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22.05.2016 | 00:01 | Milchmarkt 2016 
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Landwirte in Bredouille zwischen miserablem Milchpreis und Schulden

Schlat - Jungbauer Christoph Glaser kann sich nicht mehr erinnern, wann er zuletzt im Urlaub war. Der 28-Jährige aus Schlat (Kreis Göppingen) kann sich auch nicht vorstellen, wann er wieder in Ferien gehen kann. Denn er hat einen Haufen Schulden.

Milchkrise 2016
Für 150.000 Euro hat er einen Melkroboter gekauft, ganz zu schweigen von den Investitionen in den neuen Stall für seine 45 Kühe. Als die neue Anlage gebaut wurde, gab es für Glasers Milch noch 30 bis 35 Cent pro Liter, jetzt muss er mit 25 Cent zurechtkommen. Damit ist er aber noch gut dran - andernorts liegt der Preis schon bei unter 20 Cent.

Der gelernte Metzger und Landwirt ist eine Art Hoffnungsträger für die 77.000 Milchvielhalter in Deutschland, von denen immer mehr wegen fallender Milchpreise kapitulieren. Im vergangenen Jahr machten laut Deutschem Bauernverband (DBV) vier bis fünf Prozent von ihnen ihren Betrieb dicht.

Glasers großes Plus: Er hat Eltern, die ihm helfen, sowie einen Onkel, dessen Betrieb er übernommen hat. Angestellte kann er sich so sparen. Zudem betreibt er Obstanbau als zweites Standbein und verkauft Ware im Hofladen. Deshalb ist sein Betrieb auch als Ort für den bundesweiten Auftakt zum Tag des offenen Hofes an diesem Freitag gewählt worden.

Die Diskussion über die Gründe für den Absturz der Preise gleichen einem Schwarzen-Peter-Spiel: Bauernverbandspräsident Joachim Rukwied tadelt Molkereien und Einzelhandel für «unverantwortlich» geführte Preisverhandlungen. Molkereien sehen sich von den Discountern unter Druck gesetzt. Peter Bleser (CDU), Staatssekretär im Berliner Landwirtschaftsministerium, konstatiert eine «Ohnmacht der Molkereien gegenüber fünf großen Lebensmittelhändlern» - darunter Lidl, Aldi und Edeka. Er spricht sich aber gegen eine staatlich festgelegte Mengenreduzierung aus. Er sieht den Staat hingegen in einer zurückhaltenden Rolle. «Die Marktverantwortung wird nicht von Ihnen genommen», ruft er Bauern und Molkereivertretern zu.

Karl Laible, Geschäftsführer der Ulmer Milchwerke Schwaben, sieht die bundesweit 140 Molkereien gegenüber dem Handel in der Defensive. Selbst wenn sie die Milchabgabe verweigerten, würden Billigimporte aus Neuseeland, Irland und USA die Lücke füllen. Dann stünde das Produkt auf deutschen Höfen herum und müsse als «Spottmilch» für 15 Cent pro Liter verscherbelt werden. Da sei es besser, die Ware zähneknirschend für 10 Cent mehr zu verkaufen. 

Laible hat wie Rukwied die internationale Dimension des Problems im Blick. Beide verlangen das Ende des Russland-Embargos. Nach Auskunft Laibles wurden zuvor jährlich allein rund 240.000 Tonnen in Deutschland produzierter Käse nach Russland eingeführt. «Man muss auf andere Märkte ausweichen, die aber schon belegt sind, so dass der Verkauf nur zu reduzierten Preisen möglich ist.» Die Milchbauern sind nicht die einzigen, die unter dem Russland-Embargo ächzen.

Auch die noch 2.600 Schweinehalter im Südwesten leiden unter den niedrigen Preisen; seit 2011 haben 700 ihre Betriebe geschlossen. lm ländlichen Schlat erlitt die Milchwirtschaft einen ähnlichen Aderlass: Jungbauer Glaser ist noch einer von drei bis vier Milchviehhaltern. Vor zehn Jahren waren es drei Mal so viele.

Und wo positionieren sich die Produzenten selbst? Glaser ist überzeugt, dass die Kunden mehr als die zum Teil unter 50 Cent pro Liter Ladenpreis durchaus verkraften könnten. «Der Verbraucher würde mehr zahlen, aber der Handel drückt die Preise.» Warum die Discounter die Preisschraube immer weiter anziehen, ist ihm ein Rätsel: «Ich versteh's nicht.» Er plädiert für eine Rückkehr zu einer Mengenbegrenzung - entgegen der DBV-Linie.

Auch beim öffentlichkeitswirksamen Startschuss für die Aktion offener Hof in Schlat war die Zerstrittenheit der Landwirtschafts-Community nicht zu übersehen. Der oberste Bauernvertreter konnte ein Riesentransparent kaum ignorieren, auf dem zu lesen stand: «Rukwied ist kein Vertreter von uns Milchbauern
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Argusauge schrieb am 23.05.2016 22:42 Uhrzustimmen(80) widersprechen(64)
Ich habe das Gejammer satt. Seit Jahren schreit die Lobby nach monetärer Unterstützung, führt gefakte Indices (Konjunktur-Barometer) ein, um Trübsal zu blasen. Ernteschätzungen werden bereits vor der Aussaat auf das Kilo prognostiziert, daraufhin mehrmals angepasst, um möglichst viel Unsicherheiten in den Markt zu Pushen und die Preise dadurch zu manipulieren. Man schafft die Quotenregelung ab, um sie dann einige Tage später womöglich wieder einzuführen. Dies, obwohl die Politikberatung unmittelbar aus den Reihen der Bauernverbände stammt. Geht's noch?! Sogar der Intelektuellminderbegabte durchschaut das üble Spiel. Jetzt gibt es auch noch einen bescheuerten Milchgipfel. Dort treffen sich dann erneut jene Vertreter, die mit geballter Unwissenheit glänzen, nicht einmal das Wort Marktwirtschaft buchstabieren können, um dann neue, zu Lasten des kleinen Bäuerleins, unsinnige Pläne schmieden.
Obst-Banker schrieb am 23.05.2016 11:16 Uhrzustimmen(75) widersprechen(87)
Wer sich derzeit mit der Vielfalt der aktuellen Krisen beschäftigt, spürt sehr schnell, dass da weltweit etwas aus dem Ruder gelaufen ist. Der Milchpreis im freien Fall, Negativzinsen auf Spareinlagen, Verschuldung und Immobilienpreise im Höhenflug etc. All das sind keine zufälligen Erscheinungen. Vielmehr sind es Symptome eines Wirtschaftssystems, das auf unendlichem Wachstum basiert. Als Bankkaufmann weiß ich, dass ich meinen Hauptberuf in absehbarer Zeit verlieren werde, als Obstbauer im Nebenerwerb weiß ich warum: Es gibt kein ewiges Wachstum in einer begrenzten Welt! Es scheint jedoch nicht gewünscht, dass die Menschen dieses begreifen. Warum haben wir ein Geldsystem mit einer ungehemmt wachsenden Geldmenge(?) - weil der Moment des zwangsläufigen Zusammenbruchs dieses Systems eine immense Vermögensumverteilung ermöglicht. Ob Absicht oder nicht, Euer Hof gehört spätestens dann Euren Gläubigern und die Illusion unserer Altersvorsorge offenbart sich. Dieser systembedingte Zusammenbruch wird durch überwiegend ahnungslose Politikdarsteller (in Kollaboration mit Notenbankern) immer weiter in die Zukunft verschoben. Aber der große Knall kommt garantiert. Und bis jemand den Stecker zieht, wird man uns auf Nebenkriegsschauplätzen ablenken: Migrantenflut, böse Russen, Rentenlücken, Wahlen, Abgas, Fußball … Wir sollten alle die verbleibende Zeit nutzen, bis uns das Undenkbare überrascht.
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