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20.04.2019 | 06:07 | Muffelwild 

Den Wildschafen droht das Aus

Göhrde - Wie befürchtet, die Wildschafe hatten keine Chance.Mehr als hundert Jahre streiften sie durch das abgelegene Waldgebiet östlich von Lüneburg, nun sind die Mufflons verschwunden.

Wildschafe
Die Mufflons östlich von Lüneburg sind weg, es war das älteste deutsche Vorkommen der in ihrer ursprünglichen Heimat selten gewordenen Tiere. Zu ihrem Ende hat eine besondere Eigenart der Wildschafe beigetragen, die sie aus den Bergen mitgebracht haben. Die Vorfahren der Europäischen Wildschafe in dem Waldgebiet stammten aus Korsika und Sardinien. (c) chphotography86 - fotolia.com
«Das Vorkommen in der Göhrde ist vollkommen erloschen, es war das älteste in Deutschland», sagt Peter Pabel. Der 56-Jährige gilt als Experte für die Tiere, er leitet den örtlichen Hochwildring der Jäger, ist Wolfsberater und von Beruf Förster. «Das war zu erwarten - wenn der Wolf kommt, verschwindet das Muffelwild.»

Ursache ist ihr merkwürdiges Fluchtverhalten, das die eindrucksvollen Tiere mit den schneckenförmigen Hörnern aus ihrer bergigen Heimat mitgebracht haben. Die Vorfahren der Europäischen Wildschafe in der Göhrde stammten aus Korsika und Sardinien. Bereits 1903 wurden die ersten von einem Hamburger Kaufmann ausgesetzt, sie vermehrten sich, doch nun blieb ihnen keine Zeit, sich dem nach Deutschland zurückkommenden Wolf anzupassen. Schleicht sich einer der grauen Jäger an, so machen die Schafe einen kurzen schnellen Sprint, dann bleiben sie stehen. In ihrer Heimat konnten sich die Tiere so auf Felsen und Klippen retten, die gibt es hier im Flachland aber nicht.

«Das könnte möglicherweise das einzige reinrassige Vorkommen in Deutschland gewesen sein», sagt Pabel. Kreuzungen mit Hausschafen oder anderen Wildschafrassen habe es hier nicht gegeben. «Wir haben die Population von Beginn an dokumentiert. Diese Genressource ist jetzt verloren gegangen, das macht es so bedauerlich.» Nachdenklich schaut er sich in dem Naturschutzgebiet um, in dem er die Tiere oft beobachtet hat. Statt der vielen Kiefern in der sonst eher flachen Göhrde stehen vereinzelt Eichen auf trockenem Sandboden, mächtige Bäume mit knorrig verrenkten Ästen auf einigen kleinen Hügeln, am Boden Heidesträucher.

«Von da konnten sie weit gucken», erklärt Pabel. Geholfen hat es den Schafen nicht. «Die letzten habe ich hier im Herbst 2017 gesehen», sagt er. Bis zu 300 waren es, dann kam der Wolf. «Das ging mit unglaublicher Rasanz, nach drei Jahren hatte er die Population ausgelöscht.» Nur ganz vereinzelt würden noch Mufflons außerhalb gesichtet. Jetzt kommen Schäfer mit ihren Heidschnucken zum Freihalten der Heide.

Pabel hat versucht, die Mufflons einzufangen, doch alle Versuche scheiterten - für den Menschen waren sie zu schlau, außerdem hatte der Wolf die Schafe sehr scheu werden lassen. «Wir haben sechs Fangmethoden probiert, darunter auch mit Netzen, nichts hat geklappt», berichtet Pabel. «Auch Versuche, mit freiwilligen Helfern die Tiere zusammenzutreiben sind gescheitert.» An den Fallen wurden Wildkameras aufgestellt, zurück im Forsthaus zeigt Pabel das Ergebnis. Statt eines Schafes steht sein Gegenspieler schnuppernd an der Falle. «Der Wolf war immer in der Nähe», sagt Pabel nur. Er sieht die Sache differenziert. «Es liegt mir fern, einen Krieg gegen den Wolf anzuzetteln», betont er ausdrücklich. «Ich bin selbst Wolfsberater und dem Tier gegenüber durchaus positiv eingestellt.»

Manch Förster und Waldbesitzer in Deutschland ist von den Wildschafen genervt, weil einige von ihnen die Rinde von den Bäumen ziehen, «schälen» heißt das in der Fachsprache. Auf den ersten Blick überraschend: Auch einige Naturschützer sehen die Mufflons hierzulande höchst kritisch. So fordert der Naturschutzbund Nabu in Nordrhein-Westfalen seit Jahren sogar, die Art komplett abzuschießen.

Das Mufflon sei als Felsinselbewohner an die weichen Böden hierzulande nicht angepasst und habe mit Hufproblemen zu kämpfen, heißt es. Sebastian Kolberg sieht es ähnlich, er ist beim Nabu auf Bundesebene für den Artenschutz zuständig. «Wenn die Tiere nicht an die verschiedenen Lebensräume angepasst sind, wird es aus artenschutz- und tierschutzrechtlichen Gründen bedenklich», sagt er in Berlin.

«Das Muffelwild passt nicht überall hin», bestätigt Pabel. Bei weichen Böden drohe die sogenannte Moderhinke. «Das war in der Göhrde wegen der trockenen, sandigen Böden aber kein Problem», weiß er. Und geschält hätten die Tiere da auch nicht. «Richtig ist: Der Mensch hat es hier in die Natur gebracht - da scheiden sich die Geister.»

Die von Jägern als Muffelwild bezeichneten Tiere wurden in den vergangenen beiden Jahrhunderten in mehreren Ländern als Jagdwild oder schmückender Zugewinn für Parks und Waldgebiete ausgesetzt, nicht nur in der Lüneburger Heide und im Harz. So wurde Deutschland zu einem der Hauptvorkommen, während die Wiederkäuer in ihrer Heimat zumindest stark gefährdet sein sollen. «Nur die Auswilderung im kontinentalen Europa hat das Mufflon vor dem Aussterben bewahrt», heißt es gar beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) in Bayern.

«Der bundesweite Bestand wurde vor einigen Jahren auf rund 8000 geschätzt. Wir wissen aber nicht, wie viele es heute sind», sagt Nabu-Experte Kolberg. Im Westen und Süden scheint es noch sehr gut um den Bestand zu stehen. Dort wird bislang nur selten ein Wolf gesichtet, auch wenn die Tiere sich weiter ausbreiten. So soll es in Nordrhein-Westfalen noch etwa 2500 Wildschafe in gut zwei Dutzend Gebieten geben.

In anderen Bundesländern können Rückschlüsse meist nur aus der Zahl der von Jägern erlegten Mufflons gezogen werden. In Baden-Württemberg und Bayern ist es danach noch ausgesprochen gut um die Schafe bestellt. Das gilt auch für Rheinland-Pfalz, wo die Mufflons nach Angaben des Umweltministeriums im Waldbau teilweise erhebliche Schäden anrichten. Auch in Hessen werden viele Schafe geschossen. Vor einigen Jahren hatten sich die Tiere dort auch an einem bedrohten Schildfarn gütlich getan, wanderten dann aber ab.

Doch wie sieht es da aus, wo es schon viele Wölfe gibt? Nach der Wiedervereinigung hatten sich diese zunächst in Sachsen angesiedelt. Das erste Rudel entstand in der Lausitz, im Frühjahr 2000 wurden in der Muskauer Heide Wolfswelpen geboren. Die Mufflons verschwanden dort vollkommen. Während die Zahl der von Jägern erlegten oder von Autos überfahrenen Mufflons im Osten des Bundeslandes stetig kleiner wird, ist sie etwa im Erzgebirge nach Angaben des Umweltministeriums vergleichsweise stabil. Im «Wolfsland» Brandenburg sinkt die Zahl der erlegten oder überfahrenen Mufflons seit Jahren stetig.

In Niedersachsen sind nach Schätzungen der Landesjägerschaft rund 250 von bundesweit etwa tausend Wölfen unterwegs, doch noch sind die Schafe dort nicht überall verschwunden. «Nennenswerte Vorkommen gibt es noch im Harz und in Schaumburg-Lippe», sagt Pabel. Ein genetisch vermutlich ähnlich gutes Vorkommen wie einst in der Göhrde lebe im Ost-Harz in Sachsen-Anhalt. Noch gibt es im Harz kein Wolfsrudel, doch das dürfte sich nach Einschätzung des niedersächsischen Umweltministeriums mittelfristig ändern. Dann haben die Wiederkäuer auch dort ein Problem. «Es fehlen großflächige steile und steinige Hanglagen», erklärt Sprecherin Lotta Cordes.

«Sollte sich der Wolf bundesweit etablieren, so ist nicht davon auszugehen, dass die Population in Deutschland dauerhaft bestehen wird», fasst Nabu-Experte Kolberg zusammen. Er räumt jedoch ein: «Die Möglichkeit, dass kleine Inselvorkommen bei entsprechenden Lebensräumen mit trockenen und felsigen Böden überleben werden, ist nicht auszuschließen.»

«Wenn man die Mufflons erhalten will, muss man rechtzeitig etwas tun», warnt Pabel nach den Erfahrungen in der Göhrde. «Der Naturschutz wird seiner Verantwortung nicht gerecht, wenn er sich nicht auch um Strategien zur Arterhaltung des Mufflons kümmert - es gilt als Stammform aller Hausschafrassen.»

«Um ein vollständiges Erlöschen zu verhindern, unterstützt das Land die Bemühungen um eine Sicherung der genetischen Ressourcen des Muffelwildes in Niedersachsen», sagt Cordes. «Das gilt auch für Fangversuche wie in der Göhrde, sollten sie eines Tages etwa im Harz notwendig werden.» Wer Mufflonvorkommen genetisch bewahren möchte, sollte sich schon vor Rückkehr der Wölfe um den Fang kümmern, rät Pabel.

Und wie reagieren Jäger? «Jagd in Deutschland muss nachhaltig sein», sagt Torsten Reinwald vom Deutschen Jagdverband. «Wenn es bei einer Art weniger Nachwuchs als Todesfälle gibt, dann sollte nicht geschossen werden», betont er. «Wir züchten in den Zoos exotische Tiere wie Schneeleoparden, die vom Aussterben bedroht sind», die Mufflons dagegen hätten keine große Lobby.
dpa
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