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08.08.2009 | 17:18 | Schweinegrippe  

Feilschen um die Massenimpfung

Berlin - In wenigen Wochen soll in Deutschland die größte Impfaktion seit einem halben Jahrhundert anrollen.

Impfung
(c) proplanta
Die Schweinegrippe könnte im Herbst laut offiziellen Einschätzungen erstmals Bundesbürgern das Leben kosten. Wenige Tage vor dem für Mittwoch geplanten Beschluss im Bundeskabinett eskaliert aber das Feilschen um die geplante Impfung bei zunächst 25 Millionen Bürgern - die Streitfragen:


Wer bezahlt die Impfung?

Geht es nach Bundesregierung und Ländern schultern die Kassen die Kosten von zunächst 600 Millionen Euro. Die Kassen rechnen mit einer Milliarde und fordern eine Beteiligung der Länder, Steuermittel oder einen höheren Beitragssatz. Sonst müsste jeder zweite Versicherte bald Zusatzbeiträge berappen, warnt der Ökonom Jürgen Wasem in einem Interview. Hintergrund: Aus dem Gesundheitsfonds bekommen die Kassen in diesem Jahr 167 Milliarden Euro. Sie gingen bei einer Schätzung im April von Ausgaben von 166,8 Milliarden Euro aus. Um krisenbedingte Einnahmeschwächen auszugleichen, sollen die Kassen ein Steuerdarlehen von 2,9 Milliarden Euro bekommen. Steigen nun die Ausgaben wegen der Grippe, dann ist das zwar gemessen an den Gesamtausgaben nicht viel, aber tatsächlich in den Fonds-Berechnungen noch nicht enthalten.


Wer soll überhaupt geimpft werden?

Laut Verordnungsentwurf des Gesundheitsministeriums sind es zunächst vor allem Menschen mit Asthma, Bronchitis, Herz-Kreislauf-, Leber- und Nierenkrankheiten, Diabetes, schwerer Fettleibigkeit, Multipler Sklerose, bestimmten Immundefekten, HIV und Schwangere. Die Kassen sollen mit ihren Abrechnungsdaten herausfinden, welche ihrer Versicherten dazu zählen und diese benachrichtigen. Die Vorbereitungen dafür sind aber nach Auskunft aus Kassenkreisen noch nicht breit angelaufen. Wie gut und schnell die Auswahl gelingt, ist umstritten. Die Ärzte warnen schon mal, ihnen am Ende den Schwarzen Peter zu geben. «Man kann die Auswahl nicht dem Arzt in der Praxis zumuten», sagt der Sprecher der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Roland Stahl. In Fällen, in denen Benachrichtigungen durch die Kassen misslingen, müssen die Versicherten laut Verordnungsentwurf selbst glaubhaft machen, dass sie den fraglichen Gruppen angehören.


Sind die Impfungen überhaupt in dem Umfang nötig?

Bisher ist der Verlauf der Krankheit meist nicht so schlimm. Der SPD-Abgeordnete Wolfgang Wodarg kritisiert in der «Neuen Presse»: «Das ist ein Riesengeschäft für die Pharmaindustrie.» Der Arzneiversorgungsforscher Gerd Glaeske sagt in der «Tageszeitung», nicht einmal der Nutzen der saisonalen Grippe-Impfung sei ganz klar belegt. Impfen ließen sich nämlich vor allem die, die auch sonst auf ihre Gesundheit achten. «Die Impfung ist kein Allheilmittel.» Die große Infektionswelle soll aber erst im Herbst anrollen - dann auch mit schwereren Verläufen.


Sind die Impfungen riskant?

Für Schlagzeilen sorgen Berichte über Risiken etwa bei Schwangeren. Das zuständige Paul-Ehrlich-Institut wehrt sich gegen Vorwürfe, die Impfstoffe seien nicht genug geprüft. Die grundsätzlichen Daten lägen mit einem bereits bestehenden Impfstoff gegen Vogelgrippe vor. So wie jedes Jahr seien für den neuen Impfstoff Bestandteile von Grippeviren ausgetauscht worden. Dabei habe es noch nie Probleme gegeben. Klinischen Studien mit Schwangeren gebe es aber nicht.


Wer führt die Impfung durch?

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund warnt vor einem Chaos wegen mangelnder Zuständigkeiten. Die Rollen der Gesundheitsämter, der niedergelassenen Ärzte, der Betriebsärzte und der Kliniken würden mit dem Verordnungsentwurf nicht klar bestimmt. Genaue Zuständigkeiten sind tatsächlich noch nicht geregelt. «In den nächsten Wochen geht es darum, dass die Länder Impfvereinbarungen mit den Kassen schließen», sagt eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums. «Die Organisation der Impfungen muss mit den Akteuren in den Regionen festgelegt werden.»


Sind die Tests zuverlässig?

Experten schätzten die Schnelltests als äußerst unzuverlässig ein; sie sollen einzelnen Angaben zufolge Infektionen in mehr als der Hälfte der Fälle nicht anzeigen. Deshalb beschlossen Kassen und Ärzte am Freitag, dass diese Schnelltests nur noch in Ausnahmefällen gemacht werden sollen. Schließlich lässt sich mit einem weiteren Test, einem PCR-Test, genauer prüfen, ob es sich um Schweinegrippe handelt. Nach einigem Ringen einigten sich Kassen und Ärzte auch darauf, dass dieser Test Risikopatienten im Verdachtsfall bezahlt wird.


Wie geht die Debatte weiter?

Die Linken fordern eine Sondersitzung des Gesundheitsausschusses im Bundestag und stellten eine Anfrage an die Regierung. Die Barmer verlangt ein Spitzengespräch von Bund, Ländern und Kassen. «Es hat längst mehrere Gespräche mit den Kassen gegeben», entgegnet die Sprecherin von Ministerin Ulla Schmidt (SPD). Schmidt sei zwar gesprächsbereit. «Sie erwartet aber, dass die Verunsicherung der Versicherten aufhört.» (dpa)
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