«Die Windgeschwindigkeit beträgt fast 13 Meter pro Sekunde. Das macht knapp 30 Megawatt. Wir liefern volle Leistung», sagt er. Mit einem pulsierenden «Wusch, Wusch, Wusch» schneiden die Flügel auf den Hügeln nahe der Stadt Bandirma durch die Luft. Die von dem amerikanischen Konzern General Electric gebaute Anlage wird von insgesamt 14 Technikern und Arbeitern betreut. Bei unerwarteten Problemen kann sie aber auch von GE-Experten von Deutschland aus ferngesteuert werden.
Hightech im Wind, traditionelle Wirtschaft am Boden: Ungerührt treibt ein Hirte Ziegen durch den Windpark. Seit 2006 steht die Anlage der Firma «Bilgin Enerji» und liegt damit voll im Trend. Die Türkei verzeichnet nach Mexiko und noch vor China derzeit die größten Zuwachsraten bei der Windkraft. Ein Plus von 138 Prozent wurde 2009 bilanziert. Doch es ist auch eine Aufholjagd, denn die Türkei ist erst relativ spät in die Gänge gekommen.
Knapp 800 Megawatt Leistung waren Ende 2009 installiert. Zum Vergleich: In Deutschland sind es mehr als 25.000 Megawatt. Dabei ist die Türkei auf die erneuerbaren Energien dringend angewiesen. Die Wirtschaft boomt, die Bevölkerung wächst. Um etwa acht Prozent steigt der Strombedarf der Türkei jedes Jahr. Investitionen in die Energiebranche hat die türkische Regierung aber lange Zeit vernachlässigt. Vor allem deutsche Firmen hätten nun Chancen auf gute Geschäfte, sagte Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) bei einer Türkei-Reise im Mai.
Im Juni berieten internationale Experten in Istanbul auf der 9. Internationalen Windenergiekonferenz über die Entwicklung der Branche. In den kommenden zehn Jahren soll sich die mit Windenergie erzeugte Strommenge weltweit verzehnfachen. Die Herausforderung sei nun, Wind- und Wasserkraft, Solaranlagen, Bioenergie, Geothermie (Erdwärme) und die konventionellen Kraftwerke intelligenter zu verknüpfen, um Leistungsspitzen besser auspegeln zu können.
Bis zum Jahr 2050 - so die in Istanbul bekräftigte Vision - soll erneuerbare Energie weltweit praktisch den gesamten Bedarf decken können. Die Türkei allerdings treibt gleichzeitig auch die Pläne für den Bau eines ersten Atomkraftwerkes kräftig voran. Das Parlament in Ankara hat inzwischen ein Abkommen mit Russland über den Bau des AKW gebilligt. Russische Unternehmen sollen in Akkuyu im Süden der Türkei vier Reaktorblöcke mit einer Leistung von insgesamt 4.800 Megawatt errichten. Die rund 15 Milliarden Euro teure Anlage könnte bis zum Jahr 2020 fertig sein.
Kritiker lehnen das Projekt allerdings unter anderem wegen der Gefahr eines Atomunglücks ab, da das AKW in einem von Erdbeben gefährdeten Gebiet gebaut werden soll. Eine Massenbewegung gegen den Bau der Anlage gibt es in der Türkei aber nicht. Der staatliche russische Kraftwerkbauer Atomstroiexport hatte sich als weltweit einziges Unternehmen um den Bau des Atomkraftwerkes beworben.
Nach türkischen Medienberichten wollten die russischen Kraftwerksbetreiber erst 21 US-Cent pro Kilowattstunde (rund 16 Eurocent), dann 15 US-Cent. Schließlich, so berichtete es die türkische Nachrichtenagentur Anadolu, einigte sich Ankara mit den Russen auf einen Abnahmepreis von 12,35 US-Cent pro Kilowattstunde - ein hoher Preis. Er liegt über den Kosten, die Experten auf der Tagung in Istanbul für den wirtschaftlichen Betrieb von Windkraftanlagen angegeben haben. (dpa)