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02.12.2017 | 07:07 | Regierungsbildung 

Trauen sie sich? Union, SPD und das GroKo-Phantom

Berlin - Es beginnt mit Irritationen. Wieder einmal. Am Freitagmittag taucht die Meldung auf, es gebe «grünes Licht für GroKo-Verhandlungen».

GroKo Verhandlungen 2017
Regierungsbildungen sind eine sensible Angelegenheit. Große Koalitionen erst recht. Das ist dieser Tage anschaulicher denn je. Die SPD steckt in maximal schwierigen Debatten. Auch bei der Union herrscht Unruhe. Eine Nachricht kommt da besonders ungelegen. (c) proplanta
Die «Bild»-Zeitung berichtet, die Parteichefs von CDU, CSU und SPD hätten sich bei ihrem Treffen im Schloss Bellevue auf Gespräche über eine große Koalition verständigt. Das Umfeld von SPD-Chef Martin Schulz dementiert das sofort.

Kurz darauf tritt Schulz selbst vor die Medien und verkündet, da sei nun wirklich gar nichts dran. «Die Meldung ist schlicht und ergreifend falsch», schimpft er. Das Ganze scheine aus Unionskreisen lanciert zu sein. Er habe deswegen soeben mit Angela Merkel telefoniert und der CDU-Chefin gesagt, dass so etwas inakzeptabel sei. «Wer Falschmeldungen in Umlauf setzt, zerstört Vertrauen.»

Gerade erst haben Union und SPD ihren Glyphosat-Streit hinter sich gebracht - ebenfalls begleitet von öffentlichen Misstrauensvorwürfen. Und nun das. Der Start in die schwarz-roten Wiederannäherungsversuche hätte geschmeidiger ausfallen können.

Am Abend zuvor saßen Schulz, Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zusammen, um sich ins Gewissen reden zu lassen. Schulz mag von dem Abend im Schloss nicht viel verraten. «Wie Sie alle vermuten, haben wir Vertraulichkeit über dieses Treffen verabredet», sagt er. «Wie Sie alle befürchten, gedenke ich, mich an die Vertraulichkeit zu halten.»

Nur so viel: Die Nachricht von einer Verständigung auf GroKo-Gespräche stimme einfach nicht, betont Schulz. Alles sei offen, nichts sei entschieden. Es gebe viele Optionen. Und über die rede die SPD in enger Abstimmung zwischen Partei und Fraktion.

Die GroKo-Meldung kommt für die SPD-Spitze mehr als ungelegen. Nach dem Hauruck-Schwenk von Schulz und der Parteiführung - erst ein kategorisches Nein zur GroKo, dann der Wir-können-über-alles-reden-Kurs - mühen sich die SPD-Oberen, möglichst behutsam vorzugehen. Die Basis soll sich nicht überrumpelt oder übergangen fühlen. Bloß kein Basta.

In der kommenden Woche will sich Schulz beim Parteitag in Berlin die Erlaubnis abholen, dass er sich überhaupt noch mal mit Merkel und Seehofer treffen darf. Der SPD-Vorstand soll am Montag einen Antrag für den Parteitag vorbereiten, in dem Gespräche in alle Richtungen vorgeschlagen werden. Bloß keine Festlegung auf eine große Koalition.

Der Widerwillen gegen eine weitere Runde Schwarz-Rot ist groß unter den Genossen. Zu schmerzhaft sind die Erinnerungen an die vergangenen Jahre - und an das, was die Koalition mit der SPD gemacht hat. Der SPD-Nachwuchs ruft zum Widerstand auf. Die Jusos haben eine «Nein-zur-GroKo»-Petition gestartet und drohen mit einer offenen Eskalation beim Parteitag: Wenn der Parteivorstand in seinem Antrag eine große Koalition nicht ausschließt - was wahrscheinlich ist -, dann wollen sie mit einem eigenen Antrag darüber abstimmen lassen.

«In jedem Fall werden wir als Jusos dafür Sorge tragen, dass die Delegierten sich zur Frage der großen Koalition verhalten können», sagt deren Chef Kevin Kühnert der dpa. Mit ihrer GroKo-Skepsis sind die Jusos keineswegs allein. Es könnte also ungemütlich werden beim Parteitag. Schulz will sich dort wiederwählen lassen. Dass die Wahl nun mit dieser Debatte zusammenfällt, ist für ihn nicht günstig.

Es könnte dem SPD-Frontmann auch noch öfter passieren, dass er mit dem Vorwurf konfrontiert wird, es laufe alles auf eine große Koalition zu. Dass Gespräche zwischen Union und SPD über eine Regierungsbildung keine Gespräche über eine große Koalition sein sollen, liegt außerhalb der SPD-Welt nicht für jeden auf der Hand.

Die SPD-Spitze müht sich vorerst krampfhaft, Ruhe zu verbreiten. Die Führungsriege betont unisono, die SPD werde sich nicht drängeln lassen. Man brauche Zeit - und die sei auch da. Schließlich habe Deutschland eine geschäftsführende Bundesregierung.

Und: Schulz versucht es mit ersten inhaltlichen Bedingungen für eine Regierungsbeteiligung. An erster Stelle nennt er hier grundlegende Reformen in der EU. Europa könnte das verbindende und versöhnende Thema einer weiteren GroKo sein - wenn sie denn kommt.

Und Merkel? Auch sie dürfte nicht begeistert gewesen sein über die GroKo-Meldung. Nach dem miserablen Bundestagswahlergebnis und den gescheiterten Jamaika-Sondierungen ist sie angeschlagen, wie Schulz auch. Zumal es nach der Glyphosat-Zustimmung von CSU-Agrarminister Christian Schmidt gegen den erklärten SPD-Willen schon der zweite Querschuss aus den eigenen Reihen innerhalb weniger Tage war.

Gut möglich, dass Gegner der Kanzlerin in den eigenen Reihen die GroKo-Nachricht gestreut haben, um ihr zu schaden. Auch Schulz deutet in diese Richtung und sagt, er wolle «nicht darüber spekulieren, wer aus der Union wem damit schaden will». Es ist ein offenes Geheimnis, dass in der mehr als 60-köpfigen CDU-Spitze manch einer sitzt, der Merkel gerne weiter geschwächt sehen würde - oder auf ihr politisches Aus setzt. Und jedem im CDU-Vorstand dürfte klar sein, zu welchen Irritationen so eine Meldung in der unruhigen SPD sorgt.

Merkel dürfte schon aus Eigennutz kein Interesse daran haben, dass Schulz in Schwierigkeiten gerät. Sie will eine vorgezogene Neuwahl oder eine Minderheitsregierung unbedingt vermeiden. Denn sollten letztlich auch Verhandlungen mit der SPD platzen, stünde Merkel mit leeren Händen da - und nach zwölf Regierungsjahren statt vor einer vierten Amtszeit möglicherweise vor dem politischen Aus.  
dpa
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