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06.03.2012 | 16:32 | Energiewende 

Zwei, die den Atomausstieg leben

Berlin/ St. Michaelisdonn - Volker Nielsen will sich komplett verkabeln lassen. «Wer A sagt, muss auch B sagen.»

Windenergie
(c) proplanta
Der CDU-Politiker ist Bürgermeister von St. Michaelisdonn in Dithmarschen, dem ältesten Landkreis Deutschlands, an Schleswig-Holsteins Nordseeküste. Wo Marsch und Geest bisher Touristen anlocken, wird die Energiewende das idyllische Landschaftsbild stark verändern. Denn von hier soll der Strom kommen, der nach dem Aus für die Atommeiler im Süden fehlen wird. Und der muss auch irgendwie vom Norden dorthin kommen.

In einer Zeit, in der ein vielstimmiger Chor die Energiewende geißelt und der Atomausstieg ein Jahr nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima wieder in Frage gestellt wird, verkörpert Nielsen einen Vorkämpfer. Einen Vorkämpfer, wie ihn sich Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) nur wünschen kann.

«Die Leute müssten jetzt eigentlich für 380-Kilovolt-Leitungen demonstrieren», fordert Nielsen. Eine solche Stromautobahn werde auch durch seinen 3.600-Einwohner-Ort St. Michaelisdonn gehen.

«Wir haben schon eine Kabeltrasse in der Erde für den ersten Offshore-Park, und es werden noch drei weitere Kabelsysteme durch unsere Gemeinde gelegt», berichtet Nielsen. «Und dann kommt noch die 380-Kilovolt-Leitung über der Erde hinzu». Der Bürgermeister betont: «Wir sind voll verkabelt.»

Volker Nielsen hat einen Traum: eine Versorgung mit 100 Prozent grüner Energie bis 2035. «Einige Bürger sind bereits energieautark und treiben mit kleinen Windkraftanlagen auf ihrem Grundstück die Wärmepumpe an und haben damit die Warmwasserversorgung und das Heizen komplett mit erneuerbaren Energien abgedeckt.»

Wenn man dann noch Photovoltaikanlagen habe und Stromspeicher, könne man im ländlichen Raum eine Unabhängigkeit hinbekommen. «Das sind dann Haushalte, die die Netze nicht belasten und den Ausbaubedarf verringern können.» Nielsens Ort gilt als Vorreiter: Bürgerwindparks, Solaranlagen und Biogasanlagen erzeugen mehr Strom als man braucht. Aber Deutschland braucht jetzt viele St. Michaelisdonns.

Auch Volker Quaschning hat einen Traum. Während der Politiker Nielsen für neue Stromtrassen kämpft, versucht der Wissenschaftler die wissenschaftliche Basis zu liefern, damit auch Ballungszentren in 30, 40 Jahren komplett mit Ökostrom versorgt werden können. Quaschning sitzt dort, wo einst die deutsche Elektrifizierung einen ihrer Ursprünge hatte.

Beim Blick aus seinem Bürofenster schaut der Professor für regenerative Energien auf die alte Villa von Emil Rathenau, dessen 1887 gegründete Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft (AEG) hier Batterien und Glühlampen baute. Zu DDR-Zeiten war in Schöneweide im Südosten Berlins dann ein großes Kabelkombinat untergebracht, heute sitzt in dem Industriekomplex an der Spree die Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW).

Quaschning ist in Gebäudekomplex C, Raum 315 zu finden. Es ist ein trüber, regnerischer Morgen. Schlecht für die rund eine Million Solaranlagen in Deutschland. Er versucht mit den anderen Professoren an das anzuknüpfen, was Rathenau einst mit dem Import der Ideen von Thomas Alva Edison begann.

Wo Rathenau mit dem Erhellen der Hauptstadt dank des «fabelhaft-zuverlässigen Edison-Lichts» für eine Sensation sorgte, geht es heute darum, dass der Strom für das Licht in einigen Jahrzehnten zu 100 Prozent mit Hilfe von Sonne, Wind, Geothermie, Wasser und Biomasse erzeugt werden kann.

Viele glauben nicht daran, Quaschning schon. Der 42-Jährige zitiert Physik-Nobelpreisträger Max Planck: «Neue Ideen setzen sich nicht deshalb durch, weil ihre Kritiker überzeugt werden, sondern weil sie aussterben.» In das Jahr 2012 übersetzt heißt das: Mit den alten Energiekonzernen ist die Energiewende kaum zu schaffen. Rund 500 Studenten lernen hier, um den grünen Energietraum zu realisieren.

Im Garten der HTW wird gerade ein 80 Quadratmeter großes Energie-Plus-Haus wieder aufgebaut, das bei einem Wettbewerb in Madrid den ersten Preis für die Solartechnik gewonnen hat. Auf dem Dach der Hochschule wird ein Klein-Windrad getestet. Ein Modell für Tausende Hausbesitzer, um sich selbst mit Strom zu versorgen? Wohl eher nicht. «Die Statik muss mitmachen», betont Quaschning. Zudem sind Photovoltaikanlagen längst viel billiger. «Ab 2015 könnte sich der Eigenverbrauch bei der Photovoltaik rechnen.»

Dann könnten sich Hunderttausende Bürger mit dem Sonnenstrom vom Dach selbst versorgen statt ihn für dann wohl fast 30 Cent pro Kilowattstunde vom Versorger zu kaufen. Mit Batteriespeichern im Keller könnten sie quasi energieautark werden, also bei viel Sonne überschüssigen Strom für trübe Tage speichern. Der Aspekt der Eigenversorgung werde massiv unterschätzt. Gerade in sonnenstarken Ländern könnte das die Versorgung auf die Kopf stellen.

«Das wird eine Revolution werden, wie das Internet.» Quaschning dekliniert das weiter durch. «Setzt sich die Elektromobilität durch, könnte man quasi umsonst den eigenen Solarstrom tanken. Ein Riesenpotenzial.» Daher kann er den Ärger über die Billigkonkurrenz aus China im Solarbereich auch nicht teilen. «Die Kosten, die wir bei der Photovoltaik heute haben, hätten wir sonst erst in zehn Jahren erreicht. Die Chinesen haben unsere Energiewende beschleunigt.»

Er ist daher gegen Einschnitte, wie sie die Regierung plant. «Um die Kosten weiter zu senken und endgültig konkurrenzfähig zu werden, brauchen wir in den nächsten Jahren noch einmal hohe Zubauzahlen.» Für die Energieversorger sei Solarenergie ein Graus, weil sie gerade mittags zu Spitzenlastzeiten mit ihren Kraftwerken nicht mehr so viel Geld verdienen können. «Bauen wir sie also schnell aus und schaffen Tatsachen», sagt er mit Blick auf Ausbremsversuche bei der Wende.

Im hohen Norden denkt auch Bürgermeister Nielsen über die K-Frage nach, denn das Streitthema Solar zeigt: Die Energiewende braucht gewaltige Anschubfinanzierungen, und das mitten in der Eurokrise.

«Klimaschutz finden alle klasse, aber extra Geld dafür ausgeben möchte keiner», kritisiert Nielsen. Ein Jahr nach Fukushima zeigt sich: Die Ökoenergien müssen rascher marktfähig werden, also die Förderung muss langsam auslaufen, sonst machen die Bürger wegen zu hoher Belastungen beim Strompreis nicht mehr mit. Und wie betonte der Vorsitzende der Ethikkommission für den Atomausstieg, Klaus Töpfer: «Die Energiewende kann nur als Gemeinschaftswerk funktionieren».

Planungs- und Umsetzungszeiten beim Bau neuer Leitungen von 10 bis 20 Jahren könne man sich jetzt nicht mehr erlauben, so Nielsen. «Wenn wir die Energiewende aus vollem Herzen wollen, müssen Bund, Länder, Kommunen und Bürger nun aufs Tempo drücken.» Es dürfe nicht ständig zu einem «Kleinkrieg» wie beim Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 kommen, wo alles in Frage gestellt wird, wenn es in trockenen Tüchern ist.

«Das ist eine nationale Aufgabe, da müssen wir alle ran. Ohne Wenn und Aber.» Der Ausbau der Windkraft schreite voran, ohne Trassen zum Abtransport werde es nichts mit dem Atomausstieg bis 2022. Windparks müssten immer öfter zwangsweise abgeschaltet werden, der nicht eingespeiste Strom aber von den Bürgern dennoch per Öko-Umlage über den Strompreis vergütet werden.

«In diese Spirale dürfen wir nicht hereinkommen.» Dann schwinde die Akzeptanz. «Das geht gar nicht. Dann geht die ganze Energiewende den Bach runter.»

Ein weiteres Problem: Bisher gibt es keine Antworten, wie Wind und Sonne auch nachts ausreichend Strom liefern können. Bürgermeister Nielsen sieht das im Kleinen als lösbar an. «Wir haben ja noch Biogasanlagen, die für eine Grundlast sorgen.» Diese können wie konventionelle Kraftwerke durch die Speisung mit Mais unabhängig vom Wetter kontinuierlich Strom produzieren.

«Letztlich müssen wir aber auf die Entwicklung von Speicheranlagen hoffen, aus denen Strom genommen werden kann, wenn keine Sonne scheint und kein Wind weht. Da haben wir aber noch nichts.»

Als Vorteil komme hinzu, dass es in der Region keine energieintensive Industrie gebe, sich die Stromabnahme also in Grenzen halte. Was in St. Michaelisdonn klappen kann, erscheint für das Ruhrgebiet oder den Südwesten mit einem großen Industrieanteil bisher noch als sehr, sehr ferne Utopie.

Der Berliner Ökoenergie-Professor Quaschning, der mit seiner Familie in einem Niedrigenergiehaus lebt, findet, dass man das Ganze vom Ende her denken sollte. Er rechnet in diversen Modellen aus, wie die schwankende Wind- und Solarstromproduktion harmonisiert werden kann, wie viel Strom wann gebraucht wird, wie Bürger sich energieautark versorgen können.

Doch wie sollen Aluminiumhütten oder Stahlwerke jemals nur mit Ökostrom ihren Bedarf decken, wenn kein Wind weht oder die Sonne hinter Wolken hängt? Sollen wir überschüssigen Strom tatsächlich in riesige Pumpspeicherkraftwerke nach Norwegen schicken, um ihn bei Flauten zurückzuholen? «Theoretisch gibt es dort das Potenzial», sagt Quaschning. «Praktisch müsste man Fjorde zubetonieren und verkabeln.»

Was dann? Quaschning betont, dass die Wetterentwicklungen zeigten, dass man eher kurzfristige Speicher bräuchte. Da wären zunächst mal Batterien, etwa auch von Elektroautos, oder riesige Batteriespeicher in alten Lagerhallen ein Ansatz. Das klingt nicht gerade nach der Superlösung. Die große Lösung ist für ihn ein Wort, dass die Ökobranche seit Monaten elektrisiert: Wind- oder Solargas.

Überschüssiger Wind- oder Sonnenstrom wird mittels Wasser per Elektrolyse in Wasserstoff und dann per Methanisierung in Methan verwandelt und im Gasnetz gespeichert, wo genug Platz ist. Bei Bedarf kann das Gas dann wiederum zur Energieversorgung genutzt werden.

Quaschning, der ganz passend ein grünes Hemd zum beige-grauen Jacket trägt, ist optimistisch. «Das Ganze ist machbar.» Schon bis bis 2040 oder 2050 könne man 100 Prozent regenerative Energien haben. Für ganz Deutschland wohlgemerkt, nicht nur in Vorreiterenklaven wie St. Michaelisdonn.

Quaschning betont, wenn der Klimawandel noch in erträglichen Bahnen ablaufen solle, bleibe ohnehin keine Wahl mehr. Und im grünen Wachstum lägen riesige Exportchancen. Er hat gerade auch eine Einladung nach Washington bekommen, um Kongressabgeordneten den neuen «German Way» in Sachen grüner Energiepolitik zu erklären.

Auch wenn der Weg schwer sein wird. Und auch wenn es im Jahr eins nach Fukushima so manche Bremsbemühungen gibt. Ein wenig kann der überzeugte Freund der Erneuerbaren immer noch nicht glauben, was da geschehen ist.

«Noch vor fünf Jahren wäre es undenkbar gewesen, dass eine schwarz-gelbe Koalition auf eine Versorgung vorrangig mit regenerativen Energien umschwenkt.» Nach den AKW müsse man nun noch die Kohlekraftwerke loswerden. Quaschning will Rathenau neu denken. (dpa)
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