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23.02.2016 | 00:07 | Strahlendes Erbe 
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Milliardenpoker beim Atomausstieg geht in die heiße Phase

Berlin - Das Timing ist gut gewählt: Fast pünktlich zum fünften Jahrestag der Atom-Katastrophe im japanischen Fukushima, wo am 11. März 2011 nach einem Seebeben in mehreren Reaktoren Kernschmelzen einsetzten, will die deutsche Atom-Kommission in Kürze ihren Abschlussbericht vorlegen.

Ausstieg aus der Atomkraft
Eins ist klar: Der Abschied von der Kernenergie wird extrem teuer. Nun geht das Feilschen zwischen Staat und Atomkonzernen in die finale Runde. (c) proplanta
Für die Steuerzahler und die vier Atomkonzerne Eon, RWE, EnBW und Vattenfall geht es beim Atomausstieg um sehr viel Geld.

Was ist der Auftrag der Kommission?

Die 19-köpfige Kommission lotet seit Wochen im Auftrag der Bundesregierung aus, wie die Finanzierung des Atomausstiegs gelingen kann - ohne dass sich bei Stilllegung und Rückbau der Atommeiler sowie Zwischen- und Endlagerung des Atommülls die Verursacher aus der Verantwortung stehlen. Es soll aber auch das «ökonomische Überleben» der Betreiber gesichert werden.

Ist das «Überleben» der Konzerne denn wirklich gefährdet?

Die einstigen Stromriesen sind schwer angeschlagen. Die früheren Börsen-Schwergewichte haben massiv an Wert verloren, auch weil sie die Energiewende mit dem Ökostrom-Boom lange verschliefen. Eon-Aktien kosteten vor acht Jahren noch mehr als 50 Euro, zuletzt dümpelten sie bei rund 8,40 Euro. RWE-Papiere stürzten im selben Zeitraum von mehr als 98 Euro auf gut zehn Euro ab.

Die Konzerne haben Probleme, sich frisches Geld zu beschaffen. Ratingagenturen beurteilen die Kreditwürdigkeit schlechter - auch wegen der ungelösten Atom-Altlastenfrage. Aktionäre pochen auf Ausschüttungen, was an der Substanz zehrt - RWE lässt nun für Stammaktionäre die Dividende ausfallen, was kommunale Miteigner entsetzt. Zugleich müssen die Unternehmen in ihren Bilanzen immer mehr Geld für Rückstellungen beiseite legen.

Wie viel haben die Konzerne denn «zurückgestellt»?

Die Atomkonzerne Eon, RWE, EnBW und Vattenfall haben in der Vergangenheit insgesamt 38,3 Milliarden Euro an Rückstellungen gebildet. Die Milliarden liegen nicht auf Konten, sondern stecken in Kraftwerken, Stromnetzen oder Finanzanlagen. Zweifel, sie verfügten nicht über das Finanzpolster, wiesen die Versorger stets zurück. Ein Stresstest im Auftrag von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) ergab, dass die Unternehmen stark genug sind. Allerdings: Wegen der niedrigen Zinsen müssen die Konzerne ihre Rückstellungen neu bewerten. Wegen des Zinsrisikos könnten die Atom-Rückstellungen auf bis zu 70 Milliarden Euro steigen.

Was würden Stilllegung und Atommüll-Lagerung denn kosten?

Die Expertenkommission hat mindestens 48,8 Milliarden Euro unterstellt - berechnet zu Preisen von 2014. Danach würden Stilllegung und Rückbau 19,7 Milliarden Euro kosten. Für Atommüll-Behälter und Transporte sind weitere 9,9 Milliarden veranschlagt. Für Zwischen- und Endlagerung werden zusammen 17,7 Milliarden Euro unterstellt. Ein Szenario kommt bis 2099 sogar auf mögliche Gesamtkosten (mit Inflation und steigenden Kosten) von fast 170 Milliarden Euro. 

Kann man dieses Risiko nicht allein den Konzeren überlassen?

Für den Staat geht es um Risikominderung und Schadensbegrenzung, wie die Kommission betont. Bei einer Unternehmens-Pleite könnten auf Bund und Länder enorme Kosten zukommen. Ein «Totalausfall» soll verhindert, Rückstellungen der Konzerne sollen gesichert und die Entsorgung vom Schicksal der Versorger abgekoppelt werden.

Welche Lösung schwebt den Konzernen vor?

Die vier Versorger ziehen nicht in allen Punkten an einem Strang - zu unterschiedlich ist ihre wirtschaftliche Lage. Einig sind sie sich aber darin, dass auch der Staat in der Pflicht ist. Eine «Ewigkeitshaftung» wollen sie verhindern. Ihr vorgeschlagenes Stiftungsmodell ist aber vom Tisch. «Bei der Stiftungsidee der Unternehmen würden sie komplett aus der Haftung für mögliche Kostensteigerungen entlassen. Das ist mit dem Verursacherprinzip nicht zu vereinbaren», erklärte der Co-Leiter der Atom-Kommission, Jürgen Trittin (Grüne), kürzlich.

Wie könnte eine Alternative aussehen?

«Eine große Lösung gibt es nicht», wird in einem Papier der Kommission festgehalten: «Weder Privatisierung noch Verstaatlichung funktionieren.» Vorgeschlagen wird ein Fonds-Modell: Hier würden die Konzerne für den Rückbau und die Behälter aufkommen. Über einen staatlichen Fonds wiederum wird die End- und Zwischenlagerung abgewickelt - und das von den Konzernen bisher zurückgelegte Geld dafür gesichert. Die Konzerne zahlen einen Teil ihrer Rückstellungen bis 2022 in bar in den Fonds ein. Mindestens die aktuell rückgestellten gut 38 Milliarden würden also aufgeteilt. Das Risiko möglicher Mehrkosten der Endlagerung würde ab einem gewissen Zeitpunkt der Staat tragen.

Welche Gegenleistung verlangt der Staat?

Die Unternehmen sollen bei einer Einigung ihre zahlreichen Klagen gegen den Staat wegen des Atomausstiegs zurückziehen. Mitte März befasst sich das Bundesverfassungsgericht mit Verfassungsbeschwerden von Eon, RWE und Vattenfall gegen den von der damaligen schwarz-gelben Regierung ziemlich überstürzt eingeleiteten Ausstieg mit einigen Merkwürdigkeiten. Der schwedische Staatskonzern Vattenfall will zudem 4,7 Milliarden Euro vor einem Schiedsgericht in Washington erstreiten. Es bleibt spannend nach dem Motto: Deal or no deal?
dpa
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Kommentare 
cource schrieb am 27.02.2016 09:28 Uhrzustimmen(128) widersprechen(114)
die politiker können nach belieben die energie-, wasser- und mietpreise durch steuern usw. erhöhen und damit alle probleme der systemrelevanten wirtschaft lösen, kein wunder wenn sich dann immer mehr "Räuberbanden" wie im mittelalter, an der regierung ein beispiel nehmen und das volk über schutzgelder u.ä. abkassieren
agricola pro agricolas schrieb am 23.02.2016 12:48 Uhrzustimmen(98) widersprechen(134)
„Angewöhnung geistiger Grundsätze ohne Gründe nennt man Glauben.“ (Nietzsche) // Einige Fragen zur geistigen Lückenschließung für die breite Masse: Die Rückstellungen unserer BIG FOUR wurden bislang steuerrechtlich wie gehandhabt!? Ein ewiger ungelöster Zankapfel!? Im Background fand dem Vernehmen nach bislang geradezu eine exorbitante Bereicherung von WEM statt!? Klammert man diese stillschweigend tolerierten Gegebenheiten innerhalb der Kommissionsarbeit jetzt bewusst aus und gibt selbige der breiten Öffentlichkeit WARUM nicht preis!? Wer hat die gigantischen Gewinne unserer Energieriesen in den vergangenen Jahrzehnten mit großem Heißhunger verfrühstückt!? Würde man die Personalstrukturen in den jeweiligen Konzernen analysierend darstellen, welche voluminösen Pensionen, Abfindungen, Abschiebegehälter, RUHEstandsgelder im wahrsten Sinne des Wortes etc. pp., wurden und vor allen Dingen werden hier nach wie vor äußerst großzügig bewilligt und gezahlt an WEN, glasklar aufgedeckt von der untersten bis hinein in die obersten Hirarchien!? Solche Personalien können in einer derzeitigen Haftungsfrage nicht mehr herangezogen werden, es findet anstelle dessen bereitwillig und extrem generös eine Sozialisierung der beträchtlichen Risiken statt. Sämtlichste Unternehmenszukäufe in der Vergangenheit, nicht selten der blanke betriebswirtschaftliche Schwachsinn..., niemand steht hier in einer entsprechenden Haftung!? // Gerade unsere aktuelle Politikerriege ist es, die eine erfolgsversprechende Energiewende nach wie vor stetig aufs Neue nachhaltig torpediert, in vorderster Front ist hier unser „Erzengel Gabriel“ extrem dienstbeflissen für WEN unterwegs!? Auch z.B. die bayerischen Aktivitäten über die 10h-Regelung für Windkraftanlagen gestaltet so manches Knock-Out-Kriterium vollkommen widersinnig aus, das Betreiben von Freiflächen-Solaranlagen wird politisch willentlich und wollentlich den Bauern über die Hintertür generell untersagt, über die Hintertüre der Substratverwertung/-verwendung auch den Biogasanlagenbetreibern ein Felsbrocken nach dem anderen in den Weg gerollt, ...großzügig soeben den Kabalen geopfert. Wenn Photovoltaik-Freiflächenanlagen dato errichtet werden dürfen, dann im Rahmen des Vollzugs eines gegenwärtigen Ausschreibungsverfahrens in bloßem Kapital-Gigantismus unserer gnadenlosen Moneymakersysteme, wo jede ländliche Energiegemeinschaft, eine Vielzahl durchaus williger Kleininvestoren über das entsprechende Finanzbedarfskonstrukt von vornherein ausgelistet werden können. Selbige sind mittlerweile filigran systematisch ausgeknockt; die energiepolitischen Bestrebungen, weiterhin eine Kanalisierung des Kapitaltransfers in bestens geläufige Konzernstrukturen erhalten zu wollen, trägt erfolgreichst auch energiepolitisch Früchte. // Hinsichtlich unserer gigantischen Atom-Altlasten böte eine Reise nach Australien vielleicht erfreuliche Lösungsansätze!? Es gibt dort dem Vernehmen nach Kreise -Manager u. Politiker aus dem konservativen Lager- die das australische Outback sich als weltweites Endlagerkonzept durchaus vorstellen könnten u. wohl auch bereits entsprechend offeriert haben, selbstredend gegen entsprechende „Aufwandsentschädigungen“. Es leben dort nur noch sehr wenige Aborigines, auf deren Befindlichkeiten man mit den alles vernebelnden Dollarzeichen vor Augen sicherlich wenig Rücksichtnahme üben wird....!? // Wie viele Hintermänner steigen derzeit bereits absolut einverleibend in die alternativen Energien ein, um sich auch weiterhin die „fett“ wuchernden Energiepfründe sichern zu wollen. Eine ursprünglich einmal positiv angedachte Demokratisierung des Energiemarktes ist damit bereits eine glorreiche Idee, die soeben erfolgreich zu Grabe getragen wird. Einige mächtige Geldkonzerne haben da die Informationslawinen in den Hinterzimmern der Macht erfolgsverheißend genutzt und sind bereits kapitalträchtig vereinnahmend auf dem alternativen Energie-Highway unterwegs....!!! - Eine „soziale demokratische“ Energiepolitik verschafft hierbei die ungeahnten Möglichkeiten...!!!(?)
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