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12.06.2021 | 12:27 | Bundesgerichtshof 

Nachbarn dürfen Äste stutzen - selbst bei Gefahr für den Baum

Karlsruhe / Berlin - Wer sich über überhängende Äste vom Baum des Nachbarn ärgert, darf zur Astschere greifen - das gilt selbst dann, wenn der Baum infolge des Schnitts eingehen könnte.

Baumschnitt
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Naturschutz ist wichtig, das Wohl des Nachbarn auch: Stören überhängende Äste, darf man zur Schere greifen. Auch auf die Gefahr hin, dass der Baum des Nachbarn stirbt. Doch es gibt eine Einschränkung. (c) proplanta
Der Bundesgerichtshof (BGH) bestätigte am Freitag das im Bürgerlichen Gesetzbuch vorgesehene Recht zur Selbsthilfe in einem solchen Fall (Az. V ZR 234/19). Eine Einschränkung machten die obersten deutschen Zivilrichter jedoch: Wenn der übergriffige Baum geschützt ist, etwa durch eine Baumschutzsatzung, darf nicht einfach geschnitten oder gesägt werden.

Über das Schicksal des eigentlichen Baums des Anstoßes, eine 40 Jahre alte Schwarzkiefer in Berlin, ist damit noch nicht endgültig entschieden. Ihre breite Krone ragt seit mindestens zwei Jahrzehnten in Nachbars Garten - und das über einige Meter. Den Nachbarn stören die abfallenden Zapfen und Nadeln - monatlich muss er nach eigener Darstellung entsorgen. Er hatte vergeblich die Eigentümer der Kiefer zum Rückschnitt aufgefordert. Vor vier Jahren reichte es ihm, und er griff selbst zur Astschere.

Deshalb wurde er von den Eigentümern der Kiefer verklagt. Sie fürchten um den sicheren Stand des Baumes. Am Amtsgericht Pankow/Weißensee und am Berliner Landgericht hatten sie damit Erfolg.

Der BGH hob das Berufungsurteil jedoch auf - schon, weil es wegen einer anderen BGH-Entscheidung inzwischen überholt ist. Das höchste deutsche Zivilgericht hatte vor zwei Jahren im Fall einer Krefelder Douglasie entschieden, dass der Selbsthilfe-Paragraf (§ 910 BGB) auch bei abfallenden Nadeln oder Zapfen einschlägig ist (V ZR 102/18 - 14. Juni 2019) und der Nachbar herüberragende Zweige «abschneiden und behalten» kann, wenn sie die Benutzung seines Grundstücks beeinträchtigen. Offen war nun nur noch, ob das auch gilt, wenn ein Baum durch den Rückschnitt bedroht ist.

Die Karlsruher Richter verwiesen die Sache an das Landgericht Berlin zurück. Das muss nun prüfen, ob die Nutzung des Grundstücks des Beklagten durch die ausladende Kiefer beeinträchtigt ist. «Das liegt nahe», sagte die Vorsitzende BGH-Richterin Christina Stresemann bei der Urteilsverkündung.

Beeinträchtigt sein könne ein Nachbar von Laub, Nadeln, Zapfen und Schatten. Ist dies der Fall, dürfen die Überhänge abgeschnitten werden - es sei denn, örtliche Baumschutzsatzungen stünden dem entgegen. «Ob dies hier der Fall ist, wird das Berufungsgericht noch zu prüfen haben», so der BGH.

Die Berliner Baumschutzverordnung schützt alle Waldkiefern, die 1,30 Meter über dem Boden einen Stammumfang von mindestens 80 Zentimetern haben. Von Schwarzkiefern steht dort nichts. Und ob der Berliner Streit-Baum die nötigen Maße hätte, konnte bei der BGH-Verhandlung im März niemand sagen.

Fakt ist, dass die Kiefer seit jeher zu nah an der Grundstücksgrenze steht. Einen Anspruch auf Beseitigung hätte es laut Berliner Nachbarrechtsgesetz nur in den ersten fünf Jahren gegeben.

Was den Baumschutz angeht, klinge das BGH-Urteil hart, räumte die Vorsitzende BGH-Richterin Stresemann ein. Es sei aber richtig, weil der Eigentümer eines Baumes dafür sorgen müsse, dass Äste nicht über das Grundstück wachsen. «Er ist hierzu im Rahmen der ordnungsgemäßen Bewirtschaftung seines Grundstücks gehalten.»

Das gesetzlich verankerte Recht zur Selbsthilfe würde seinen Zweck verfehlen, wenn der tangierte Nachbar nicht selbst zur Schere greifen dürfte, wenn der Eigentümer des Baums den Rückschnitt versäumt.
dpa
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