Stephan Weil (c) Susie Knoll - Pressefoto
Rot-Grün hat es geschafft: Um 12.50 Uhr sind Niedersachsens neuer Ministerpräsident Stephan Weil, seine SPD und die Grünen am Ziel. Vier Wochen nach dem hauchdünnen Sieg bei der Landtagswahl hat die neue Regierung in Hannover die Macht übernommen.
Und das löst auch im knapp 300 Kilometer entfernten Berlin Jubel aus. SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück verspürt Rückenwind für den Bundestagswahlkampf. «Euer Engagement und euer Kampfesgeist im Norden haben alle Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten im ganzen Land motiviert und bestärkt: Schwarz-Gelb gehört auch im Bund abgewählt», gratuliert er. «Auch das können wir gemeinsam schaffen.»
Wenn es Rot-Grün im Herbst auch auf Bundesebene gelingen soll, Union und FDP abzulösen, dann werden sich die Parteispitzen wohl auch am Wahlkampf in Niedersachsen orientieren. Denn Weil setzte nicht auf Glanz, Pomp und Schlagzeilen, sondern gewann Wähler mit nüchternen Argumenten und dem Versprechen, einen Wechsel in der Bildungs- und Agrarpolitik einzuleiten.
Auch in der Stunde des Triumphs äußert sich der 54-Jährige mit Bedacht: «Was im Kern den Erfolg der niedersächsischen SPD ausgemacht hat, waren so ganz simple Tugenden wie Solidarität, Geschlossenheit und Disziplin. Damit haben wir unsere Wahlen gewonnen. Wer sich daran ein Beispiel nimmt, macht keinen Fehler.»
Wie erhofft ist es Weil gelungen, die hauchdünne rot-grüne Mehrheit von einer Stimme ins Ziel zu retten und sich zum neuen Regierungschef wählen zu lassen. Es gibt keine Zitterpartie mit mehreren Wahlgängen oder gar Abweichler in den eigenen Reihen, wie sie seine Parteifreundin Heide Simonis 2005 in Kiel das Amt kosteten.
Stattdessen lautet die Botschaft an diesem Tag: Die Reihen von Rot-Grün in Niedersachsen sind geschlossen. Der Wille zur Macht und vier Ministerposten lassen bei den Grünen inhaltliche Zugeständnisse im Koalitionsvertrag vergessen.
Dies zeigt sich auch in Weils erster Regierungserklärung, in der er einen breiten Bogen über die Eckpunkte des Koalitionsvertrages spannt - demografischer Wandel, Finanzprobleme, Bildung und Umwelt. Die erneute Absage an ein Atommüllendlager in Gorleben inklusive.
Amtsvorgänger David McAllister (CDU) durchlebt währenddessen die wohl schwierigsten Stunden seit der schmerzhaften Wahlniederlage am 20. Januar. Erstmals seit dem 1. Juli 2010 muss der 42-Jährige wieder auf einem normalen Abgeordnetenstuhl Platz nehmen - damals hatte er Christian Wulff als Regierungschef abgelöst.
McAllister wirkt abwesend, hat einen Tunnelblick. Immer wieder spielt er mit seinem Kugelschreiber, sortiert Akten, unterschreibt gar Autogrammkarten, schreibt SMS. Blicke in Weils Richtung versucht er zu vermeiden, vollends gelingt es ihm aber nicht. Als er zu Beginn der Sitzung namentlich aufgerufen wird, ist nur ein leises «Ja» zu hören. Der einstige CDU-Hoffnungsträger ist um Fassung bemüht, muss sogar mehrfach mit den Tränen kämpfen.
Als er am Nachmittag die Staatskanzlei offiziell an Weil übergibt, findet er ebenfalls nur leise Töne: «Ich hatte genau 964 Tage die Ehre, niedersächsischer Ministerpräsident zu sein - es war eine ereignisreiche Zeit, es war eine spannende Zeit», sagt er und ruft seinen Mitarbeitern zu: «Vielen Dank, macht's gut - auf Wiedersehen.» (dpa)