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29.01.2013 | 11:03 | Antibiotika-Einsatz 

Experten fordern neue Wege im Kampf gegen Antibiotika-Resistenzen

Hamburg - Darmkeime wie Klebsiellen und Escherichia coli oder Tuberkulose-Bakterien entgehen zunehmend der Wirkung von Antibiotika. Wissenschaftler haben Sorge, dass es bald keinen Nachschub mehr an diesen Medikamenten geben könnte, die vielen Patienten das Leben retten.

Antibiotikum
(c) Eisenhans - fotolia.com
Denn seit den 1970er Jahren habe die Zahl der neuentwickelten Antibiotika kontinuierlich abgenommen, heißt es in einer Stellungnahme der Akademie der Wissenschaften in Hamburg und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina (Halle). Das Werk wurde am Montag in Hamburg vorgestellt.

Schätzungen zufolge sterben jedes Jahr in Europa rund 25.000 Patienten an Bakterien, die gegen mehrere Medikamente resistent sind, schreiben die Experten. Zwei Drittel davon gehen demnach auf das Konto von gramnegativen Bakterien wie den genannten Darmkeimen.

Wird es einen Rückfall in eine Situation geben, die bis zur Einführung des Penizillins in den 1940er Jahren herrschte? Diese Drohung steht Prof. Ansgar Lohse zufolge zumindest im Raum. «Es ist eine Situation, wie wir sie in Einzelfällen jetzt schon beobachten», sagte Lohse vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.

«Bislang war es so, dass drei, vier oder fünf Jahre nach der Einführung eines Antibiotikums Resistenzen entdeckt wurden und man sich darauf verlassen konnte, dass die Industrie ein neues Antibiotikum liefert», ergänzte Prof. Werner Solbach vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Lübeck. Dies sei nicht mehr ohne weiteres der Fall.

Die Ärzte brauchen demnach neue Substanzklassen, die den Bakterien auf andere Weise als bislang schaden. «More of the same» (mehr vom Gleichen) werde nicht weiterhelfen, sagte Solbach. Doch lediglich vier der zwischen 2000 und Oktober 2012 in den USA und Europa zugelassenen Substanzen basieren auf neuen Antibiotika-Klassen, heißt es in dem Schriftsatz. Und diese helfen nur gegen sogenannte grampositive Erreger.

Gängige Antibiotika töten Bakterien oder hemmen ihre Vermehrung. Die Medikamente zerstören die Zellwände der Keime und greifen in den Stoffwechsel oder in das Erbgut ein. Dass die Mikroorganismen sich dagegen wehren, sei ein «natürliches Phänomen im evolutionären Wettbewerb», sagte Lohse. Resistenz-Eigenschaften können von Bakterien an andere übertragen werden oder durch Mutationen entstehen. Ein Problem ist auch der Austausch von Erregern zwischen Menschen und Tieren.

Doch was tun im Kampf gegen die widerspenstigen Keime? Die Autoren stellen einige Ideen vor: Mehr als zwei Drittel aller Antibiotika wurden demnach aus Naturstoffen entwickelt oder sind selbst Naturstoffe. Laut Solbach sollte mehr Forschung in diesem Bereich erfolgen. Es sei auch denkbar, nur Eigenschaften der Bakterien zu unterdrücken, die krank machen, die Organismen selbst könnten dann am Leben bleiben. Die Fettsäuresynthese ist der Stellungnahme zufolge ein weiteres mögliches Ziel. Und nach Lohses Ansicht muss mehr darüber geforscht werden, welche Eigenschaften beim Wirt der Bakterien - also Menschen oder Tieren - eine Rolle für die Resistenzen spielen.

Den Grund für den Mangel an neuen Antibiotika sehen die Autoren unter anderem in den fehlenden Anreizen für die Pharmaindustrie, neue Medikamente zu entwickeln. «Der Markt gibt das nicht her», sagte Lohse. Antibiotika würden in der Regel nur wenige Tage gegeben, Blutdruckmittel hingegen über viele Jahre. Komme ein neues Antibiotikum auf den Markt, seien die Ärzte zunächst einmal zurückhaltend mit der Verschreibung. «Wir wollen es als Reserve in der Hinterhand behalten.»

Zu den acht Empfehlungen gehört auch eine bessere Kooperation zwischen akademischer Forschung und Pharmaindustrie. Resistenzraten der Erreger sollten von «lokal bis weltweit» besser überwacht werden. Zudem sollten Antibiotika in der Tiermedizin und im Pflanzenschutz eingeschränkter eingesetzt werden. Die Stellungnahme entstand durch eine Arbeitsgruppe, die von Lohse und Leopodina-Präsident Prof. Jörg Hacker geleitet wurde. (dpa)
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