Vorsprung durch Wissen
Das Informationszentrum für die Landwirtschaft
24.10.2009 | 18:09 | Panorama  

Kein Schwein versteht die Zeitumstellung

Hamburg - Wildschweine sind nach Biologen-Meinung sehr intelligente Tiere - warum die Autofahrer aber von Montag an eine Stunde später durch ihr Revier brausen, versteht kein Schwein.

Kein Schwein versteht die Zeitumstellung
In jedem Herbst häufen sich die Wildunfälle, doch die Zeitumstellung an diesem Sonntag vergrößert nach Ansicht von Experten das Risiko. «Auch Wildtiere haben ein sehr gutes Zeitgedächtnis», sagt der Zoologe Julian Heiermann vom Naturschutzbund Deutschland in Berlin. Sie hielten sich tagsüber in ihrem Versteck auf, in dem sie sich vor dem Mensch sicher fühlen. In der Dämmerung machen sie sich immer zur selben Stunde zu ihren «Nahrungsgründen» auf. Meist sind das Maisfelder, die auch nach der Ernte noch viel zu fressen bieten. «Wenn Rushhour ist, sind auch die Wildschweine schon unterwegs», erklärt Heiermann.

Nach Angaben des Deutschen Jagdschutz-Verbandes in Bonn starben in der vergangenen Jagdsaison (März 2008 bis April 2009) auf deutschen Straßen 27.000 Wildschweine, so viele wie noch nie. Zudem verendeten fast 200.000 Rehe nach der Kollision mit einem Auto. Das Statistische Bundesamt zählt jährlich etwa 3.000 Wildunfälle, bei denen Menschen verletzt werden. Der Biologe Torsten Reinwald, Sprecher des Jagdschutz- Verbandes, erklärt: «Wir haben im Herbst einen Peak (Höchstwert), der wird durch die Zeitumstellung noch mal verstärkt.» Der Autoclub Europa (ACE) beklagt: «Die Straße wird zum Friedhof der Wildtiere.»

Ursache dieser Entwicklung ist zum einen die sprunghafte Zunahme der Wildschweine. 2,5 Millionen Schwarzkittel suhlen sich nach Angaben von Reinwald in deutschen Wäldern, Feldern und zunehmend auch in städtischen Grünflächen. Nahrung finden sie überall. 27 Prozent der Gesamtfläche Deutschlands sind inzwischen mit Mais-, Raps- oder Weizenfeldern bedeckt. Genug Leckerbissen finden die Wildschweine aber auch in Komposthaufen von Kleingärtnern. In Berlin soll es sogar Tierliebhaber geben, die den Borsten- Viechern das Futter extra in den Wald bringen. Anders als Rehe und Hirsche, können Wildschweine bei guter Versorgung mit Nahrung zweimal im Jahr Junge kriegen - bis zu acht Frischlinge pro Wurf.

Der Naturschutzbund kritisiert, dass immer mehr Straßen wie feste Barrieren den Lebensraum der Tiere einschnüren. Die Wanderung der Wildtiere sei auch biologisch sinnvoll, damit sich die Populationen vermischen könnten. «Wir müssen die Lebensräume wieder mehr vernetzen», fordert Zoologe Heiermann. Der Bau und Unterhalt von Wildbrücken rechne sich, wenn man die Versicherungsschäden durch Wildunfälle berücksichtige. Für ein «vernünftiges Miteinander» mit den wilden Verkehrsteilnehmern plädiert auch der ADAC. Doch der Bau von Brücken und Tunneln sei bei leeren Kassen schwierig, und hundertprozentige Sicherheit gebe es dadurch auch nicht, erläutert der Leiter des Bereichs Technik und Verkehr beim ADAC Hansa, Christian Schäfer. «Dem Wild kann ich nichts vorschreiben.»

Wissenschaftler versuchen es trotzdem. In Schleswig-Holstein sollen jetzt an neuralgischen Punkten «Duftzäune» aufgestellt werden. Sie bestehen aus dauerhaften Duftmarken, die an Bäumen und Sträuchern in der Nähe von Straßen angebracht werden, und deren Geruch für die Tiere so unangenehm ist, dass sie lieber kehrtmachen. Mit der Flinte allein lässt sich das borstige Problem nicht lösen. 640.000 Wildschweine wurden nach Angaben des Jagdschutz-Verbandes in der vergangenen Saison geschossen, ein Drittel mehr als in der Saison davor. Trotzdem nimmt die Zahl der Tiere weiter zu. Der Verband fordert von den Bauern, in den Maisfeldern Schussschneisen zu lassen, und die Erlaubnis, Wildschweine auch in Naturschutzgebieten jagen zu dürfen, wenn sie dorthin ausweichen.

Verkehrsexperten appellieren an die Autofahrer, in der dunklen Jahreszeit besonders vorsichtig an Waldrändern und in der Nähe von Feldern zu fahren. Bei aller Tierliebe geht dabei für den ADAC die Sicherheit des Autofahrers vor. Auf einen gefährlichen «Elchtest» sollte er sich auf enger und womöglich glatter Straße nicht einlassen. Dies könne folgenreicher sein, als einfach draufzuhalten. Dabei muss der Fahrer aber folgendes wissen, wie ADAC-Mann Schäfer sagt: «Wenn ich so ein Schweinchen mit 80 Stundenkilometern auf die Hörner nehme, habe ich ein Aufprallgewicht von zwei Tonnen.» (dpa)
Kommentieren
weitere Artikel

Status:
Name / Pseudonym:
Kommentar:
Bitte Sicherheitsabfrage lösen:


  Weitere Artikel zum Thema

 Waschbären futtern sich durch den Südwesten

 Waschbären-Jagd nicht zielführend

 Zahl der Braunbären in französischen Pyrenäen steigt

  Kommentierte Artikel

 Größere EU-Getreideernte erwartet

 Was will die CDU in ihrem neuen Programm?

 Frankreichs Staatsrat schränkt Vogeljagd weiter ein

 LED-Lampen in Straßenlaternen sparen massiv Strom ein

 Zahl der Bäckereien weiter rückläufig

 Wundermittel und Jahrhundertgift PFAS: Derselbe Circus - andere Clowns

 Deutsche Verbraucher offen für abgelaufene Lebensmittel

 Brandenburger Dackel wohl von Wolf angegriffen

 Tag des Wolfes - Bauern machen Druck für vereinfachten Abschuss

 Erleichterungen bei GAP-Anträgen und Hanfanbau