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26.11.2023 | 07:13 | Keine Angehörigen 

Immer mehr Bestattungen von Amts wegen

Hamburg - In grünen und grauen Plastikboxen stehen rund 60 kompostierbare Urnen mit der Asche Verstorbener auf dem Friedhof in Hamburg-Öjendorf.

Bestattung
Nicht wenige Menschen in Hamburg sterben ohne Angehörige, die die Organisation und Kosten der Beerdigung übernehmen können. Und es werden immer mehr. Ohne Segen und gute Gedanken werden die Toten dennoch nicht beigesetzt. (c) proplanta
Jede einzelne von ihnen wird gleich von Friedhofsmitarbeitenden unter die Erde gebracht. Trauernde Angehörige sind allerdings nicht dabei. Denn für die Toten konnten keine ermittelt werden. In Hamburg werden sie deshalb «von Amts wegen» beigesetzt. Im vergangenen Jahr waren das fast 1.500 Männer und Frauen. Vor mehr als 20 Jahren lagen die Zahlen noch bei gut 400 Bestattungen von Amts wegen.

Und die Zahlen steigen weiter an. Bereits bis Mitte November haben die Hamburger Friedhöfe fast 1.500 dieser «ordnungsrechtlichen Bestattungen» registriert. Die zuletzt leicht gestiegenen Zahlen könnten der Sozialbehörde zufolge zum einen mit der etwas erhöhten Zahl an Todesfällen während der Corona-Pandemie und zum anderen mit dem demografischen Wandel zu tun haben.

In Deutschland müssen Tote bestattet werden. Das gilt auch für Menschen ohne noch lebende Kinder, Eltern, Geschwister oder Partner, die normalerweise einen Antrag auf Bestattung stellen. Wenn keine Angehörigen ermittelt werden können, übernimmt nach Angaben der Hamburger Friedhöfe die Stadt die Beisetzung. Reicht das Geld des Verstorbenen dafür nicht, übernimmt sie auch die Kosten von durchschnittlich rund 2.500 Euro. In der Regel werden die Toten eingeäschert und in der Urne bestattet. Muslime werden im Sargreihengrab beigesetzt.

Anonym bleibt dabei keiner - außer, die- oder derjenige wollte das ausdrücklich so. Im Gegenteil. Alle Namen werden in der Regel sowohl vor der Bestattung als auch am Totensonntag (26.11.) in der Hamburger Hauptkirche St. Petri feierlich verlesen. Sie stehen zudem an Tafeln rund um das weite wiesenartige Grabfeld. Gleichzeitig verleihen ehrenamtliche Pastorinnen und Pastoren der Beisetzung im Reihengrab durch ein kleines christliches Ritual und der Aussegnung der Urnen einen andächtigen Rahmen.

Auch Menschen ohne Angehörige sollen in Würde gehen können, findet Pastorin und Trauerbegleiterin Sabine Erler. Sie hat bereits vor mehr als 20 Jahren auf dem Friedhof Öjendorf mit dieser Tätigkeit begonnen. Damals waren diese kleinen Andachten in Hamburg auf Wunsch der Friedhofsmitarbeitenden eingeführt worden. Mittlerweile ist sie im Ruhestand und koordiniert weiter ehrenamtlich ein Team aus mehreren freiwilligen Pastorinnen und Pastoren. Sie spricht bei den Bestattungen von Amts wegen oft ein Gebet oder liest einen Psalm, singt den Ruf «Herr, erbarme dich!» (Kyrie eleison) und spricht das Vaterunser.

In der Regel dauern Andacht und Aussegnung der Urnen nur wenige Minuten. «Länger als zehn Minuten dauert es nicht», sagt Erler dazu. Im Anschluss beginnen die Friedhofsgärtnerinnen und -gärtner mit der Beisetzung. In Hamburg spielt sich das so in der Regel alle zwei Wochen auf dem Friedhof Öjendorf ab. Aktuell auf Grabfeld 317, gleich in der Nähe des Krematoriums.

So auch am Dienstag vor dem diesjährigen Totensonntag: Innerhalb von wenigen Sekunden hat das Team mit einem mechanischen Erdbohrer an dem nebelig-grau-kalten Herbsttag im November dafür ein Loch ausgehoben. Einer von ihnen versenkt darin die Urne, andere schaufeln wieder Erde auf das Loch und streichen es wieder glatt. Schon währenddessen lässt der Fahrer des kleinen Traktors den angehängten Erdbohrer 40 Zentimeter weiter nach vorn fahren. Dort beginnt die Prozedur erneut. Für die rund 60 Urnen werden die Friedhofsgärtner gut eine Stunde brauchen, wie sie sagen. Im Moment werden so viele Menschen von Amts wegen bestattet, dass die Termine sogar wöchentlich angesetzt werden müssen. «Das ist eine absolute Spitze dieser Entwicklung», sagt Pastorin Erler dazu.

Die Bestattungen von Amts wegen werden oft verwechselt mit Sozialbestattungen. Hier gibt es aber Angehörige, die können sich die Beisetzung nur nicht leisten, weshalb hier die Stadt finanziell einspringt. Ein anderes Vorurteil sei, dass bei den Bestattungen von Amts wegen vor allem Obdachlose beigesetzt werden. «Pustekuchen», sagt Erler dazu. «Unter 1.000 so bestatteten Männern und Frauen sind vielleicht 20 Obdachlose.»

Und auch bei Bestattungen von Amts wegen müssen die Verstorbenen übrigens nicht automatisch ohne Freunde und Bekannte ihren letzten Weg antreten. Nicht selten gibt es zwar keine Angehörigen, aber eben doch ein soziales Umfeld. «Wir hatten hier zum Beispiel auch schon die Skatbrüder eines Verstorbenen dabei», sagt Erler. Wenn die Friedhofsverwaltung das vorher weiß, wird ein Termin arrangiert und auch hier kann auf Wunsch auch ein Pastor oder eine Pastorin dabei sein.

Sabine Erler übernimmt die Bestattungen von Amts wegen gern. Auch, weil sie ihr als Pastorin gut tun. Es sei für sie «spirituell sehr anrührend und inspirierend», morgens auf dem Friedhof zu stehen und in aller Ruhe die ersten Sonnenstrahlen, den dichten Nebel oder den fallenden Schnee wahrzunehmen. «Das geht mir richtig ans Herz.»
dpa
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