Angela Merkel (c) proplanta
Am liebsten regieren Angela Merkel, Horst Seehofer und Sigmar Gabriel im kleinen Kreis, da dringt nichts nach draußen. Das nahm bisweilen skurrile Züge an, etwa als die in ihrem Ministerium ausharrende Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) per Telefon die Einigung zum Mindestlohn von 8,50 Euro diktiert bekam.
Mehrere Anläufe für ein Treffen in größerer Runde scheiterten, gar nicht so sehr zum Verdruss der Chefs. Dabei heißt es im Vertrag von Union und SPD doch: «Die Koalitionspartner treffen sich regelmäßig zu Koalitionsgesprächen im Koalitionsausschuss.»
Nun, über ein Jahr nach der Bundestagswahl, waren für Dienstagabend erstmals auch gemeinsam die Fraktionschefs, Fraktionsgeschäftsführer und Generalsekretäre ins Kanzleramt eingeladen. Aber im Vorfeld wurde das Treffen auf den Charakter einer vertrauensbildenden Plauderstunde heruntergestuft.
Sogar eine klare Tagesordnung fehlte. Es gebe ein paar Themen, über die man reden wolle, «weitere Themen mögen hinzukommen», sagte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann lapidar. Er war ohnehin erstmal damit beschäftigt, nach den jüngsten Sticheleien der SPD gegen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) abzurüsten.
«Die Verteidigungsministerin trägt nicht die Verantwortung für die derzeitigen Zustände», sagte er mit Blick auf die Ausrüstungsmängel der Bundeswehr. Von der Leyen gilt einigen in der SPD als potenzielle Merkel-Nachfolgerin. Mal wurde sie zuletzt als Foto-Ministerin verspottet, dann warf ihr Generalsekretärin Yasmin Fahimi unabgestimmte «Plaudereien» über neue Auslandseinsätze vor.
CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt krittelte, der Ruf der SPD-Generalsekretärin werde «mit Sicherheit nicht besser», wenn sie Regierungsmitglieder der eigenen Koalition derart bewerte.
Sie erklärte das Treffen zum «Zeichen eines grundsätzlichen Vertrauens untereinander». Doch als sie gefragt wurde, ob denn der vorherige Koalitionspartner FDP wegen der damals häufigeren Treffen schwieriger gewesen sei als die Sozialdemokraten, wollte sie das nicht so «holzschnittartig» stehen lassen.
«Es hat schon Phasen gegeben, wo man sich ein bisschen schwer tat mit dem Vertrauen», sagte sie Richtung SPD. Bei der CSU sitzt tief, dass ihr Minister Hans-Peter Friedrich zurücktreten musste, weil er Gabriel 2013 am Rande der Koalitionsgespräche einen Hinweis auf mögliche Ermittlungen gegen den SPD-Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy gegeben hatte.
So war oberstes Ziel: Einigkeit demonstrieren. Kurz vor dem Treffen wurde eine Lösung in der Debatte um Karenzzeiten gefunden. Die Wechsel von Ex-Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU) zur Deutschen Bahn, von Ex-Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) zum Rüstungskonzern Rheinmetall und von Ex-Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) zur Allianz hatten den Druck für eine Regelung verstärkt. Wenn das Kabinett Interessenskonflikte befürchtet, soll es vor dem Start beim neuen Geldgeber für Bundesminister und Parlamentarische Staatssekretäre eine Abklingphase von mindestens zwölf Monaten geben.
Ein großes Problem ist das vorläufige Veto von CSU-Chef Seehofer gegen zwei von drei geplanten Nord-Süd-Stromtrassen - er will einen Prüfbescheid, ob sie wirklich notwendig sind, am Donnerstag findet dazu ein Spitzengespräch bei Wirtschaftsminister Gabriel statt. Klar ist aber auch: Subventionierte Gaskraftwerke in Bayern als Alternative zu Windstrom aus dem Norden sind unrealistisch.
Mit einer übergroßen Mehrheit von 504 der 631 Sitze im Bundestag ausgestattet, hat die Koalition eigentlich reichlich Spielraum für Reformen. Bisher hat sie aber vor allem auf soziale Wohltaten gesetzt: Die Rentenverbesserungen für 9,5 Millionen Mütter, deren Kinder vor 1992 zur Welt kamen, und die abschlagsfreie Rente mit 63 bei 45 Beitragsjahren kosten pro Jahr bis zu elf Milliarden Euro.
In den Koalitionsverhandlungen hatten die Unterhändler Ilse Aigner (CSU) und Hubertus Heil (SPD) Schiffbruch erlitten mit ihrem Investitionsprogramm für die Wirtschaft in Höhe von 15 Milliarden Euro - das Geld ist wegen anderer Prioritäten nicht da. Dabei mehren sich Alarmsignale, dass eine deutliche Eintrübung der Konjunktur wegen der globalen Krisen droht. Wirtschaftsminister Gabriel stellt das Wachstumsziel der Regierung von 1,8 Prozent für 2014 in Frage.
Während die Welt aus den Fugen gerät, ruht im Inland scheinbar still der See. Jede Seite bekommt ihre Wünsche erfüllt. Große Reformprojekte wie der rasche Breitband-Ausbau, die Sanierung maroder Straßen und Brücken oder die Herausforderungen der rasant alternden Gesellschaft werden eher halbherzig angegangen. Warum sind die Bürger also zufrieden mit dieser Regierung? Weil sie ihnen keine Reformen abverlangt? Oder weil sie Stabilität garantiert, in Zeiten von Ukraine-Krise und Köpfe abschlagenden Terrormilizen im Irak? Fast scheint es, als greifen Angela Merkel und ihre Koalition derzeit das alte Gerhard-Schröder-Motto auf: «Regieren mit ruhiger Hand». (dpa)