Ziele sind eine stärker pflanzenbasierte Ernährung sowie die Reduzierung des Konsums von Zucker, Fett und Salz - Weniger Lebensmittelverschwendung. (c) proplanta
Dazu gehöre auch, insbesondere vulnerable Gruppen, Kinder und Menschen mit Einwanderungsgeschichte besser zu erreichen als bisher, erklärte der Grünen-Politiker am Mittwoch (29.6.) bei der virtuellen Auftaktveranstaltung zum Beteiligungsprozess für die Ernährungsstrategie.
Als konkrete Ziele nannte er eine stärker pflanzenbasierte Ernährung, die Reduzierung des Konsums von Zucker, Fett und Salz, die Verringerung der Lebensmittelverschwendung sowie die Förderung einer Gemeinschaftsverpflegung mit erhöhtem Anteil an saisonal-regional und ökologisch-klimafreundlich erzeugten Lebensmitteln. Bekanntlich sieht der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP vor, dass die Bundesregierung unter Federführung des Bundeslandwirtschaftsministeriums bis 2023 eine solche Ernährungsstrategie vorlegt.
In den Prozess würden Akteure aus Politik sowie Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft eingebunden, denn für grundlegende Veränderungen brauche es eine gemeinsame Kraftanstrengung, betonte das Agrarressort. „Alle sollten die Möglichkeit haben, sich gut zu ernähren“, unterstrich Özdemir. Das Ernährungsverhalten sei vor allem durch gesellschaftliche Rahmenbedingungen und Gewohnheiten geprägt. Aber viel zu oft sei es leider auch eine soziale Frage.
„Für mich heißt eine gute Ernährungspolitik deshalb auch: Fairness schaffen. Wir wollen die Entscheidung für eine gute Ernährung im Alltag für alle so leicht und selbstverständlich wie möglich machen“, so der Minister. Derweil warnte der Lebensmittelverband Deutschland vor einer Bevormundung des Verbrauchers in Sachen Lebensmitteleinkauf.
Auch eine Frage der Wertschätzung
Die Bundesregierung werde nicht akzeptieren, dass geringe Einkommen, Sprachbarrieren oder Diskriminierung zu ungleichen Gesundheitschancen führten, stellte Özdemir klar. Es habe für ihn auch etwas mit Wertschätzung für die Arbeitnehmer zu tun, wenn diese ein gutes und ausgewogenes Essen in ihren Kantinen bekämen.
Und ganz besonders habe es etwas mit Wertschätzung „für unsere Kinder zu tun, also das Wertvollste, was wir haben“, wenn sie in der Kita, der Schule oder der Uni-Mensa gutes Essen erhielten. Ernährung habe eine Schlüsselrolle für Gesundheit und Wohlbefinden, aber auch für eine nachhaltige Entwicklung, führte der Grünen-Politiker aus.
Deshalb seien eine gesunde und eine nachhaltige Ernährung gleichrangige Ziele der Ernährungsstrategie. Sie solle ein Baustein zur Transformation des Ernährungssystems und ein wichtiger Beitrag zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 sein.
Kompetenzen nicht überschreiten
Der Lebensmittelverband hatte im Vorfeld der Auftaktveranstaltung zur Ernährungsstrategie darauf hingewiesen, dass er Ressortchef Özdemir ein Positionspapier mit den wichtigsten Prozessanforderungen zugeleitet habe. Darin würden sieben Grundprinzipien für den Arbeitsprozess einer solchen Strategie beschrieben.
Hauptgeschäftsführer Christoph Minhoff betonte, „grundsätzlich begrüßen wir die Idee, Leitplanken zu erarbeiten, die die Gesellschaft als Ganzes einbinden und den Weg zu einer nachhaltigeren Zukunft ebnen“. Zugleich wandte er sich aber gegen eine „substanzlose Showveranstaltung“ und mahnte realistische und tragbare Lösungsansätze an.
Minhoff erwartet eine vorurteilsfreie Debatte. Es dürfe nicht versucht werden, Kompetenzen zu überschreiten. Dazu gehört für ihn, dass die Regierung unter Achtung der Grundrechte zwar kollektive Ziele formulieren und verbindlich festlegen kann, dabei aber dem Einzelnen nicht die Freiräume des eigenen Entscheidens entziehen darf. Das heiße, der Staat habe kein Mandat dafür, den Lebenswandel erwachsener Bürger durch moralische Erziehung oder durch Verhaltenslenkung in seinem Sinne zu verändern, so der Hauptgeschäftsführer.
Verbraucherakzeptanz entscheidend
Die sieben Grundprinzipien beinhalten dem Lebensmittelverband zufolge zuvorderst die Bereitschaft der Lebensmittelwirtschaft für eine aktive Beteiligung unter geeigneten Rahmenbedingungen, und zweitens die Berücksichtigung aktueller Krisen.
Das Leitbild müsse dem mündigen Verbraucher entsprechen. Übergeordnetes Ziel der Ernährungsstrategie der Bundesregierung sollte die Förderung eines insgesamt gesundheitsförderlichen Lebensstils sein, so der Verband. Als viertes Grundprinzip pocht er auf Wirtschaftlichkeit, Kohärenz und Freiwilligkeit; ferner mahnt er eine grundsätzliche Offenheit gegenüber neuen Technologien und Innovationen an.
Dabei betont der Verband als sechstes Grundprinzip die wissenschaftliche Basis und schließlich die Akzeptanz der Verbraucher, denn letztere sei wichtigste Voraussetzung für den Erfolg aller ernährungspolitischen Maßnahmen.
Investitionen nötig
Derweil forderte die Initiative „#ErnährungswendeAnpacken“ von der Bundesregierung ambitionierte Ziele für die angekündigte Ernährungsstrategie und einen klaren Zeitplan für deren Umsetzung. Grundlage, Leitbild und Vision bei der Entwicklung der Ernährungsstrategie sollte eine sozial gerechte, gesundheitsfördernde, umweltverträgliche und dem Tierschutz zuträgliche Ernährungspolitik für Deutschland sein, heißt es in einem gemeinsamen Papier.
Dem Bündnis von 22 Verbänden zufolge sollten die Ernährungsstrategie und die darin definierten Maßnahmen mit ausreichend finanziellen Mitteln ausgestattet sein. „Ohne Investitionen wird eine Ernährungswende nicht zu erreichen sein“, mahnen die Verbände. Um eine verbindliche Umsetzung der Maßnahmen sicherzustellen, müssten konkrete Erfolgsindikatoren entwickelt werden.
Wesentliche Elemente einer Ernährungsstrategie seien unter anderem die Finanzierung einer flächendeckenden, gesundheitsförderlichen und nachhaltigen Gemeinschaftsverpflegung und eine Weiterentwicklung der Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), ferner eine Überprüfung der Lebensmittelbesteuerung sowie die Unterstützung einer pflanzenbasierten Ernährung mit dem Ziel, den Konsum tierischer Produkte zu reduzieren. In Schule und Beruf sei die Ernährungskompetenz zu stärken. An Kinder gerichtete Lebensmittelwerbung müsse verbindlich reguliert werden.
Resilientes Ernährungssystem schaffen
Gerade jetzt sei es wichtiger denn je, für eine nachhaltige und gesunde Ernährung ein langfristig resilientes Ernährungssystem zu schaffen. „Aktuellen und künftigen Herausforderungen und Krisen werden wir nur standhalten, wenn wir Gesundheit, soziale Gerechtigkeit und Umweltverträglichkeit zusammendenken“, betont die Initiative.
Beteiligt sind unter anderen der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), der BerufsVerband Oecotrophologie (VDOE), die Arbeitsgemeinschaft der deutschen Ärztekammern (BÄK), der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), der Paritätische Gesamtverband, die Deutsche Adipositas Gesellschaft (DAG), das Deutsches Netzwerk Schulverpflegung (DNSV), Slow Food Deutschland, der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) sowie der World Wide Fund for Nature (WWF) Deutschland.
Systemwechsel ist zu begrüßen
Für die Assoziation ökologischer Lebensmittelhersteller (AöL) ist der iterative Prozess zur Erarbeitung einer nationalen Ernährungsstrategie notwendig und wichtig. Ein Systemwechsel in der Ernährungswirtschaft und bei Ernährungsstilen sei zu begrüßen; es könne kein „Weiter wie bisher“ geben, bekräftigte die ÄöL im Nachgang zu der Auftaktveranstaltung.
Im Kern gehe es bei der Transformationsaufgabe um Wertschätzung für Lebensmittel, aber auch für alle, die im aktuellen System keine gerechte Wahlmöglichkeit für eine gesunde Ernährung hätten. Eine Transformation der Ernährungsstile sei ebenso wichtig wie der Aufbau von Ernährungskompetenz. Die Schaffung einer Ernährungsumgebung, die es jedem ermögliche, leicht und intuitiv eine nachhaltige Wahl zu treffen, sei Ziel dieser Transformation.