Hinter der neuen Fürsorge steckt die Schweinegrippe. Experten fürchten, dass sich die Grippewelle spätestens im Herbst global verschärft. Das könnte die Weltkonjunktur treffen. Auch die gerade aus der Rezession kommende deutsche Wirtschaft beobachtet als Exportweltmeister den Verlauf der Pandemie akribisch. Noch hat die Grippe nach Angaben des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) im Außenhandel kaum Schaden angerichtet.
DIHK-Außenhandelschef Axel Nitschke warnt aber, dass die Situation schnell kippen könnte: «Wenn Hygienestandards nicht eingehalten werden, ist mit einer weiteren Ausbreitung der Pandemie und damit auch spürbaren Konsequenzen für die Weltwirtschaft zu rechnen.» Ganze Branchen und Verwaltungen würden lahm liegen, wenn große Teile der Belegschaften krank ans Bett gefesselt sind. Die Experten der Auslandshandelskammern (AHKs), die an 120 Standorten in 80 Ländern vertreten sind, haben jetzt untersucht, wie in ausgewählten Exportländern auf die
Schweinegrippe reagiert wird:
Sollte in Frankreich im September die höchste Alarmstufe ausgelöst werden, drohen die Schließung öffentlicher Einrichtungen und ein Verbot kultureller Veranstaltungen. Die großen Firmen haben interne Notpläne vorbereitet. Kleinen und mittelständischen Unternehmen fehlt dafür aber meist das Wissen und die Kapazitäten. Belgien bereitet sich nach AHK-Angaben auf eine dramatische Zuspitzung der Schweinegrippe («worst case») ein. Die Vereinigung der flämischen Handelskammern/VOKA befürchtet ab September bis zu 3 Millionen Kranke in Belgien. Das wäre knapp ein Drittel der Bevölkerung. Die Unternehmen haben ihre Hygiene-Vorschriften verschärft.
In den Niederlanden rechnen das Wirtschaftsministerium und Unternehmerverbände mit einem Personalausfall durch die Schweinegrippe von (im schlimmsten Fall) bis zu 30 Prozent im Herbst/Winter. «Falls es zu diesen hohen Krankheitsständen kommt, ist durch die enge wirtschaftliche Verflechtung Deutschlands und den Niederlanden mit Auswirkungen im Handelaustausch zu rechnen», schreibt der DIHK. In Kanada herrscht ein Gefühl der relativen Sicherheit durch ausreichende Versorgung mit Impfstoffen. Allerdings: Videokonferenzen werden verstärkt genutzt und Desinfektionsgeräte («sanitizer») im Büro aufgestellt. In Lateinamerika ist die Situation bereits ernster. PERU hat Todesfälle und viele Erkrankungen gemeldet. Die Schulferien wurden per Dekret verlängert. Der Tourismus ist leicht rückläufig - nach Einschätzung der AHK liegt dies aber auch an der allgemeinen Wirtschaftskrise.
Argentinien hat Export- und Importbeschränkungen auf Schweinefleisch verhängt. Die heftigsten Konsequenzen der Grippe gibt es mit einem Minus von 35 Prozent im Tourismus. Direkte Auswirkungen auf den deutsch-argentinischen Außenhandel sind bislang ausgeblieben. Jedoch werden Firmenreisen verschoben. Die Experten des DIHK haben auch nach Asien geschaut. In THAILAND und VIETNAM ist das Thema Schweinegrippe nach der schlechten Erfahrung mit SARS akut. Die Maßnahmen reichen von regelmäßigem Händewaschen bis hin zum Tragen von Schutzmasken. Die Firmen verschicken Rundschreiben mit Verhaltensregeln. Bei einer Bevölkerung von 1,2 Milliarden verzeichnet INDIEN bislang 22 Todesfälle. In einigen Bundesstaaten wurden Schulen und Kinos zeitweise geschlossen. Einschränkungen im Handel gibt es aktuell nicht.
Saudi-Arabien ist sich seiner besonderen Situation bewusst. Rund 7 von 8 Millionen Gastarbeitern kommen aus armen Ländern ohne hygienische Standards. Das Ansteckungspotenzial wird steigen, weil zum Ramadan (September) und zur Hadsch-Pilgerfahrt (Oktober) Millionen Pilger unterwegs sind. Noch weiß niemand, wie schlimm die ökonomischen Folgen der Grippe tatsächlich ausfallen werden. Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) hatte vor drei Jahren bei der
Vogelgrippe eine Pandemie-Modellrechnung aufgestellt. Käme es bundesweit zu heute unvorstellbaren 50.000 bis 150.000 Todesfällen, lägen die geschätzten Kosten für die Volkswirtschaft in diesem Szenario bei 25 bis 75 Milliarden Euro. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) würde um 1 bis 3 Prozent schrumpfen. (dpa)