews mit jungen Menschen vermitteln dieser Tage den Eindruck: Da ist noch viel Lässigkeit und Leichtsinn unterwegs - vielleicht weil sich manche durch die Krise nicht persönlich betroffen fühlen. «Die Jüngeren verhalten sich am unvernünftigsten», sagt der Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, am Freitag in Berlin. «Wir können diese Pandemie nur verlangsamen, wenn wir uns alle an die Spielregeln halten.» Nach Umfragen meine noch immer jeder Vierte, das alles sei Panikmache.
Menschliche Kontakte - In Berlin oft immer noch zu eng
Nach dem grauen Winter lockt in Berlin die Frühlingssonne. Dutzende Radfahrer, Jogger und Skater ziehen am Donnerstagnachmittag im quirligen Volkspark Friedrichshain ihre Runden - meist allein und mit Abstand zu anderen.
Eltern gehen mit kleinen Kindern spazieren, meiden aber die geschlossenen Spielplätze vorbildlich. Wenige Meter weiter sieht es schon anders aus: Drei Männer spielen Beachvolleyball, obwohl Sportstätten eigentlich geschlossen sind.
Enger ist der menschliche Kontakt an einem großen Kletterfelsen. Und noch mehr
Betrieb herrscht auf einem umzäunten Basketballplatz, wo zwei kleinere Mannschaften um den Ball kämpfen. «Ich weiß, dass es eigentlich nicht sein soll, aber ganz ohne Sport geht es nicht», sagte ein etwa 30-jähriger Mann etwas schuldbewusst. «Auf die paar Leute kommt es jetzt doch auch nicht an.»
Eine Minderheit - und doch viele potenzielle Virus-Überträger
Letztlich ist nur eine kleine Minderheit unvernünftig. In einer Stadt mit knapp vier Millionen Einwohnern wie Berlin ergibt das jedoch bereits eine beträchtliche Größenordnung. Nachts kommt die Polizei zu ähnlichen Ergebnissen. Zwar sind Kneipen, Bars und Clubs fast alle geschlossen, Döner und Falafel gibts nur noch zum Mitnehmen.
Die Straßen in den Partykiezen von Kreuzberg, Neukölln und Friedrichshain sind nachts fast leer. Aber hier und dort finden sich eben doch gruppenweise Biertrinker vor den «Spätis» zusammen. Und manche Kneipe öffnet heimlich. 91 Anzeigen stellen die Spezialstreifen der Polizei deswegen in der Nacht zum Freitag. Auffällig sei, dass es offenbar nachts deutlich mehr gravierende Verstöße gibt.
«Unsere und Ihre bürgerliche Pflicht» in Hannover
Die Polizei in Niedersachsen stellt am Freitag insgesamt nur wenige Verstöße gegen die Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus fest. In Wolfsburg geht man nach den Worten eines Sprechers aber Hinweisen aus sozialen Medien auf geplante Treffen nach - mit «geballter Kraft» seien die Beamten in Naherholungsgebieten unterwegs, um solche Treffen aufzulösen, meist gehe es um Jugendliche.
Derweil ist die Stimmung in der Innenstadt von Hannover fast gespenstisch: Während einige wenige über die zentrale Einkaufsstraße huschen, ertönt es aus einem Polizeiwagen: «Es ist unsere und Ihre bürgerliche Pflicht. Schränken Sie ihre sozialen Kontakte also auf ein Minimum ein.»
Wochenmarkt statt Laden
Einkaufen an der frischen
Luft scheint für viele Menschen in Corona-Zeiten eine gute Alternative zu sein. Auf den Wochenmärkten in Hamburg herrscht am Freitag reger Betrieb. «Ich gehe jetzt viel lieber auf dem Markt einkaufen, weil das Gemüse dort nicht so oft angefasst wird wie im Supermarkt», sagte Frauke Putensen. Immerhin: Die meisten Menschen halten wohl den Sicherheitsabstand in den Warteschlangen ein - manche Händler haben dafür extra Bereiche auf dem Boden markiert oder ihre Stände umgebaut, um mehr Distanz zur Kundschaft zu gewinnen, einige tragen Atemschutzmasken.
Botschaft angekommen - zumindest tagsüber
«Es gibt keine Zusammenrottungen», sagt ein dpa-Reporter in Köln nach längerer Tour am Freitagvormittag mit dem Fahrrad. Straßen ziemlich leer, die meisten Cafés geschlossen - und in denen, die noch auf haben, holen sich vereinzelte Kunden nur schnell einen Coffee-to-go.
Vielleicht ist die Botschaft der Kanzlerin und vieler Experten doch bei mehr Leuten angekommen. Es könnte aber auch nur der Tageszeit und dem Wetter geschuldet sein - in der sonst so wuseligen Domstadt ist es kalt und wolkenverhangen.
Politik zwischen «Verhältnismäßigkeit»...
Am Sonntag dürfte für das öffentliche Leben in Deutschland klarer werden, wohin die Reise angesichts der Sorglosigkeit vieler Menschen beim «Social Distancing» geht: Dann will Kanzlerin Merkel mit den Bundesländern «die Wirkung der bisherigen Maßnahmen schonungslos analysieren», wie Regierungssprecher Steffen Seibert ankündigt.
Zugleich gelte es, die Verhältnismäßigkeit zu wahren. «Wir handeln als Demokratie. Das gilt jetzt, und das wird auch weiter gelten.» Schon die bisherigen Einschränkungen seien «sehr schwerwiegend».
...und hartem Durchgreifen
Bayern geht wieder mal einen Schritt voran: Zur Eindämmung des Coronavirus gelten im Freistaat schon vom Samstag an weitreichende Ausgangsbeschränkungen.
Das Verlassen der eigenen Wohnung ist dann nur noch bei Vorliegen triftiger Gründe erlaubt: der Weg zur Arbeit, notwendige Einkäufe, Arzt- und Apothekenbesuche, Hilfe für andere, Besuche von Lebenspartnern, auch Sport und Bewegung an der frischen Luft - dies aber nur alleine oder mit den Personen, mit denen man zusammenlebt.
Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte in München, für die Vernünftigen ändere sich gar nicht viel, doch für die Unvernünftigen gebe es nun ein klares Regelwerk. Im niederbayerischen Straubing sagt ein junger Mann indes: «Man kann die Leute doch nicht daheim einsperren. Ich brauche meine Freiheit.»