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02.09.2018 | 07:22 | Bundespolitik 

Grünen-Parteichef Habeck nimmt Abschied vom Ministeramt

Kiel/Berlin - Zum Abschied darf Robert Habeck noch mal ganz Landwirtschaftsminister sein.

Robert Habeck
Als Chef der Grünen ist Robert Habeck längst angekommen. Aber so richtig legt er erst jetzt los. Der Schleswig-Holsteiner nimmt Abschied vom geliebten Ministeramt - und stürzt sich in einen Job mit Risiken und Nebenwirkungen. Denn bei den Grünen bewegt sich was. (c) robert-habeck.de
Beim Bauerntag in Rendsburg absolviert der 48-jährige neue Star der Grünen an diesem Freitag seinen letzten Termin für die Landesregierung in Schleswig-Holstein. Ab dann gilt: 100 Prozent Parteichef, 100 Prozent Bundespolitik. Ein Wechsel mit großen Chancen. Aber auch mit Risiken, für Habeck und die Partei.

Klar, angekommen in Berlin ist er längst. Und nicht nur da. 1.800 Menschen lockte ein Habeck-Auftritt im bayrischen Dachau ins Bierzelt, Dirndl und Lederhosen, weiter weg von Schleswig-Holstein geht nicht. Die Parteibasis hat einen wie ihn herbeigesehnt, andernfalls hätte sie Habeck die monatelange Übergangsfrist, während der er Minister und Parteichef sein durfte, gar nicht gewährt.

Seit er und Annalena Baerbock im Januar an die Grünen-Spitze gerückt sind, scheint fast alles zu gelingen. Die Mitgliederzahl steigt, 15 Prozent in bundesweiten Umfragen, bis zu 17 Prozent in Bayern ein paar Wochen vor der Landtagswahl. Plötzlich wirkt der Anspruch, «führende Kraft der linken Mitte» zu werden und Sammelbecken für politisch Liberale, nicht mehr vermessen, sondern spannend. Läuft für Habeck, und man spürt, dass er das genießt.

Doch Schleswig-Holsteins scheidender Umwelt- und Agrarminister hadert auch. Weil er weg muss aus dem Norden, von einem geliebten Job, widerborstigen Bauern, unbeugsamen Windkraftgegnern, störrischen Fischern. «Das tut wirklich weh», sagt er nach sechs Jahren als «Draußenminister», zuständig für Landwirtschaft, Energiewende, Atomaufsicht, Fischerei, Umwelt, Küstenschutz, Jagd und wo weiter.

Er gehe nicht, weil er mit dem Amt nicht mehr zufrieden sei, sagt er. Und er gehe mit dem Gefühl, dass es mit Nachfolger Jan Philipp Albrecht (35) sehr gut weitergehen wird. «Aber wenn man wissen will, wie es Robert geht: Dann ist das Herz schon zerrissen.»

Ihn habe natürlich keiner gezwungen, sagt Habeck. Im Gegenteil, er hatte sich auch schon auf die Spitzenkandidatur für die letzte Bundestagswahl beworben und war in einer Urwahl nur sensationell knapp gegen Ex-Parteichef Cem Özdemir gescheitert. «Ich mache das Ganze, weil ich glaube: Unter dem Druck von Rechtsnationalisten, Antieuropäern und «Mein Land-First»-Politik  muss sich die liberale Demokratie beweisen. Wenn ich jetzt nicht versuche, mein ganzes Engagement beizusteuern, dann würde ich mich fragen: Hättest du dich nicht einbringen müssen?»

Ministerpräsident Daniel Günther lässt nur ungern den Mann ziehen, der so maßgeblich am Zustandekommen und Funktionieren des Kieler Jamaika-Bündnisses aus CDU, Grünen und FDP beteiligt war. «Ich bin schon traurig, dass Robert Habeck geht - er passte zu uns als Typ», sagt der CDU-Politiker. «Ich glaube, er wird in Berlin auch schnell merken, was er an Schleswig-Holstein hatte.»

Das mag sein. Die Parteilinken, unter anderem der einflussreiche Jürgen Trittin, sehen Habecks Betonung auf Liberalismus kritisch. Auch dass Habeck ruckzuck die Fraktionschefs Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter in den Schatten stellte, erregt Misstrauen. «Bisher war er ja nur halb in Berlin», sagt ein Linker aus der Fraktion. «Man fragt sich schon, wie das wird, wenn er das mit voller Power macht.» Auch zwischen Habeck und Özdemir könnte es noch interessant werden.

Letzterer ist zwar formell in die zweite Reihe gerückt, macht aber nicht den Eindruck, als wolle er auf die Rolle des starken Mannes bei den Grünen verzichten. In einem Dokufilm namens «Following Habeck», der ihn während seines Kampfes um die Spitzenkandidatur begleitet und seit diesem Donnerstag im Kino läuft, räumt er ein: «Hintenrum ist es ja ziemlich hart bei den Grünen.»

Und drittens: Der Höhenflug der Partei muss nicht anhalten. Ein Jahr nach Wahlen in den Umfragen prächtig dazustehen, das ist fast eine Tradition der Partei - oft ging es im Wahlkampf dann wieder bergab. Die Bayern-Wahl im Oktober wird eine erste Bewährungsprobe.

Habeck muss einen Laden zusammen halten, in dem sich viel bewegt. Das Institut Forsa hat für RTL und n-tv ermittelt, dass unter den neuen potenziellen Grünen-Wählern mehr Männer, mehr Haupt- und Realschüler, mehr Rentner und mehr Schüler und Studenten sind als unter den «Alt-Grünen». Vor allem sehen sich nur 55 Prozent der neuen Anhänger als links, 42 Prozent zählen sich zur politischen Mitte. Bisher habe das Verhältnis bei 71 Prozent links zu 27 Prozent Mitte gelegen.

Für Habeck geht es jetzt aber erst mal auch ums Persönliche, ums Abschiednehmen von der Politik im Norden, in der der Schriftsteller und Doktor der Philosophie als Quereinsteiger eine beeindruckende Karriere hinlegte. In den letzten anderthalb Jahrzehnten prägte der Vater von vier Söhnen die Nord-Grünen wie kein anderer. 2002 wurde er als Neumitglied gleich Kreisvorsitzender in Schleswig-Flensburg, 2004 Landesvorsitzender. 2009 Fraktionschef im Landtag, 2012 Minister. Nach seinem Amtsantritt standen ihm die schleswig-holsteinischen Bauern noch feindselig gegenüber. Heute duzt sich der Grüne mit schwarzen Bauernfunktionären.

Er hat mit ihnen gestritten, sie nicht überzeugt und sich trotzdem Respekt erarbeitet. Beim Bauerntag in Rendsburg begegnet er ihnen noch einmal als Minister. «Dann gebe ich mein Handy ab, den Laptop und die Karte für den Landtag.» Zeit für Schwermut hat Habeck dann nur im Zug. Denn es geht weiter nach Berlin, wo Habeck und Baerbock zusammen das grüne Europawahlprogramm vorstellen, und dann nach Köln zum  Spätsommer-Empfang des Kreisverbandes. Da ist er wieder ganz Parteichef.
dpa
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