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25.06.2016 | 00:04 | Ausstieg aus der EU 
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Üble Auswirkungen des Brexit auf Handel mit Agrarprodukten und Nahrungsmitteln

Braunschweig - Einen Tag nach dem Brexit-Votum verliert das Pfund dramatisch an Wert und die Aktienkurse stürzen weltweit ab. Dies wird nicht ohne Folgen für den deutschen Agrarhandel bleiben.

Raus aus der EU
(c) proplanta
Mit rund 4,5 Mrd. Euro und ca. 7 % der gesamten Agrar- und Nahrungsmittelausfuhren war das Vereinigte Königreich 2015 ein wichtiger Handelspartner für die deutsche Agrar- und Ernährungswirtschaft. Dabei hat das Vereinigte Königreich im Jahr 2015 Agrarprodukte im Wert von 1,3 Mrd. Euro nach Deutschland exportiert.

Schon heute wird spekuliert, wie der Brexit umgesetzt werden wird. Im Bereich der Handelspolitik gibt es verschiedene Möglichkeiten, den künftigen Zugang von Großbritannien zum europäischen Binnenmarkt zu gestalten. Beispielsweise könnte Großbritannien Mitglied im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) werden. Der EWR ermöglicht derzeit den freien Warenverkehr von Industrieprodukten, Dienstleistungen und Kapital zwischen Norwegen, Island, Liechtenstein und der EU.

Für den Handel mit Agrar- und Ernährungsgütern gibt es hier allerdings Sonderregelungen, und es bestehen weiterhin noch Zollbarrieren zwischen den Handelspartnern. Denkbar wäre auch ein eigenständiges Freihandelsabkommen zwischen der EU und Großbritannien, das auch den Agrar- und Ernährungssektor einschließt. Ohne diese zusätzlichen Abkommen müsste Großbritannien nach dem Austritt auf Basis der Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) mit der EU handeln.

Dieses „Extremszenario“ haben die Experten des Thünen-Instituts für Marktanalyse in einer ersten Abschätzung mithilfe ihrer Marktmodelle berechnet. Dabei wurde angenommen, dass beide Parteien, EU wie Großbritannien, im Außenhandel wieder Zölle erheben. Weiterhin, dass die EU Großbritannien bezüglich der Zollhöhe entsprechend der WTO-Regeln genauso behandelt wie derzeit beispielsweise die USA, Brasilien oder China. Im Gegenzug, so wurde angenommen, würde sich Großbritannien ähnlich verhalten und Zollschranken entsprechend der WTO-Regeln gegenüber den EU-Mitgliedstaaten erhöhen.

Von einem solchen Vorgehen wären die Zollsätze für verarbeite Nahrungsmittel besonders betroffen. Einfuhren von Rindfleisch in das Vereinigte Königreich würden z.B. mit 28 % belegt. Importe von Milchprodukten würden einem Zoll von über 35 % unterliegen und Zuckerimporte in das Vereinigte Königreich würden mit einem Zoll von über 125 % belegt.

Deutlicher Rückgang im Handel mit verarbeiteten Nahrungsmittel erwartet



Ersten Abschätzungen zufolge ist der Handel mit unverarbeiteten Agrarprodukten von einem Brexit nur geringfügig betroffen. Für den Bereich der verarbeiteten Nahrungsmittel hingegen wird es einen deutlichen Rückgang im Außenhandel geben. Hier wird sich die Handelsbilanz von Großbritannien für Agrarprodukte und Nahrungsmittel deutlich verschlechtern, das heißt Großbritannien wird mehr unter dem Brexit leiden als die EU.

Für Deutschland bedeutet der Brexit einen Rückgang der Nahrungsmittelexporte in das Vereinigte Königreich von über 30 %, was einem Rückgang der Ausfuhren an Nahrungsmitteln in das Vereinigte Königreich von 1,2 Mrd. Euro entspricht. Allerdings ist zu betonen, dass die Ausfuhren deutscher Agrarprodukte nicht in diesem vollen Umfang sinken. „Es wird Anpassungsreaktionen geben, die dazu führen, dass die Hälfte dieser nicht mehr im Vereinigten Königreich abzusetzenden Produkte Käufer auf anderen Märkten finden“, erläutert Dr. Martin Banse, Leiter des Thünen-Instituts für Marktanalyse.

„Daher gehen wir davon aus, dass die gesamten Ausfuhren Deutschlands an verarbeiteten Agrarprodukten entsprechend unserer ersten Abschätzungen nur um rund 650 Mio. Euro sinken.“ Aufgrund dieser Anpassungsreaktionen im Außenhandel sind die Wirkungen auf das Preisniveau auf deutschen Agrarmärkten als relativ gering einzuschätzen.

Banse betont, dass diese Berechnungen auf der Annahme beruhen, dass die (verbliebene) EU27 und das Vereinigte Königreich im Rahmen der Austrittsverhandlungen keine Konzessionen z.B. im Rahmen eines möglichen Freihandelsabkommen eingehen, sondern Zölle entsprechend der WTO-Regeln erheben. Damit beschreiben diese Ergebnisse ein mögliches ‚Worst-case-Szenario‘.

Wie realistisch diese Annahme ist, wird sich in den kommenden Monaten zeigen, wenn die Austrittsverhandlungen geführt werden. Banse: „Im dem wohl eher anzunehmenden Fall eines erleichtertem gegenseitigen Marktzugangs ist zu erwarten, dass die hier vorstellten Effekte deutlich geringer ausfallen werden.“
thuenen
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Kommentare 
kurri Altbauer 85 schrieb am 26.06.2016 15:13 Uhrzustimmen(87) widersprechen(60)
Sehr geehrter Berufskollege, Sie haben mit Sicherheit in vielem Recht bzgl. Brexit. Ich meine der nach dem letzten Weltkrieg eingetretene Verlust großer Teile des Imperiums, zieht sich wie ein roter Faden durch die vergangenen Jahrzehnte. Man war nicht dem Euro beizutreten, ähnlich wie die Polen, blieben sie beim Pfund. Der Börsenplatz London spielte mit Sicherheit eine nicht unbedeutende Rolle dabei. Wer hat uns den BSE beschert? Es waren doch die Brieten, noch heute belasten die damals getroffenen Maßnahmen unsere Bauern. Was wird da für ein Theater aufgeführt, wenn einmal eine Ohrmarke fehlt! Erinnern möchte ich auch an Frau Thatcher mit ihrer Forderung: Gebt mir mein Geld zurück! Die britische Geschichte ist voll mit vielen historischen Ereignissen. Auch ist man in England stolz auf diese Vergangenheit. Das möchte ich dazu anmerken.
agricola pro agricolas schrieb am 25.06.2016 17:03 Uhrzustimmen(103) widersprechen(68)
Großbritannien hat sich nach einer basisdemokratischen Abstimmung freiwillig zum „Little Britain“ innerhalb immer komplexer werdender globaler Räume degradiert. Das gilt es zu respektieren, wie auch immer man dazu stehen mag. Ob diese Entscheidung für das britische Volk gemeinhin selbst wirklich so glücklich ist, wird die Zeit zeigen; aktuell überwiegen hier wohl weit eher die negativen Vorzeichen. Ist es wirklich hinreichend politisch durchdacht, sich von der Stabilität einer europäischen Wertegemeinschaft ganzheitlich abwenden zu wollen? - Eine Erkenntnis, die gerade nicht wenige junge Briten bereits am Tag danach zusehends erschaudern lässt, nachdem diese Tür aktuell nunmehr ins Schloss gefallen ist. Nicht zu Unrecht prangern diese an, dass man hier einem innerpolitischen Blendwerk bloßer „Illusionisten“ u. fraglicher „Weltverbesserer“ aufgesessen ist, ein wohl völliger Irrweg, um dem Establishment die Stirn zu zeigen. // Allen europäischen Bürgern sollte dieser BREXIT eine Mahnung sein, der äußerst ernüchternd gnadenlos offenbart, dass das doch sehr zarte Pflänzchen einer von uns allen mehrheitlich GEWOLLTEN freiheitlich friedvollen europäischen Wertegemeinschaft innerhalb eines gerade in diesem Sinne funktionierenden Demokratieverständnisses wahrlich keine Selbstverständlichkeit darstellt und deshalb schleunigst mehr Zugewandtheit und Pflege von Seiten unserer geistigen Eliten bedarf. Eine politische Ignoranz u. Abgehobenheit, die sich zunehmend von der Basis entfernend breit gemacht hat, ermöglicht es gerade den vielen gefährlichen „Nationalisten“, hier auf Stimmenfang gehen zu können. Auch wir hier in Deutschland erleben genau eben diese Stimmungen u. Strömungen, die ein gegensteuerndes Handeln zügiger denn je erforderlich machen. Daher sollte man nach der ersten, hoffentlich kurzen Schockstarre unverzüglich in konstruktive Gespräche PRO EUROPA eintreten um herauskristallisieren zu können, was dringend geändert werden muss, um die europäische Wertegemeinschaft auf eine solide, wieder stabilere Basis stellen zu können. Unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel merkte vollkommen berechtigt auf, dass Frieden und Freiheit innerhalb unserer europäischen Grenzen durchaus keine Selbstläufer sind, daran gilt es stetig zu arbeiten. Gerade auch den Belangen des „kleinen Mannes“, den vielen Menschen der europäischen Unterschichten sowie der unteren Mittelschichten, wo dato nicht wenige enorm von Zweifeln geplagt werden bezüglich der eigenen Daseinsberechtigung innerhalb immer schnelllebigerer „erfolgsgestählter“ Money-Maker-Systeme, darf man die politische Aufmerksamkeit nicht weiterhin hochmütig verweigern. Wir müssen alle Menschen, alle Bürger Europas – ganz gleich ob arm oder reich, alt oder jung- begeisternd mitreißen für eine friedvoll freiheitliche gelebte, durchaus segensreiche europäische Idee, die deshalb schleunigst einer tatsächlich zeitgemäßen Rundumerneuerung bedarf. // Sollte man dem Brexit im direkten Umfeld der europäischen Bauernfamilien etwas Positives abgewinnen wollen, so vielleicht der Tatsache, dass schlagartig die größten europäischen Agrarsubventionsempfänger sofort wegfallen und diese „Einsparungen“ innerhalb der EU anderweitig umverteilt werden können. Die britischen Bauernkollegen dürfte gerade dieser Umstand allerdings sehr hart treffen, müssen doch auch sie sich künftig weiterhin der omnipräsenten extremen Volatilität der globalen Märkte stellen. Gerade das britische Referendum wird man hier wiederum zur Preisinstabilität zu Lasten aller Bauern zügig zu nutzen wissen. - Leider!
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