Vorsprung durch Wissen
schließen x
Suchbegriff
Rubrik
 Suchen
Das Informationszentrum für die Landwirtschaft
19.06.2023 | 07:07 | Freihandelsabkommen 

Nachverhandlungen zur Nachhaltigkeit des Mercosur-Abkommens kein Selbstläufer

Brasília / Brüssel - Bei den Verhandlungen über ein zusätzliches Nachhaltigkeitskapitel für das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den südamerikanischen Mercosur-Staaten ist vorerst kein Ende in Sicht.

Freihandelsabkommen
Von der Leyen besucht Mercosur-Staaten und unterstreicht Kooperationsbereitschaft - Abkommen so bald wie möglich unter Dach und Fach bringen. (c) proplanta
EU-Kommissionspräsidentin Dr. Ursula von der Leyen besuchte in der vergangenen Woche Brasilien, Argentinien, Chile und Mexiko. Brasiliens Staatspräsident Lula da Silva demonstrierte beim Treffen mit der Kommissionspräsidentin Selbstbewusstsein und machte deutlich, dass die Nachforderungen im Umweltbereich nicht ohne weiteres akzeptiert würden.

Die Beziehung sei eine strategische Partnerschaft, betonte da Silva. Grundlage müsse gegenseitiges Vertrauen sein und nicht Misstrauen und Sanktionen. Es könne daher keine Auflagen und Strafen geben, sondern nur Verhandlungen. Von der Leyen unterstrich die Kooperationsbereitschaft der EU. „Europa meldet sich zurück in Brasilien. Europa meldet sich zurück in Lateinamerika. Es ist an der Zeit, unsere strategische Partnerschaft auf die nächste Stufe zu heben“, so die CDU-Politikerin.

Das Freihandelsabkommen werde beiden Seiten „enorme Vorteile“ bringen und müsse nun so bald wie möglich abgeschlossen werden. Laut von der Leyen haben die Mercosur-Staaten einen Vorschlag über ein zusätzliches Instrument erhalten. „Wir freuen uns sehr auf Ihre Antwort, denn wir wollen von Ihnen hören, welche Bereiche verbessert werden können, wo wir uns annähern können, um bis zum Ende des Jahres das Abkommen tatsächlich abschließen zu können“, erklärte die Kommissionspräsidentin.

Argentinien pocht auf WTO

Argentiniens Staatspräsident Alberto Ángel Fernández erklärte beim Treffen mit von der Leyen, das Abkommen mit der EU müsse ein Gleichgewicht zwischen den Volkswirtschaften herstellen und dabei Unterschiede berücksichtigen, um die Entwicklung in den Mercosur-Staaten nicht zu bremsen. Wichtig sei, dass die Umsetzung des Green Deals im Einklang mit den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) und auf wissenschaftlicher Basis erfolge. Keinesfalls dürfe es zu ungerechtfertigten Einschränkungen des internationalen Handels kommen. Argentinien kann der EU laut Fernández vor allem im Bereich Energie Angebote machen. Er nannte unter anderem die Gewinnung von Lithium und Kupfer sowie grünen Wasserstoff.

Gegenvorschlag erwartet

Die Verhandlungen zum Mercosur-Abkommen sollen am 29. und 30. Juni fortgesetzt werden. Medienberichten zufolge werden die südamerikanischen Länder einen Gegenvorschlag vorlegen. Sie wenden sich gegen verbindliche Vorgaben in Sachen Umwelt- und Klimaschutz. Erst vorvergangene Woche hatte die EU-Kommission vorgeschlagen, die Beziehungen zu Lateinamerika zu intensivieren und sich dabei erneut für einen zügigen Abschluss der Verhandlungen mit den Mercosur-Staaten ausgesprochen. Der Besuch von der Leyens diente auch zur Vorbereitung des EU-Lateinamerika-Gipfels, der am 17. und 18. Juli in Brüssel ansteht.

Paris soll sich positionieren

Aus den Mitgliedstaaten kamen derweil unterschiedliche Signale zu dem umstrittenen Abkommen. Während die Bundesregierung der Vereinbarung positiv gegenübersteht, hat die französische Nationalversammlung dem Abkommen zumindest in seiner derzeitigen Form eine Absage erteilt. Mit 281 zu 58 Stimmen verabschiedete das Unterhaus in der vergangenen Woche eine entsprechende Entschließung, die von Abgeordneten aller Fraktionen mit Ausnahme der rechtspopulistischen Rassemblement National (RN) eingereicht worden war.

Das Plenum fordert die Regierung auf, der EU-Kommission und dem Rat mitzuteilen, dass Frankreich die Ratifizierung des Abkommens ablehne, da der Zugang sensibler Produkte zum EU- Markt nicht an die europäischen Produktionsstandards sowie Kriterien der Nachhaltigkeit und der Rückverfolgbarkeit geknüpft werde. Ferner fehlt den Abgeordneten die Möglichkeit, die Vereinbarung bei Verstößen gegen die Pariser Klimaziele auszusetzen.

Kein Splitting

Die französische Regierung wird außerdem aufgefordert, sich öffentlich gegen die vielfach kolportierte Aufsplittung des Abkommens zu positionieren. Die Vereinbarung müsse komplett dem vorgesehenen Ratifizierungsverfahren unterzogen werden, heißt es in der Entschließung. Voraussetzung für eine Umsetzung müssten die Zustimmung der Mitgliedstaaten und des Europaparlaments sowie die auf nationaler Ebene vorgesehenen Verfahren bleiben.

Darüber hinaus wollen die Abgeordneten die sogenannten Spiegelklauseln im Grundsatz auf europäischer Ebene verankert sehen. Sie sprechen sich dafür aus, die Frage der Produktionsstandards von Importen bei allen aktuellen und künftigen Gesetzesvorhaben des Green Deals zu berücksichtigen. Ohne entsprechende Anforderungen seien Einfuhren nicht vereinbar mit der Ernährungssouveränität und dem Übergang hin zu nachhaltigeren Produktionsmodellen, heißt es dazu.

Pariser Klimaziele verankert

In der Bundesregierung gibt es gegenüber dem Mercosur-Abkommen hingegen augenscheinlich keine größeren Vorbehalte. Das legt zumindest ihre Antwort auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion der Linken nahe. Wie daraus hervorgeht, werden nach Einschätzung der Ampel-Regierung in der Vereinbarung auch Aspekte der Nachhaltigkeit ausreichend berücksichtigt. So heißt es zu den internationalen Klimazielen: „Die wirksame Umsetzung des Übereinkommens von Paris ist im Abkommen verpflichtend verankert.“

Gleiches gilt gemäß der Antwort für die Anerkennung der Bedeutung des Erhalts und der nachhaltigen Nutzung der biologischen Vielfalt. Für die heimische Landwirtschaft geht Berlin nach wie vor nicht davon aus, dass es gravierende negative Folgen durch das Abkommen geben wird. Sichergestellt werden soll das durch die EU-Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten sowie die vereinbarten Zollquoten.

„Nach Einschätzung der Bundesregierung sind die sensiblen Produkte der EU im Agrarbereich in den Verhandlungen soweit wie möglich geschützt worden“, heißt es in der Antwort. Der Marktzugang werde nicht vollständig liberalisiert. Für sensible Agrarprodukte würden eng begrenzte Quoten vorgesehen, wodurch auch der Einfluss auf die Märkte der EU und die Landwirte begrenzt bleibe. Mit Blick auf die Sojaimporte wird ferner darauf verwiesen, dass die Zollsätze für Sojabohnen und -mehl bereits bei Null liegen.

Mehr Arbeitsplätze

Für die gesamte deutsche Wirtschaft werden derweil „deutlich positive Auswirkungen“ durch das Mercosur-Abkommen erwartet; der Anteil der Agrarwirtschaft soll aber überschaubar bleiben. Verbesserte Absatzchancen werden sich nach Einschätzung der Bundesregierung vor allem für „wenige, qualitativ hochwertige Produkte wie Milcherzeugnisse“ ergeben. Verwiesen wird zugleich auf die Bedeutung der Mercosur-Staaten für die Automobil-, Chemie-, Kosmetik-, Pharma-, Maschinenbau- und Nahrungsmittelindustrie.

Große Marktchancen werden auch für den Dienstleistungsmarkt gesehen. Neben neuen Absatzchancen kann das Abkommen laut Bundesregierung auch einen Beitrag zur Transformation und Dekarbonisierung der Wirtschaft auf beiden Seiten des Atlantiks leisten. Dazu beitragen sollen der verbesserte Zugang der EU zu essentiellen Rohstoffen, die gesteigerte Wertschöpfung durch Weiterverarbeitung vor Ort für die Mercosur-Staaten sowie eine Ausweitung des Austauschs von Umweltgütern und ‑dienstleistungen. Gemäß der Antwort ist außerdem eine Steigerung des Arbeitskräftebedarfs in Deutschland zu erwarten, so dass die Zahl der Erwerbstätigen „langfristig spürbar, wenn auch moderat“ steigen dürfte.

Konstruktive Gespräche

Im Wirtschaftsausschuss des Bundestages wurde vergangene Woche über Mercosur-Anträge der Fraktionen von Union und Linken abgestimmt; erwartungsgemäß wurde in beiden Fällen die Ablehnung durch das Plenum empfohlen. Während die Union eine verstärkte Zusammenarbeit mit den südamerikanischen Partnern und eine zeitnahe Ratifizierung des Abkommens forderte, sprachen sich die Linken für eine Ablehnung aus.

Nach Angaben der parlamentarischen Staatssekretärin vom Bundeswirtschaftsministerium, Franziska Brantner, warten die Verhandlungsparteien auf die Positionierung der südamerikanischen Staaten. Der Prozess werde derzeit von Seiten Deutschlands und der Europäischen Union „proaktiv vorangebracht“. Es gebe konstruktive Gespräche und man sei zuversichtlich, in der Zeit der spanischen Ratspräsidentschaft mit den Verhandlungen voranzukommen.
AgE
Kommentieren
weitere Artikel

Status:
Name / Pseudonym:
Kommentar:
Bitte Sicherheitsabfrage lösen:


  Weitere Artikel zum Thema

 Gegenwind für Unverpackt-Läden - Tiefpunkt aber überwunden

 Wärmepumpen-Installation: Heizungsbauer rechnen mit starkem Rückgang

 Abgeordneter ruft Verfassungsgericht wegen Klimaschutz-Reform an

 Experten kritisieren G7-Klimaschutzpolitik als unzureichend

 Risiken durch Klimawandel für 70 Prozent der Arbeitskräfte

  Kommentierte Artikel

 Jäger sehen dringenden Handlungsbedarf bei Umgang mit Wölfen

 Söder setzt sich gegen Verbrenner-Aus ab 2035 ein

 2023 war Jahr der Wetterextreme in Europa

 Wind- und Freiflächen-Solaranlagen: Niedersachsen führt Abgabe ein

 Keine Reduzierung beim Fleischkonsum durch Aufklärung

 Größter Solarpark von Rheinland-Pfalz eröffnet

 Gipfelerklärung der EU setzt auf Lockerungen für Landwirte

 Grundwasser in Bayern wird weniger

 Lindnerbräu - Hoch die Krüge!

 Mutmaßlicher Wolfsangriff - mehrere Schafe in Aurich getötet