An der Aller bei Bannetze planen Wissenschaftler der TU Braunschweig mit Stahlspezialisten der Salzgitter AG ein gigantisches Hochleistungswasserrad - groß wie ein Einfamilienhaus. Diesen Samstag ist Baustelleneröffnung mit Niedersachsens Wissenschaftsministerin Gabriele Heinen-Kljajic (Grüne).
Ende 2017 soll das Elf-Millionen-Euro-Projekt in Betrieb gehen und Perspektiven der Energiewende aufzeigen - neben Wind- und Solarkraft. Trotz der grünen Aussichten üben Naturschützer auch Kritik.
Das Wasserkraftrad mit 11 Metern Durchmesser, 12 Metern Breite und 60 Schaufeln wird den Organisatoren zufolge das stärkste weltweit sein. Es soll 1.000 Haushalte versorgen können und die bisher schwächelnde Wasserkraft im Norden beflügeln. «Wenn das Projekt erfolgreich ist, wäre das eine technische Revolution», sagt TU-Forscher Christian Seidel.
Da Flüssen wie Aller oder Leine trotz großer Durchflussmengen die nötige Fallhöhe fehle, seien Wasserkrafträder dort bisher im großen Stil nicht zu nutzen. Seit zehn Jahren arbeiten die TU-Tüftler an der Wende. Auf Materialseite arbeitet ihnen mit Salzgitter AG Deutschlands zweitgrößter Stahlkocher zu. Der MDax-Konzern ist Generalunternehmer bei dem Projekt, zahlt die Hälfte der Kosten (5,5 Millionen Euro) und darf den Strom später vermarkten. Den Rest fördern Land und Bund.
Nach Angaben des Ingenieurs Seidel enden Wasserräder bisher bei sechs Kubikmetern Durchlauf pro Sekunde. Das Aller-Kraftrad schafft zehnmal so viel. Seine Drehmomentkraft entspricht der von 3.200 Porsche 911-Sportwagen.
Laut Fraunhofer-Institut ist der Ertrag der Wasserkraft hierzulande seit 1990 nahezu unverändert. Ihr Anteil am Erneuerbare-Energien-Mix schrumpfte aber zuletzt auf 13 Prozent, da Wind und Sonne wachsen.
Vorteil der Wasserkraft: Sie soll grundlastfähig sein, also anders als unstete Wind- und Solarkraft herkömmliche Kraftwerke tatsächlich ersetzen können, nicht nur ergänzen. Den Fraunhofer-Forschern zufolge übertrumpft die Wasserkraft die Meeres-Windkraft bei der wichtigen Vollauslastung pro Jahr etwa um den Faktor 1,5. Wind an Land und vor allem die Solarkraft seien im Vergleich sogar noch viel schwächer.
Trotz der Superlative in der norddeutschen Tiefebene: Umweltschützer wie der
BUND und die Aller-Oker-Lachsgemeinschaft fürchten Schäden am Fischbestand. Der Landessportfischerverband (LSFV) lehnt das Vorhaben sogar ab.
Die Genehmigungsbehörde, der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN), will beruhigen: Räder seien fischschonender als Turbinen. «Nach den bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnissen» hätten Fische, besonders die gefährdeten Lachse und Meerforellen, wegen der langsamen Drehung nicht viel zu befürchten.
Drei Jahre Monitoring am fertigen Rad sollen Gewissheit bringen. Im Modell hat Seidel schon mit gummierten Styroporfischen gearbeitet. Nicht einmal jeder Hundertste Fisch war lädiert. Zudem gibt es beim Rad und seinem Wehr Fischtreppen als Alternative. Doch Ideallösungen bilden die nie, das ist unumstritten. Ingenieure und Naturschützer ringen nun für den Bau der Anlage um Kompromisse bei Spaltmaßen und Fischgittergrößen. Sie gehen meist auf Kosten der Anlagenleistung.
Naturschützer fürchten, das Projekt sei politisch zu gewollt, um aus anderen als technischen Gründen noch scheitern zu können. Der NLWKN sagt, weil alle Prüfungen vorab schon derart positiv waren, «enthält der Beschluss keine Regelungen für einen eventuellen Rückbau».
Die Salzgitter AG müht sich bei Hademstorf nahe Schwarmstedt schon um Standort Nummer zwei. Dort soll es mit den Erfahrungen aus Bannetze um die Kostenoptimierung der Radtechnologie gehen. «Für den Standort Hademstorf gibt es noch kein Zulassungsverfahren», sagt der NLWKN.