Inzwischen fällt das Lachen eher gequält aus. Nach Jahrzehnten des Wirtschaftens mit geradezu planwirtschaftlichen Elementen steht die Zuckerbranche in ganz Europa vor einer historischen Reform.
Sie wird sich von Herbst 2017 an dem Weltmarkt öffnen müssen. Mitten in den ersten Auswirkungen: Europas Branchenführer Süd- und
Nordzucker mit ihren zusammen rund 22.000 Mitarbeitern und 57.000 Rübenbauern.
Die Branche ist nervös, denn ihr steht mit dem Wegfall der Zuckermarktordnung eine riesige Umstellung bevor. Ohne vorgegebene Produktionsquoten fällt die Sicherheit weg, die bislang selbstverständlich war.
«Alle Zuckerhersteller sind momentan in der Orientierungsphase», sagt Analyst Heinz Müller von der DZ Bank. Es wird abgewartet, einen Masterplan hat noch niemand vorgelegt. Die Zuckermarktordnung regulierte den europäischen Markt bislang strikt über Produktionsquoten, Einfuhrzölle und Subventionen.
«Die Unternehmen in Europa werden in einem stärkeren Wettbewerb stehen», sagt Müller voraus. Zumal Zucker ein recht austauschbares Produkt sei. Die Unternehmen könnten aber zumindest von ihrer bestehenden Logistik und ihren Kundenbeziehungen profitieren.
Die Nähe zwischen Abnehmer und Produktionsstätte werde auch weiterhin eine Rolle spielen. Die althergebrachten Geschäftsmodelle stehen allerdings vor einschneidenden Reformen. Nordzucker-Agrarvorstand Lars Gorissen sagte jüngst bei der Hauptversammlung: «Für alle sieben Länder, in denen wir Rüben ankaufen, brauchen wir neue Konzepte.»
Experten sprechen davon, neue Produktionsstätten im Ausland zu eröffnen oder die Produktpalette auszubauen, um weniger stark vom Zucker abhängig zu sein. Müller etwa hält es für denkbar, dass Süd- und Nordzucker ihre Fühler vermehrt nach Südafrika und Südamerika ausstrecken. «Es macht insbesondere dort Sinn, wo die entsprechenden Rohstoffe für die Zuckerproduktion auch wachsen.»
Allerdings müssten die Unternehmen erst einmal das Geld haben, um die neue Auslandsproduktion aufzubauen, gibt Analyst Wolfgang Vasterling von Nord/LB Company Research zu bedenken. «Wenn man hier nicht so gut verdient, ist das nicht so einfach.» Sinkende Weltmarktpreise für Zucker vermiesen Süd- und Nordzucker bereits jetzt die Geschäfte.
Unabhängig von der Reform sei
Südzucker dabei, außerhalb Europas weitere Standbeine aufzubauen, sagt ein Unternehmenssprecher. Das sei keine neue Entwicklung. Der Wegfall der Zuckermarktordnung könnte Prozesse schneller vorantreiben, die sowieso auf der Agenda stehen. Klar sei für die Zeit nach 2017: «Das Geschäft wird internationaler werden.» Die Unternehmen seien zunehmend auf dem Weltmarkt tätig.
Agrarökonomen der Uni Göttingen haben den Ursprung der Regulierung untersucht, der rund 50 Jahre zurückliegt, im Anfang der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft EWG. Demnach war Zucker das einzige Agrarprodukt, für das die Politik in den 1960er Jahren in der ersten gemeinsamen Marktordnung von Anfang an Kontingente festlegte. Dabei hatte die EWG-Kommission ursprünglich auch für Zucker vorgeschlagen, dass die damals sechs Mitgliedsstaaten in freien Wettbewerb treten.
Doch es herrschte ein großes Gefälle zwischen teurer und günstiger Produktion mit Polen/Italien/Deutschland auf der einen Seite und Nordfrankreich/Belgien auf der anderen. Ohne Kontingentierung hätte die Reform also vor allem Druck für die Bauern hierzulande bedeutet.
«Also wurde bereits mit Einführung einer gemeinsamen Marktpolitik für Zucker in der EWG der Sonderstatus eines Kontingentierungs-Systems etabliert», halten die Forscher fest. Deutschlands Einfluss sei stets maßgeblich gewesen. Seither hat der Planwirtschaftsansatz überlebt.
Vor der Branche liegt nun eine Zeitenwende. Und die Verbraucher? Die müssen sich ein Stück weit überraschen lassen. Wie etwa wird sich die Reform auf den Zuckerpreis auswirken? Ein Südzucker-Sprecher sagt: «Keine Ahnung.» (dpa)