Vorsprung durch Wissen
Das Informationszentrum für die Landwirtschaft
04.02.2015 | 13:10 | Ernährung 

Deutsche sind Obst- und Gemüsemuffel

Berlin - Die Freude vieler Deutscher an der gepflegten Schnäppchenjagd hört bei Obst und Gemüse auf.

Gemüsemischung
Wer schält im Büro einen Apfel? Wer schnippelt zu Hause Zucchini? Wenn die Deutschen trotz günstiger Preise kaum mehr Obst und Gemüse kaufen, müssen andere Gründe dahinterstecken. (c) proplanta
Obwohl die Preise 2014 im Vergleich zum Vorjahr stagnierten oder sanken, griffen die Bundesbürger an der Obst- und Gemüsetheke nicht wesentlich häufiger zu, bilanzieren die Veranstalter der Berliner Messe «Fruit Logistica» (4. bis 6. Februar), eines der größten Branchentreffen weltweit.

Es ist ein Phänomen, dass den Deutschen Fruchthandelsverband schon länger umtreibt. Warum sind die Deutschen solche Obst- und Gemüsemuffel - und weshalb wird das von Generation zu Generation schlimmer? Mit dem Preis hat es wohl weniger zu tun als mit gesellschaftlichen Veränderungen.

Preise runter gleich Menge hoch - diese Logik gilt nach Einschätzung des Marktforschungsinstituts GFK nicht für Obst und Gemüse. Beispiel Äpfel: Das beliebteste Obst der Deutschen war 2014 fast zehn Prozent billiger als im Vorjahr, weil die Ernten in ganz Europa gut ausfielen und sich zusätzlich Ware durch das russischen Einfuhrstopp stapelte.

In den Einkaufkörben der Haushalte aber lagen im vergangenen Jahr 18,5 Kilogramm Äpfel - und damit fast genauso viele wie 2013 (Minus 0,4 Prozent). Eine Konsumexpansion sei trotz stabiler oder niedriger Preise also nicht zu erwarten, folgern die Forscher - und raten der Branche zu «Mehrwertstrategien», die den Verbraucher zum Kauf reize.

Bei dem Thema wirkt der Deutsche Fruchthandelsverband (DFHV) leicht frustriert bis ratlos. «Obst und Gemüse sind wohl nicht sexy genug», resümiert DFHV-Präsident Dieter Krauß. «Es gibt keine Marken, keine emotionale Bindung.» Sogar Mineralwasser schaffe es, sich besser zu vermarkten. Und für siebenstellige Werbekampagnen habe die Branche kein Geld, die Gewinnmargen dafür seien nicht üppig genug - und der Erfolg zweifelhaft.

Rund 155 Kilogramm Obst und Gemüse lagen 2014 durchschnittlich in den Einkaufskörben für jeden Privathaushalt in Deutschland. Nach den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung ist das viel zu wenig. Danach müsste allein ein Erwachsener im Jahr mindestens 90 Kilogramm Obst und 146 Kilogramm Gemüse essen, um sich ausgewogen zu ernähren. Die Werte liegen schon pro Tag weit darunter, bei Männern noch mehr als bei Frauen.

Dabei sind Lebensmittel in Deutschland vergleichsweise günstig. Doch im gesamten Warenkorb machen sie nur rund 9,3 Prozent aus. «Vor einer Generation waren es 30 Prozent», seufzt DFHV-Geschäftsführer Andreas Brügger. Die Gründe scheinen tiefer zu liegen.

«Der Lebensstil verändert sich», sagt Ulrike Niggemann, Vorsitzendes des Messebeirats der Fruit Logistica. Auf der einen Seite gebe es Nischen wie Bio und Vegan, auf der anderen Seite werde der Anteil der Außer-Haus-Esser immer größer.

Drei von Vier Haushalten bestehen nach Angaben der GfK auch nur noch aus ein oder zwei Personen. Singles aller Altersgruppen und deutlich mehr Senioren als früher - regelmäßig gekocht wird da seltener. Und wenn, soll es einfach und schnell gehen. Das befördert die Griff zum Fertiggericht statt dem Schnibbeln von Gemüse. Und Nudeln sind beliebter als Kartoffeln, weil man sie schon mal nicht schälen muss.

Vielleicht kann das Angebot so gut sein wie es will - es lockt wenig, wenn immer mehr Bundesbürger in die Kantine gehen. Selbst das Kita- oder Schulessen soll oft möglichst billig sein, ergänzt Krauß. Dabei sieht der Fruchthandelsverband bei Kindern noch das größte Potenzial:

Wenn mit ihnen in der Grundschule gekocht würde - oder zumindest schon mal regelmäßig Obst verteilt, könnte das die künftigen Generationen auf den Geschmack bringen. Doch selbst EU-Schulfruchtprogramme setzten nur 9 von 16 Bundesländern um. Oft scheitere es am Verwaltungsaufwand oder der Ko-Finanzierung, berichtet Krauß.

So ist es kein Scherz, wenn die Branche bereits über eine Smartphone-App oder QR-Codes nachdenkt, durch die Jugendliche zum Beispiel Tomaten erklärt bekommen. Völlig tatenlos will sie der Entwicklung auch nicht zuschauen. Für den Innovationspreis der Fruit Logistica sind zum Beispiel Mischpackungen von Obst und Gemüse samt Lasagne-Platten nominiert - vorsortiert und samt Rezept.

Ulrike Niggemann hält es trotzdem nicht für ausgeschlossen, dass der triviale Merksatz «An apple a day keeps the doctor away» (Ein Apfel am Tag erspart den Weg zum Arzt) für Jugendliche eine andere Bedeutung bekommen könnte. «Sie denken da vielleicht schon an Smartphones und Tablets.» (dpa)
Kommentieren
weitere Artikel

Status:
Name / Pseudonym:
Kommentar:
Bitte Sicherheitsabfrage lösen:


  Weitere Artikel zum Thema

 Hervorragende Beerenernte in Großbritannien - Warnung vor bürokratischen Hürden

 Erzeuger erwarten erneut gute Ernte bei Pfirsiche und Nektarinen

 Werden Lebensmittel jetzt günstiger?

 Spanisches Obst und Gemüse: Umsatzplus bei kleinerer Ausfuhrmenge

 Fruit Logistica ist gewachsen

  Kommentierte Artikel

 Geld wie Heu - Geht auf den Bauernhöfen wirklich die Post ab?

 Tote Ziegen im Schwarzwald gehen auf Rechnung eines Wolfs

 Gärtner verzweifeln über Superschnecke

 Bauerndemo in Brüssel für faire Preise

 Tierschutznovelle erntet Kritik von allen Seiten

 Online-Abstimmung über Verbrenner-Verbot manipuliert?

 Wut und Wahlen 2024: Die zunehmend mächtige Gruppe der Nichtwähler

 NRW-OVG verhandelt Streit um ein paar Gramm Wurst zu wenig

 Ruf nach Unterstützung der Imker

 Kein kräftiger Aufschwung in Sicht - Wirtschaftsweise für Pkw-Maut