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08.11.2008 | 09:14 | Erdwärme 

Eine Stadt gerät aus den Fugen: In Staufen hebt sich die Erde

Staufen - Die kleine südbadische Stadt Staufen gerät immer mehr in Schieflage - und das im wortwörtlichen Sinne.

Eine Stadt gerät aus den Fugen: In Staufen hebt sich die Erde
Nach Erdwärmebohrungen hinter dem Rathaus bis in 140 Meter Tiefe hebt sich die Erde um das denkmalgeschützte Zentrum der 8.000-Einwohner- Kommune Woche für Woche, in der Altstadt sind es bereits fast ein Dutzend Zentimeter. Nach Angaben aus dem Rathaus sind schon mehr als 120 Häuser durch zentimeterdicke Risse bedroht, für die nach Expertenmeinung die Erdwärmebohrungen verantwortlich sein könnten.

«Die Besitzer der Häuser haben Angst. Und sie fühlen sich alleine gelassen», meint der Sprecher der Stadt, Germar Seeliger. Die Auswirkungen für den historischen Stadtkern südlich von Freiburg sind dramatisch. Und Hilfe ist so schnell nicht zu erwarten. Denn nach einem seit einigen Wochen vorliegenden Gutachten wird die Schuldfrage für die Schäden wohl nie geklärt werden können. «Es können keine eindeutigen Ursachen definiert werden», erklärt Ralph Watzel, Leiter des Landesamtes für Geologie, Rohstoffe und Bergbau in Freiburg. «Es kann am menschlichen Eingriff gelegen haben, es kann aber auch naturgemachte Gründe haben» - etwa natürliche Beben oder tektonische Verschiebungen. Wo kein Schuldiger ist, da kann auch niemand belangt werden.

Staufen könne weder gegen die Bohrfirma klagen, die für das Geothermie-Projekt verantwortlich ist, noch gegen das Land. Und auch die Stadt selbst treffe keine Schuld, sagt Sprecher Seeliger. Mit einem Fonds will Staufens Bürgermeister Michael Benitz versuchen, die betroffenen Hausbesitzer zumindest ansatzweise zu entschädigen. Nach seinen Vorstellungen sollten sich die Kommune, die Versicherungen und das Land an diesem Fonds freiwillig beteiligen. Im Regierungspräsidium wird nach Angaben eines Sprechers der Behörde derzeit geprüft, ob Mittel dafür bereit stehen.

Betroffen ist in Staufen vor allem das erst vor einem Jahr sanierte Rathaus am Markt, ein dreigeschossiger Bau aus dem Jahr 1546. Ein Expertenteam aus Karlsruhe hat nach Angaben der Stadt einen Plan entwickelt, mit dem Betonplatten unter das Haus gezogen werden könnten, um das Fundament zu stabilisieren. Die geschätzten Kosten für die Sanierungen an allen betroffenen Häusern liegen in zweistelliger Millionenhöhe. Die Bohrer hatten sich im September 2007 ins Erdreich gefressen, nachdem der Gemeinderat des Ortes beschlossen hatte, das schmucke Rathaus mit Erdwärme zu heizen. Damals waren sieben Erdwärmesonden von einer österreichischen Firma in 140 Meter Tiefe versenkt worden.

Wenige Wochen danach traten die ersten Schäden mit Rissen in etlichen Häusern auf und vergrößerten sich seither. «Es gibt eine zeitliche und räumliche Koinzidenz zwischen den Bohrungen und den Erdhebungen», sagt Experte Watzel. Staufen liege allerdings auch in einem tektonisch aktiven Bereich, da könnten natürliche Gründe nicht ausgeschlossen werden, «wenngleich der Eingriff durch den Menschen als Ursache wahrscheinlicher ist».

Watzel ist überzeugt: Die Folgen der Bohrungen waren für niemanden abzusehen, auch nicht für das im Regierungspräsidium angesiedelte Landesamt, das die Genehmigung dafür erteilt hat. «Unsere Informationen haben eine solche Prognose im Vorfeld nicht zugelassen.» Seine Theorie: Unter der Stadt liegt eine Schicht des Minerals Anhydrit. Kommt dieses mit Wasser in Berührung, wird es zu Gips und quillt auf. Die Folge: Die Erde hebt sich «und die Auswirkungen sind geradezu fatal».

«Die Risse sind gigantisch», sagt auch Seeliger. «Da kann man teilweise mit einem ganzen Arm reingreifen.» Viele Risse würden provisorisch ausgespritzt, im Rathauscafé ziehe sich eine Spur «quer durch den Schankraum». Derzeit werden die betroffenen Häuser alle zwei Tage von Gasexperten begutachtet.

Mit den Folgen von Erdbohrungen hat die Region nicht das erste Mal zu kämpfen: In Basel, keine 40 Kilometer von Staufen entfernt, musste Anfang vergangenen Jahres ein Geothermieprojekt abgebrochen werden, nachdem mehrere Erdbeben ausgelöst worden waren. (dpa)
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