Wie das Bundeslandwirtschaftsministerium vergangene Woche mitteilte, hat die Brüsseler Administration dem Entwurf der geänderten Allgemeinen Verwaltungsvorschrift (AVV) Gebietsausweisung zugestimmt. Gleichzeitig fordert die Kommission eine zügige Verabschiedung.
Die Bundesregierung strebt an, dass die AVV Gebietsausweisung noch vor der Sommerpause vom Bundesrat beschlossen wird. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir reagierte erleichtert, weil damit milliardenschwere Strafzahlungen Deutschlands wegen Nichteinhaltung der EU-Nitratrichtlinie vermieden werden könnten. Özdemir appellierte an seine Länderkollegen, der Vorlage zuzustimmen. Dies sei die Voraussetzung, um der Landwirtschaft endlich einen verlässlichen Rahmen zu geben.
Nach der früheren „unseligen Hinhaltetaktik“ gegenüber Brüssel brauche es jetzt „Klarheit und Stabilität“, betonte der Minister. Der Deutsche Bauernverband (DBV) reagierte zurückhaltend. DBV-Präsident Joachim Rukwied nannte es bedauerlich, dass die EU-Kommission das Verursacherprinzip beim Gewässerschutz aufgebe.
Einheitliches Verfahren mit mehrstufigem AnsatzBerechnungen der Länder zufolge wird sich der Umfang der nitratbelasteten Gebiete unter den neuen Maßgaben von derzeit rund 2 Mio ha auf etwa 2,9 Mio. ha ausweiten. Das entspricht einer Zunahme der Roten Gebiete um rund 45 %. Die neue AVV sieht auf Betreiben der Kommission eine Abkehr vom bisherigen emissionsbasierten Ansatz über die sogenannte Modellierung und damit der Berücksichtigung der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung bei der Gebietsausweisung vor.
An dessen Stelle soll ein einheitliches Verfahren mit einem mehrstufigen Ansatz treten. Als Ausgangspunkt für die Ausweisung der nitratbelasteten Gebiete soll ein von den Bundesländern bis 2024 noch deutlich zu verdichtendes Ausweisungsmessnetz dienen, das auf den bereits vorhandenen Messstellen der schon eingerichteten Messnetze basiert.
Ab 2028 sollen die Länder ein geostatistisches Ausweisungsverfahren einführen müssen. Bis dahin dürfen auch andere Verfahren zur Anwendung kommen. Allerdings soll es nicht mehr zulässig sein, dass - wie bisher - mehrere Verfahren gleichzeitig genutzt werden.
Straffer ZeitplanMit Erleichterung ist die Einigung mit der EU-Kommission in der niedersächsischen Landesregierung aufgenommen worden. „Es ist zunächst einmal gut, dass der Bund hier endlich Klarheit schafft und das nun sehr lange andauernde Verfahren zu einem absehbaren Ende kommt“, erklärten Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast und Umweltminister Olaf Lies nach einer Unterredung der Länderressortchefs mit den zuständigen Bundesministern Özdemir und Steffi Lemke über das weitere Vorgehen.
Ausdrücklich begrüßten die beiden Landesminister, dass in Niedersachsen die Kulisse der Roten Gebiete auf Basis der neuen AVV insgesamt nur geringfügig größer werde. Den vom Bund vorgelegten Zeitplan bis Ende Juni bewerteten Otte-Kinast und Lies als straff. Umso wichtiger sei es, nun mit der Arbeit zu beginnen. Die beiden Landespolitiker betonten das gemeinsame Ziel, ein weiteres Vertragsverletzungserfahren gegen Deutschland abzuwenden.
Länder müssen abweichen können„Mit ENNI steht in Niedersachsen ein bundesweit einmaliges Meldeprogramm zur Verfügung, das den Nährstoffverbrauch und den Düngebedarf völlig transparent macht“, betonte Otte-Kinast. Aus ihrer Sicht wäre eine Überführung dieses erfolgreichen Systems in das Bundesrecht „angemessen“.
Allerdings komme auf die Landwirte erneut eine veränderte Ausweisung der Roten Gebiete zu, da die Kommission die Forderung weiterhin aufrecht halte, dass alle roten Messstellen in Roten Gebieten liegen müssten. Betroffene Betriebe müssten sich darauf einstellen, dass auf diesen Flächen weiterhin Einschränkungen bei der Düngung kommen würden.
Aus Sicht von Lies muss der Bund den Ländern über eine Änderung der Düngeverordnung eine entsprechende Ermächtigung erteilen, um Maßnahmen zielgerichtet und verursachergerecht umsetzen zu können: „Wir müssen zu einem echten Verursacherprinzip kommen“, so der SPD-Politiker. Wer wenig dünge, dürfe nicht mit abgestraft werden, stellte Lies klar.
Pauschale, weitreichende Einschränkungen der Bewirtschaftung in den Roten Gebieten seien nicht gerecht. Ländern wie Niedersachsen, die bereits ein differenziertes System vorweisen könnten, müssten über die Bundesgesetzgebung Möglichkeiten eingeräumt werden, von den Bundesregelungen abzuweichen. Dafür werde man im weiteren Verfahren gegenüber dem Bund kämpfen.
Messstellennetz verdichtenDie Landwirte hätten das Ziel, die Nahrungsmittelerzeugung mit dem Gewässerschutz in Übereinstimmung zu bringen, stellte Rukwied klar. Für einen zielgerichteten Gewässerschutz bestehe national noch erheblicher Handlungsbedarf hinsichtlich der Verdichtung des
Messstellennetzes und einer differenzierten Gebietsabgrenzung.
„Das Verursacherprinzip gebietet, dass diejenigen Landwirte von den zusätzlichen Auflagen ausgenommen werden, die anhand von Nährstoffbilanzen eine gewässerschonende Wirtschaftsweise belegen können“, unterstrich der DBV-Präsident. Das Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland müsse endlich abgeschlossen werden; die Landwirte benötigten Planungssicherheit „und keine Änderungen des Düngerechts im Jahrestakt“.
Vom System der Roten Gebiete abkehren„Wir müssen wegkommen vom System der Roten Gebiete“, so der Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), Martin Schulz. Dieses System nehme auch solche Betriebe in Mithaftung, die etwa aufgrund ihrer sandigen Böden in Roten Gebieten lägen, die aber vernünftig düngten. Für Schulz ist das ungerecht und führt völlig zu Recht zu Unmut.
Um das Problem der Nährstoffüberschüsse in den Griff zu bekommen, müsse das Verursacherprinzip konsequent umgesetzt werden. Der AbL-Vorsitze schlägt ein System vor, „das gezielt gesetzeswidrige Überschüsse adressiert und gleichzeitig alle anderen Betriebe von Restriktionen befreit“.
Dafür müsse so rasch wie möglich die einzelbetriebliche Stoffstrombilanz eingeführt werden. Erforderlich sei daneben ein Anreizsystem, das Betriebe entlohne, die über den gesetzlichen Standard hinaus das Grundwasser schonten. Vorschläge zu beidem lägen auf dem Tisch.
Verweis auf KernaufgabeNach den Worten des Vorsitzenden der Familienbetriebe Land und Forst, Max von Elverfeldt, muss die Zustimmung der EU-Kommission zur Verwaltungsvorschrift zum Anlass genommen werden, auf Basis sachlicher Kriterien und mit Blick auf die Wirksamkeit der Auflagen die Vorgaben für den Gewässerschutz zu erfüllen.
Dabei müsse das Verursacherprinzip beachtet werden. Zugleich dürfe nicht außer Acht bleiben, „Pflanzen und Kulturen brauchen ausreichend Nährstoffe“. Nur dann könne die Landwirtschaft ihre Kernaufgabe erfüllen, nämlich Nahrungsmittel erzeugen und die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen.
Endlich RechtssicherheitDer Koordinator für Agrarpolitik und Landnutzungspolitik beim World Wide Fund for Nature (WWF) Deutschland, Johann Rathke, bescheinigte Özdemir, dem Hin-und-Her beim Thema Düngen endlich ein Ende zu bereiten. Die Länder hätten es im Bundesrat nun in der Hand, den Landwirten eine verlässliche Perspektive zu eröffnen. Dabei müsse klar sein, dass es zur Reduzierung der Nitrateinträge kommen müsse.
Laut Rathke ist die Ausweisung der Roten Gebiete von Land zu Land sehr unterschiedlich. „Eine AVV, die von der Kommission bestätigt wird, schafft endlich Rechtssicherheit“, ist der WWF-Experte überzeugt. Rechtssicherheit schaffe Planungssicherheit.
Das sei die Voraussetzung für Landwirte, um langfristig zu planen und ihre Bewirtschaftung so auszurichten, dass die natürlichen Grundlagen und konkret die Qualität der Grund- und Oberflächengewässer verbessert werde. Vor dem Hintergrund des Klimawandels sei das eine besonders verantwortungsvolle Aufgabe.