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26.02.2024 | 05:06 | Drogenpolitik 

Mediziner fordern Überarbeitung der Cannabis-Freigabe

Berlin - Der Bundestag hat sich entschieden: Nach 40 Jahren Verbot soll es bald eine kontrollierte Freigabe von Cannabis an Erwachsene geben.

Hanf
Der Bundestag hat am Freitag die Legalisierung von Cannabis ab 18 Jahren beschlossen. Auch wenn es dabei genaue Regeln gibt, fürchten Ärzte um die Gesundheit junger Erwachsener. Sie wünschen sich nun Nachbesserungen im Vermittlungsausschuss. (c) proplanta
Damit mag für viele überzeugte Kiffer ein Traum in Erfüllung gehen. Doch auch wenn es voraussichtlich ab April viele Regeln und Einschränkungen bei der Vergabe von Cannabis gibt, sind medizinische Fachverbände von dem Gesetz enttäuscht. Sie wünschen sich eine Überarbeitung im Vermittlungsausschuss. Die Hauptkritikpunkte: eine zu niedrige Altersgrenze, zu hohe Abgabemengen und zu wenig Geld für Prävention und Forschung.

«Mit 18 Jahren ist die Hirnentwicklung noch nicht abgeschlossen», sagt Psychiaterin Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank. Sie ist die künftige Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (DGPPN) und kennt sich als Ärztin aus mit Psychosen und Schizophrenie. Das Risiko für diese Krankheitsbilder könne mit häufigem Kiffen deutlich steigen - besonders für junge Erwachsene.

Denn das Hirn reife noch bis ins Alter von Mitte 20, erläutert Gouzoulis-Mayfrank.  Ihr Verband hatte deshalb als Kompromiss 21 Jahre als Einstiegsalter vorgeschlagen. «Damit würde man auch ein klares Signal an junge Volljährige senden, dass Kiffen für sie problematisch ist.»

Dass der Bundestag trotz solcher nachdrücklichen Warnungen aus der Ärzteschaft am Freitag das Gesetz beschlossen hat, bedrückt die Ärztliche Direktorin der LVR-Klinik in Köln. Ihre Fachgesellschaft befürchtet gravierende Konsequenzen - für Einrichtungen zur Behandlung von Suchterkrankungen ebenso wie für die psychische Gesundheit der Bevölkerung insgesamt. 

Das Gesetz kommt voraussichtlich am 22. März noch in den Bundesrat. Es ist nicht zustimmungspflichtig. Doch die Länderkammer könnte prinzipiell den Vermittlungsausschuss anrufen und das Verfahren damit abbremsen. Denn die Idee einer Cannabis-Freigabe mit Regeln bleibt weiter umstritten. Dabei geht es weniger um das Ziel, Dealern das Handwerk zu legen. Das wollen fast alle. Doch aus der Medizin kommen Bedenken, ob jungen Menschen das Risiko von Cannabis ausreichend bewusst ist. «Ich befürchte, dass wir mit diesem Gesetz den Teufel mit dem Beelzebub austreiben», sagt Gouzoulis-Mayfrank.

Riskanter Konsum hat viele Faktoren

Cannabis ist eine psychoaktive Substanz aus der Hanfpflanze, die abhängig machen kann - ob als Joint, Haschkeks oder anders verpackt. «Riskanter Konsum lässt sich nicht pauschal festmachen», sagt Stephanie Eckhardt, Referatsleiterin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) des Referats für Suchtprävention. Es gebe Faktoren, die zusammenspielten: Wie oft wird Cannabis genutzt? Wie viel davon? Und wie hoch ist der THC-Gehalt, also die Konzentration des Rauschmittels Tetrahydrocannabinol? 

Der Cannabis-Konsum sei in Deutschland vor allem bei jungen Erwachsenen zwischen 18 und 25 Jahren gestiegen, berichtet Eckhardt. Nach jüngsten Angaben der BZgA hatte 2021 die Hälfte von ihnen bereits Cannabis-Konsumerfahrung - das sei der höchste von ihr erhobene Wert seit 1973. Für den Anstieg gibt es nur Vermutungen: die Verfügbarkeit, das soziale Umfeld, gesellschaftliche Trends und auch der Preis auf dem Schwarzmarkt.

Nach Angaben des Bundesministeriums für Gesundheit haben im Jahr 2022 rund 4,5 Millionen Erwachsene in Deutschland wenigstens einmal Cannabis genutzt - am häufigsten im Alter zwischen 18 bis 24 Jahren.

Manipulation im Gehirn

Bis zur Volljährigkeit soll Cannabis nach dem neuen Gesetz verboten bleiben. Zudem gibt es mit Blick auf das Alter ein Stufenmodell: In Cannabis-Clubs sollen Vereinsmitglieder die Droge gemeinschaftlich anbauen und gegenseitig abgeben dürfen - pro Monat höchstens 50 Gramm pro Mitglied. Bei 18- bis 21-Jährigen dürfen es nur bis zu 30 Gramm im Monat sein mit einem maximalen Gehalt von zehn Prozent der psychoaktiven Substanz Tetrahydrocannabinol (THC).

«Das ist kein unproblematischer Freizeitkonsum mehr», urteilt Gouzoulis-Mayfrank. 50 Gramm im Monat reichten für mehrere Joints am Tag. Auch 30 Gramm seien für junge Volljährige zu viel. «Aus unserer Sicht sollten wir im Moment nicht ganz so waghalsig voranschreiten», sagt die Ärztin. 

Forschende denken dabei an das körpereigene System für Cannabinoid-Moleküle: Im Gehirn gibt es von Natur aus Strukturen und Andockstellen für diese Substanzen. Sie regeln unter anderem Appetit, Emotionen und Schmerzempfindung mit. Dieses komplexe System reift beim Menschen langsam bis zum Alter von Mitte 20 heran. Kommt Cannabis von außen hinzu, kann dieser Prozess gestört werden. Mediziner gehen davon aus, dass häufiges Kiffen bei Heranwachsenden die Cannabinoid-Strukturen im Gehirn verschiebt und verändert - und diese Manipulation Auswirkungen auf das ganze Leben haben kann.

Erhöhtes Risiko für Psychosen

Dafür gebe es Hinweise aus verschiedenen Forschungssträngen, erläutert Gouzoulis-Mayfrank. Wer früh und viel kiffe, habe ein deutlich erhöhtes Risiko für Psychosen - auch noch viele Jahre später. Europäische Studien sehen auch Zusammenhänge mit Schizophrenie, wobei nicht klar ist, ob die Krankheit Cannabis-Konsum befördert - oder umgekehrt.

«In den vergangenen Jahren gibt es eine zunehmende Offenheit, über Cannabis zu sprechen, auch über die mit dem Konsum verbundenen Risiken», sagt Eckhardt von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. «Es soll kein Tabuthema sein.» Doch auch sie macht Einschränkungen. «Es gibt Chancen und Risiken.» Die Botschaft der BZgA an junge Menschen laute deshalb: Lasst das Kiffen bleiben. 

Psychiaterin Gouzoulis-Mayfrank rechnet in Deutschland mit Kollateralschäden. «Ich befürchte, dass es nicht gelingen wird, die Gefahren von Cannabis glaubhaft rüberzubringen.»  Ihre Fachgesellschaft fordert darüber hinaus deutlich mehr Mittel zur Erforschung der Folgen der Legalisierung in Deutschland.

«Wir wissen aus anderen Ländern, dass Entwicklungen mitunter erst nach einigen Jahren sichtbar werden», sagt sie. Im jetzt verabschiedeten Gesetz seien Gelder für die Forschung nur für vier Jahre vorgesehen. Zudem hätten Studien bereits vor der Legalisierung starten müssen.

«Man muss die Ausgangssituation kennen, um die Auswirkungen auf den Konsum und die psychische Gesundheit der Bevölkerung zu untersuchen.» Neben Alkohol und Nikotin gilt Cannabis nach den Recherchen der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen weltweit als das beliebteste Rauschmittel.
dpa
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