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24.06.2015 | 17:45 | Merkel lässt Gabriel hängen 

Erfolg für die Kohle-Lobby

Berlin - Sigmar Gabriel teilt aus. Das kennt man von ihm. Wenn der SPD-Chef mit dem Rücken zur Wand steht, wird es oft ungemütlich, das wissen seine Genossen nur allzugut. Am Mittwochvormittag sind Hildegard Müller und die Kanzlerin die «Opfer».

Klimakanzlerin Angela Merkel
(c) proplanta
Der Energieverband BDEW hat zum großen Branchentreff in ein vornehmes Berliner Hotel in Kudammnähe geladen. Als Gabriel um kurz nach 11.00 Uhr am Mikro steht, ist ihm die schlechte Laune anzusehen. Mit zusammengezogenen Augenbrauen schaut der Goslarer düster in den Saal.

Kein Wunder, im Kampf für seine Klimaschutz-Abgabe für alte Kohle-Kraftwerke haben ihn alle im Regen stehen lassen. Die Kanzlerin, die Unionsfraktion, Gewerkschaften, Betriebsräte und selbst Teile seiner eigenen Partei. Den SPD-Ministerpräsidenten Hannelore Kraft und Dietmar Woidke sind Arbeitsplätze und Wählerstimmen in ihren Braunkohle-Revieren in Nordrhein-Westfalen und Brandenburg eben wichtiger als ein Plan ihres Parteichefs, wie die deutschen Klimaschutzziele bis 2020 noch zu retten sind.

Seine Niederlage, die Grünen nennen ihn schon «Pinocchio» der Energiewende, will Gabriel aber nicht öffentlich eingestehen. Darauf warten das Kanzleramt und die Schwarzen nur. Gabriel startet lieber ein lautstarkes Ablenkungsmanöver. Er knöpft sich Hildegard Müller vor, einst enge Vertraute von Angela Merkel, nun seit ein paar Jahren Cheflobbyistin der Energiekonzerne und Gastgeberin des BDEW-Kongresses.

Auch Müller dürfte ja die Lebenserfahrung gemacht haben, dass nicht 100 Prozent der eigenen Wünsche durchsetzbar seien: «Die Welt besteht nicht nur aus Interessenvertretern der Energiewirtschaft.» Er sei gerade dabei, den Schutt abzuräumen, den die alte schwarz-gelbe Regierung gemeinsam mit den Konzernen bei der Energiewende hinterlassen habe. «Wir werden uns in die Wolle kriegen», kündigt Gabriel der «Frau Müller in der angemessenen Freundlichkeit» an.

Einmal in Rage, schmettert der Minister gleich auch den Wunsch der angeschlagenen Branche ab, die viel Geld dafür haben will, dass wegen des Ökostrombooms unrentabel gewordene Kraftwerke in einer Kapazitätsreserve geparkt werden, um Strom zu geben, wenn Windräder und Solaranlagen wenig Saft liefern. Das ist aus Sicht Gabriels wie «Hartz IV» für Kraftwerke.

Der Vizechef des Essener Stromriesen RWE, Rolf Martin Schmitz, sagt im Anschluss über den Auftritt des Vizekanzlers: «Sigmar Gabriel hat ein brillantes rhetorisches Feuerwerk abgebrannt. Die Inhalte standen dem etwas nach.» Völlig unrecht hat der Topmanager damit nicht. Denn die große Koalition will ihre Konflikte bei der Energiewende nun mit viel Geld zuschütten - was vor allem die Kosten für die Verbraucher und den Mittelstand etwas treiben könnte.

Statt der Strafabgabe sollen alte Braunkohle-Meiler in eine Reserve gehen und schrittweise vom Markt genommen werden. RWE, Vattenfall & Co. bekommen dafür Bares. Die Reserve könnte nach Expertenschätzungen bis zu eine Milliarde Euro pro Jahr kosten. Also doch so etwas wie «Hartz IV» für die Stromkonzerne durch die Hintertür.

Dazu kommt eine Verdreifachung der jährlichen Förderung auf 1,5 Milliarden Euro für moderne Gas-Anlagen, die gleichzeitig Strom und Wärme produzieren. Das müssen die Verbraucher und kleine Betriebe über die KWK-Umlage schultern. Die Großindustrie ist davon befreit, was auch Gabriel problematisch findet und diskutieren will.

Den Zoff mit Horst Seehofer um die neuen Stromautobahnen wollen die Koalitionäre ebenfalls per Scheckbuch aus der Welt schaffen. Gabriel outete sich plötzlich als Fan von Erdkabeln. Bei den zwei großen geplanten Stromautobahnen Suedlink und Ostlink nach Bayern sollen Leitungen verbuddelt werden, wenn Bürger gegen «Monstertrassen» auf die Barrikaden gehen.

Der bayerische Löwe brüllt, die Bürger rebellieren - Berlin zahlt? Eine «Lex Bayern» würde die Kosten des Netzausbaus massiv in die Höhe treiben, weil alle anderen von den Trassen betroffenen Bundesländer dann sicher auch die teueren Erdkabel haben wollen. Seehofer, der auch Subventionen für Gaskraftwerke will, pokert weiter: «Was unseren bayerischen Interessen nicht entspricht, werden wir nicht unterschreiben.»

Und Merkel? Sie schweigt bislang zur großen Paketlösung, die nächsten Mittwoch unter Dach und Fach sein soll. Beim G7-Gipfel auf Schloss Elmau sonnte sie sich im internationalen Glanz wieder mal als Klimakanzlerin, verkündete den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen bis zum Ende des Jahrhunderts. Für Gabriels Kohle-Plan aber macht sie keinen Finger krumm. «Ich wünsche mir auch mal, dass ich mich mit sechs Kumpels treffen kann und 'ne Zahl für das Jahr 2100 festlege», lästerte Gabriel. «Und dann mich für diese Zahl abfeiern zu lassen.» Das dürfte Merkel auch im größten Griechenland-Rettungsstress gelesen haben.
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