Angela Merkel (c) proplanta
Interview mit Martin Kaiser - Leiter Internationale Klimapolitik
Herr Kaiser, die UN-Klimakonferenz in Doha war für viele eine Enttäuschung, sehen Sie Chancen, dass es mit einem erstmaligen Weltklimavertrag bis 2015 tatsächlich klappen wird?
Kaiser: «Die Zahl der Länder, die der zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung klare und verbindliche Leitplanken setzen wollen, ist mit weit über 100 Staaten viel größer geworden als noch 2009. Immer mehr Länder bringen sich aktiv in die eben begonnenen Verhandlungen ein.
Gleichzeitig ist es bei vielen Staaten unklar, wie sie den Einsatz von erneuerbaren Energien unterstützen werden. Auch ist unklar, bis wann das letzte Kohlekraftwerk abgeschaltet wird und wann endlich die Subventionen für Öl und Kohle aufhören.»
Europa ist derzeit aber kein Motor beim Klimaschutz...
Kaiser: «Europa bricht gerade als Motor weg. Nach der schnellen Erreichung des 20 Prozent-Reduktionsziels für Emissionen setzt sich die EU derzeit kein neues Ziel, die Klimagase um weitere 10 Prozent abzusenken, also auf 30 Prozent bis 2020. In den USA gibt es zwar ein verstärktes Bekenntnis von Präsident Obama zum Klimaschutz - allerdings sind die beiden US-Häuser des Parlaments weiterhin von der Lobbymacht der Öl- und Kohleindustrie blockiert.»
Und der andere große Klimasünder China?
Kaiser: «Die Zeichen für mehr Klimaschutz stehen hier vorsichtig günstig. China bereitet in sieben Provinzen einen Emissionshandel vor. Bei einem geschickten Agieren Europas und anderer Schwellen- und Entwicklungsländer kann hier der notwendige politische Handlungsdruck gegenüber dem Reich der Mitte aufgebaut und verstärkt werden.»
In Europa hängen jüngste Rückschläge auch mit dem Preisverfall im CO2-Emissionshandel zusammen - wie bewerten Sie die Uneinigkeit der Bundesregierung zum EU-Kommissionsvorschlag, die Preise für Verschmutzungsrechte per Verknappung wieder hochzutreiben?
Kaiser: «Bundeskanzlerin Merkel schadet mit ihrer derzeitigen Blockade einer konsequenten Klimapolitik nicht nur dem Klimaschutz in Deutschland und Europa mit verheerenden Signalen weit darüber hinaus.
Merkel lässt sich von FDP-Wirtschaftsminister Rösler sowie dem CDU-Wirtschaftsflügel vorführen. Es ist die Verweigerung einer Positionierung der Bundesregierung, die die dringend notwendige Stabilisierung des Preises für CO2-Verschmutzungen verhindert. So wird der Emissionshandel dank der "Klimakanzlerin" beerdigt.»
Merkel hat aber immerhin eine Energiewende forciert...
Kaiser: «Letztes Jahr hat Merkel die Energiewende als Beitrag Deutschlands zum internationalen Klimaschutz auf dem Petersberger Dialog vorgestellt. Ohne die richtigen flankierenden Maßnahmen im Klimaschutz - Stichwort höhere Preise im Emissionshandel - führt die Energiewende jedoch paradoxerweise zu steigenden Treibhausgasemissionen durch Kohlekraftwerke, wie 2012 geschehen.»
Ist das Zwei-Grad-Ziel überhaupt noch zu erreichen?
Kaiser: «Die Verschmutzung der globalen Atmosphäre mit CO2 steht mit knapp 400 parts per million vor einem historischen Höchststand.
Die Begrenzung der globalen Erwärmung weit unter zwei Grad ist ein international verabschiedetes Ziel, das nicht infrage gestellt werden darf und umgesetzt werden muss. Denn eine Erwärmung darüber hinaus hätte eine viel stärkere Destabilisierung der Ökosysteme zur Folge.
Das bedeutet auch eine Destabilisierung der Nationalstaaten durch Klimaflüchtlinge und der Wirtschaft durch die unkalkulierbaren Kosten für Naturkatastrophen, Dürren und Überschwemmungen.» (dpa)