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20.02.2011 | 10:46 | Pork-Camp 

Ein Wochenende im Schweine-Camp

Neuruppin - 17 Menschen aus ganz Deutschland sind dabei. Die meisten davon kennen sich, wenn überhaupt, nur über das Internet als kochinteressierte Laien. Die Teilnehmer treibt nicht die Lust auf Blut, sondern das Interesse am Tier und seiner Verarbeitung.

Schweine-Camp
(c) towermedia - fotolia.com
Ein Wochenende lang gehen sie im brandenburgischen Neuruppin der Frage nach, wie genau die rund 40 Kilogramm Schweinefleisch entstehen, die jeder Deutsche im Schnitt pro Jahr verzehrt. Darauf suchen sie auf einem Gutshof mit eigener Zucht, Schlachterei, Küche und Gaststube eine Antwort.

Gemeinsam ein Schwein schlachten und verarbeiten? Jeder hat sich seine eigenen Gedanken zur Vorbereitung auf diese ungewohnte Erfahrung gemacht. «Entweder gehe ich als Schweineliebhaber hier raus - oder als Vegetarier», sagt einer der Teilnehmer beim gemeinsamen Grünkohlessen zum Auftakt am Freitag. Ein anderer will «Demut gegenüber dem Tier» gewinnen, das er allzuoft gedankenlos verspeist.

Tatsächlich herrscht den ganzen Samstag über gelöste und interessierte Stimmung. Nach dem Schlachten und Entborsten am frühen Morgen haken die Teilnehmer beim Zerteilen genau nach: Wie haben die Tiere gelebt? Was haben sie gefressen? Und warum scheint die weiße Speckschicht am Bauch so ungewöhnlich dick? Das liege am harten Winter, erklärt Jörn-Peer Steinicke, Betriebsleiter von Gut Hesterberg. Da hätten die Schweine viel im Freien gespielt und sich mit dem zusätzlichen Fett vor der Kälte geschützt.

«Das hohe Gewicht kommt aber auch daher, weil die Tiere länger als gewöhnlich gelebt haben», sagt Steinicke, während einer seiner Mitarbeiter den Schweinekörper an einem Haken kopfüber an die Decke fahren lässt. Neun Monate seien fast dreimal so lang wie bei der Massentierhaltung. Mit etwa 140 Kilogramm Gewicht sind die Schweine auch deutlich schwerer. «Normalerweise sagt man: 100 Tage, 100 Kilo.»

Nur dann passen die Tiere in die automatischen Weiterverarbeitungsmaschinen der großen Schlachthöfe, erklärt Steinicke, als einer seiner Mitarbeiter das Schwein zerteilt: Er schneidet das kopfüber hängende Tier bis zur Hälfte ein, so dass die Innereien aus dem Bauch herausquellen. Erst danach wird es in zwei Hälften geschnitten. Auch diese Szene wirkt im Vergleich zu den Horrorbildern aus Schlachthöfen überraschend handwerklich, beinahe kunstfertig.

Bevor das Fleisch der Tiere weiter zu Wurst verarbeitet wird, treffen sich alle zum gemeinsamen Frühstück. Die Teilnehmer - vor allem Städter aus Hamburg und Berlin, viele mit Medien- und IT-Berufen - greifen zu hofeigenem Schweinemett und Wurstplatte, sprechen über das Gesehene und denken über das Konzept dieses zweiten «Porkcamp» nach.

«Ich wollte den gesamten Prozess der Schweineherstellung kennenlernen, aber als Einzelperson ist es ja faktisch unmöglich», erklärt Organisator Florian Siepert die ursprüngliche Idee. Er habe dann mit Bekannten darüber gesprochen und gebloggt. «Das Schöne war, dass sich sofort Leute gemeldet haben, die helfen wollten», sagt Siepert. Anfang 2010 veranstaltete er die erste Auflage des «Porkcamp», sogar mit mehr als 40 Teilnehmern.

Der Begriff stamme übrigens aus dem Internet-Bereich, in dem so genannte «Barcamps» etabliert seien, erklärt Siepert. Dabei halten die Teilnehmer kleine Präsentationen zu ihren Fachbereichen oder Hobbies. Beim «Porkcamp» beziehe sich dieses Hobby-Interesse eben auf Fleischherkunft und Fleischverarbeitung. Jeder soll sich einbringen - «Auf Leute, die nur fragen: "Was kriege ich für mein Geld?" habe ich keine Lust.»

Auch wenn Siepert sagt, dass er sich nicht vorstellen könne, ein «Organisator von Studiosus-Reisen für Fleischliebhaber» zu werden: Das Konzept bereite ihm und den Teilnehmern Freude. Für den Herbst ist bereits eine fünftägige Reise nach Italien ins Land von Mozzarella und Parma-Schinken geplant.

Der Wissensdurst der Teilnehmer in Brandenburg zeigt sich auch nach dem Frühstück beim nächsten Arbeitsschritt, dem Verwursten. Die Rezepte haben sie selbst vorgeschlagen. Es wirkt fast fachmännisch, wie sie Orangensaft mit Grappa zum Mett mischen. Viele greifen selbst bis zum Ellenbogen in große Wannen und mengen das Fleisch durch.

Von den riesigen Maschinen bleiben die meisten ungenutzt. «Das lohnt sich erst ab hundert Kilo», sagt ein Metzger. Dennoch beeindruckt die Präzision der Geräte viele Teilnehmer, grammgenaue Wurstmengen können eingestellt werden, scharfe Rotorenblätter pflügen mit lautem Gedröhne durch das Fleisch.

Als dann schließlich doch zum ersten Mal typischer Schlachtgeruch durch den Raum schlägt, weil in einem der Mixer Leber auf Schwarte und Gewürze trifft, sprechen die Blicke mancher Teilnehmer Bände. Die etwas bleichen Gesichter zeigen es: Längst nicht jedermanns Sache. Besonders der unentschlossene Vegetarier vom Vortag schaut nun, als ob er seine Entscheidung gefällt habe. Beim anschließenden Bratwurst-Mittagessen sind manche Schweineliebhaber bereits deutlich ruhiger.

Nach einer Hof-Führung beginnen die Vorbereitungen für das Abendessen. Große Eisbeine köcheln vor sich hin, Hackbällchen aus Herz, Leber und Bauchfleisch werden gerollt, Rezepttipps ausgetauscht. Nach und nach entsteht ein vielseitiges Buffet. Beim Essen ist der Stolz auf die selbstgemachten Gerichte genauso zu spüren, wie die tatsächlich entdeckte Demut vor dem Tier.

Viele kleinere Gespräche ergeben sich. Häufig sind es erste Spekulationen darüber, wie sich künftig der Fleischkonsum verändern wird. Das Spektrum ist breit: Er werde Rezepte für französische Blutwürste und scharf gewürzte Spare Ribs erst jetzt besonders würdigen können, sagt einer. «Ich fühle mich, als hätte ich den ganzen Tag über in die Auslage beim Metzger geschaut», erklärt ein anderer.

Am Sonntagmorgen überlegen sich einige der Gruppe, was nun bleibt, nach einem Wochenende Schlachterei. «Ich hoffe, dass ich einen biologischeren Umgang zum Fleisch finde», sagt die einzige weibliche Teilnehmerin. Das gemeinsame Kochen und Essen habe großen Spaß gemacht, findet sie. Der weit überwiegende Teil der anderen sieht das genauso: Die Demut vor dem Tier sei gewachsen, die Wertschätzung für Aufzucht und Verarbeitung definitiv noch größer, das Wissen um Qualität und Aufzuchtbedingungen habe sich vermehrt.

Nur wenigen geht es anders. Der zögernde Hobby-Schlachter vom Freitag hat sich tatsächlich entschieden, es ab Montag vegetarisch zu probieren. Ihm stimmt am Sonntagabend ein anderer Teilnehmer zumindest vorläufig zu. Ganz «Camp»-typisch schreibt er bei Twitter: «Diese Woche wird mein persönliches Veggie-Camp.» (dpa)
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